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Einer der bekanntesten Texte der Menschheit beginnt mit der Feststellung „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott“ (Johannes 1/1). In Gestalt Jesu hat Gott, folgt man Johannes, das Wort in die Welt entlassen. Und irgendwann ist mit dem Wort auch die Phrase in die Welt gekommen und der Stand der Phrasenritter hat die Herrschaft über die Sprache errungen. Vertreter dieses Standes, und natürlich auch Vertreterinnen, findet man in allen Berufsfeldern, besonders häufig aber im Bereich der Politik. Politiker aller Richtungen, die oft keinen anständigen Beruf vor ihrer politischen Karriere ausgeübt oder erlernt haben, weswegen das Politische als Beruf so attraktiv ist, da man eine formale Qualifikation für die Ausübung dieses Berufes bekanntlich nicht braucht, werden recht schnell vom Verbalknappen zum anerkannten Phrasenritter.
Die Hauptwaffen der echten Ritter waren Schwert und Lanze, die Hauptwaffe der Phrasenritter sind Wortschöpfungen. Diese sind sozusagen verbale Finten, sprachliche Täuschungsmanöver, Wort-Fallen, kommunikative Fangnetze. Sie zielen nicht auf die Sache, das Thema, das Problem, sondern auf uns, die Hörer. Sie sollen uns etwas glauben machen – so etwa wie der Zauberer uns glauben machen will, dass er tatsächlich ein Kaninchen aus dem Zylinder hervorgezaubert hat oder dass die zersägte Jungfrau tatsächlich noch eine war! Wortzaubereien sind politisches Täuschungstagewerk, also täglicher Normalzustand. Dennoch gibt es Wörter, die aus diesem politischen Allerlei herausragen. Sie sind sozusagen die Markklößchen in der Buchstabensuppe.
Den ersten Aufschlag hat Putin gemacht mit seinem Begriff „Spezialoperation“. Doch aus dem von Putin sprachlich vermittelten Eindruck eines kurzen, präzisen militärisch-operativen Eingriffs begrenzter Zeit ist mittlerweile ein Monate andauernder Krieg geworden mit all seinen Schrecken. Das Ziel einer Operation ist Heilung, Lebensrettung. Hier hat sich die Operation als das genaue Gegenteil erwiesen und damit als das, was sie von Anfang an war: Krieg!
Aus dem Allerlei-Wörterbrei ist auch Christian Linder ausgebrochen – nein, nicht weil er auf Sylt sein JA-Wort gegeben hat, sondern weil es ihm gelungen ist, einen riesigen Schuldenberg (der für die Bundeswehr aufgetürmt wird) als Sondervermögen zu bezeichnen, also im Grunde in das Gegenteil zu verkehren. Linder hat es sich als Bundesfinanzminister nicht nehmen lassen, den Begriff Sondervermögen in einem kleinen Erklärvideo und einer Textfassung des Videos unter dem Titel „Finanzisch für Anfänger“ dem Volk zu erläutern, u.a. mit den Satz: „Sondervermögen dürfen auch Kredite aufnehmen, wenn das Gesetz es vorsieht. So ist das beim Sondervermögen für die Bundeswehr.“ So ist das, wie wir jetzt wissen: Wenn wir zur Bank gehen und einen Kredit aufnehmen (falls wir überhaupt einen Kreditrahmen haben), dann werden aus dem Kredit zugleich  Schulden gegenüber der Bank. Bei Herrn Linder wird aus den Schulden ein Sondervermögen, das „Kredite aufnehmen darf“. ***
Sie wissen sicher was eine Streckbank ist. Also jenes vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert zum Einsatz gekommene Folterwerkzeug, auf das man einen Menschen, an Händen und Füßen gefesselt, legte, um ihm dann vermittels eines Drehrades und eines Seils die Gelenke zu dehnen oder sogar die Knochen aus den Gelenken herauszureißen, bis der Gepeinigte sagte, was man hören wollte. Gerne kamen auch mal zusätzlich glühende Zangen oder Kohlen zum Einsatz. Ein Streckverband (Extensionsverband), medizinisch eingesetzt, soll demgegenüber das Gegenteil bewirken – also die Heilung eines Knochenbruchs oder einer Fehlstellung unterstützen, wobei der Patient nichts gestehen muss!
Neu ist aber sicher auch für Sie der Begriff des „Streckbetriebs“. Streckbetrieb ist ein ganz aktueller Begriff und steht im Moment bei der Debatte über die Verlängerung von AKW-Laufzeiten besonders bei führenden GRÜNEN hoch im Kurs. Streckbetrieb klingt nämlich nicht so schlimm wie der Begriff „Laufzeitverlängerung“! Die Debatte über die Atomkraft hat durch die Energiekrise in den letzten Tagen noch einmal mehr an Fahrt aufgenommen, wobei besonders die Frage diskutiert wird, ob die Laufzeit der drei noch in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke über den 31.12.22 hinaus verlängert werden soll. Mittlerweile gibt es sogar – aus Bayern kommend – schon laute Rufe, drei bereits vom Netz genommene AKWs wieder in Betrieb zu nehmen. Gegen Atomkraft zu sein, gehört bekanntlich zum Gründungsmythos der GRÜNEN. Dass ausgerechnet jetzt, wo es um den Ausstieg aus dem Ausstieg geht, GRÜNE Regierungsverantwortung tragen, etwa Neubaur in NRW und Habeck im Bund, macht die Entscheidung, jenseits fachlicher Diskurse der Thematik, politisch so brisant. Statt Laufzeitverlängerung also Streckbetrieb! So oder so: das AKW-Problem wird für die GRÜNEN zur Streckbank!
Im AKW- und Energiekontext steht auch das vierte Wort – mein gegenwärtiges politisches Lieblingswort! Ein Wort, das auch die drei bisher genannten toppt, also das sprachliche Sahnehäubchen ist! Und das kann natürlich nur von Robert Habeck kommen, dem Meister wolkigen Redens, dem Charmebolzen mit Mitleid heischendem Dackelblick und leicht verstrubbelter Frisur. Krieg, Krise, Gasmangel, Inflation, Versorgungsprobleme, steigende Unzufriedenheit, Existenzängste, kalte Zimmer, Verzicht auf das Baden und dafür das Duschen nur an drei Körperstellen und längstens fünf Minuten bei gesenkter Raumtemperatur – all das fließt in einen Begriff ein, der all das abmildert: SONDERSZENARIO!
Ja, wir sind alle Teile eines besonderen Szenarios. Das haben wir uns zwar nicht selber ausgesucht und haben uns auch nicht darum beworben, Teil der Statisterie in diesem Szenario zu werden. Vielmehr werden wir eher zwangsverpflichtet. Und dennoch geht alles auf in diesem einen Wort, das Zukunftsangst und Krise in ein Szenario überführt, dessen Spielleiter aber nicht Scholz, sondern Habeck ist. Ein Sonderangebot zum Dabeisein…Müssen!

Ich habe noch nie viel von Sonderangeboten gehalten. Aber vielleicht bin ich auch ein Sonderling!
*** Text/Video zum Begriff „Sondervermögen“: https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Video/Finanzisch-fuer-Anfaenger/sondervermoegen/sondervermoegen.html

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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m.p.a

Die Kunst der Umdeutung wird nur noch getoppt, durch die Anmaßung der Deutungshoheit allabendlicher Nachrichtenvorleser. Wobei selten Nachrichten vorgelesen werden, vielmehr oben thematisiertes Politikersprech verbreitet wird.
Wie wär es mit dieser Wortschöpfung? Sonderspagat: Der Vizekanzler will kein russisches Gas und beschwert sich dann darüber, dass die Russen seinem Wunsch nachkommen.

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Heinz Niski

Der Vizekanzler will kein russisches Gas und beschwert sich dann darüber, dass die Russen seinem Wunsch nachkommen.

*Zwinkersmiley *Lachsmiley

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