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Nirgends wird so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd.“ (Otto von Bismarck)

Angeblich stirbt die Hoffnung zuletzt, wogegen die Wahrheit im Krieg zuerst sterben soll. Vermutlich ist das aber falsch. Wir können und müssen wohl davon ausgehen, dass die Wahrheit bereits gestorben ist, bevor der erste Schuss fällt. Die Geschichte der Kriege ist jedenfalls voll von Lügen, die vor der ersten Patrone abgefeuert worden sind. Hitlers bekannte Aussage vor dem Reichstag zum Beginn des II. Weltkrieges mit dem Überfall auf Polen am 1.September 1939 ist nur ein prominentes Beispiel einer solchen Lüge. Eine Lüge, der eine Schmiereninszenierung vorausgegangen war, nämlich der angebliche polnische Überfall auf den Sender Gleiwitz, in Szene gesetzt von der SS, die drei tote polnische Häftlinge in polnische Uniformen gesteckt hatte, um einen Angriff Polens auf Deutschland vorzutäuschen und den Vorwand für den Angriff auf Polen zu schaffen.
Auch Putins Truppen sind nicht ohne Propagandalügen zum Angriff marschiert: in Kiew soll eine Bande drogensüchtiger Nazis am Werk gewesen sein, deren Absicht darin bestanden haben soll, einen Genozid an den russischen Teilen der ukrainischen Bürger vorzubereiten bzw. durchzuführen. Und, um auch daran noch einmal zu erinnern: die Massenvernichtungswaffen, die als Vorwand für den Krieg (2003) gegen das Regime Saddam Husseins dienten, waren nichts anderes als eine Propagandalüge der US-Regierung und ihrer Militärs.
In Deutschland bzw. innerhalb der deutschen Regierung und der sie tragenden Kräfte ist gegenwärtig einer Unterform der Lüge in Kriegszeiten dominant, nämlich die Selbsttäuschung, wobei ich unterstelle, dass einige Protagonisten sogar glauben, was sie sagen. Sie sind sozusagen Opfer ihrer eigenen Selbsttäuschung. Diese Selbsttäuschung haben wir erst gestern wieder bei der Bundestagsdebatte zum Krieg gegen die Ukraine erlebt – nämlich als Rechtfertigungsfigur dafür, bestimmte Waffen bzw. Waffentypen nicht an die Ukraine zu liefern. Vorgetragen wurde diese Argumentationsfigur gestern von Verteidigungsministerin Lambrecht, die – zum wiederholten Male – argumentierte, Deutschland dürfe nicht Kriegspartei werden, weswegen keine Angriffswaffen an die Ukraine geliefert werden sollen.
Ginge es hier nicht um Krieg und Frieden, um Menschenleben und Massaker, um tausendfaches Leid und die Zerstörung eines Landes, könnte man das einfach als dummes Geschwätz abtun – was es ja auch ist. Als Geschwätz einer Ministerin, die in ihrem Amt ebenso überfordert ist wie der irre Chaos-Karl als Gesundheitsminister. Aber es ist eben auch mehr als nur Geschwätz – es ist Propaganda dümmlichster Sorte, weil so getan wird, als sei Deutschland nicht im Krieg. Deutschland führt ökonomisch über die Sanktionen, politisch über Resolutionen und diplomatische Initiativen und auch militärisch, sozusagen als stiller Teilhaber, von Beginn an Krieg gegen Russland an der Seite der Ukraine. Bisher nicht (jedenfalls nicht offiziell) durch die Entsendung von bewaffneten Einheiten oder militärischen Beratern, aber doch durch Bereitstellung von Material und Finanzmitteln.
Dass dieses gelieferte Material teilweise marode ist, ist eine andere Frage. Die Kabarettistin Lisa Eckhart hat kürzlich dazu gesagt, wenn Deutschland die Ukraine wirklich waffentechnisch unterstützen wolle, solle sie diese Waffen doch besser an Russland liefern. Hier geht es aber darum, dass die Regierung so tut, als könne heute noch generell zwischen Defensiv- und Offensivwaffen trennscharf unterschieden werden und auch der Kreml-Herrscher würde tatsächlich eine solche Unterscheidung vornehmen, um Deutschland als Kriegspartei einzustufen oder nicht. Hier geht es aber nicht um die mittelalterliche Eroberung einer Burg unter Einsatz eines Rammbocks, den wir sicher als „Angriffswaffe“ einstufen würden, und das von den Mauern auf die Angreifer geschüttete heiße Öl, das wir eher als Defensivwaffe bezeichnen würden. Ist es heute nicht eher so, dass Waffen Verteidigungswaffen sind, wenn sie dazu dienen, das eigene Land und das eigene Volk zu verteidigen, und zu Angriffswaffen werden, wenn ihr Zweck darin besteht, ein anderes Land zu erobern?
Ohne mich hier in technischen Debatten über Kriegsgerät verlieren zu wollen oder gar den „Experten“ zu mimen, kann man die Problematik aber doch relativ einfach an einem Waffensystem deutlich machen, das die Ukraine auf ihrem „Wunschzettel“ für Waffenlieferungen hat, nämlich am Schützenpanzer, den die OSZE so definiert:
Der Begriff ‚Schützenpanzer (SPz)‘ bezeichnet ein gepanzertes Kampffahrzeug, das in erster Linie für den Transport einer Infanteriegruppe konstruiert und ausgerüstet ist, es den Soldaten normalerweise ermöglicht, geschützt durch die Panzerung aus dem Fahrzeug heraus zu schießen, und mit einer integrierten oder organischen Kanone von mindestens 20 Millimetern Kaliber sowie gelegentlich mit einem Abschussgerät für Panzerabwehrflugkörper bewaffnet ist. Die Schützenpanzer dienen als Hauptwaffensystem von gepanzerten, mechanisierten oder motorisierten Infanterietruppenteilen und Truppenteilen der Landstreitkräfte.“ *
Der von der Firma Rheinmetall produzierte Schützenpanzer Lynx wird in verschiedenen Ausführungen zwischen 35 und 45 Tonnen Gewicht angeboten, ist bis zu 70KM/h schnell und kann u. a. mit einer Maschinenkanone mit bis zu 3000 Metern Reichweite ausgestattet sein oder auch mit der 120-mm-Kanone des Kampfpanzers Leopard II. Ist das nun eine Defensiv- oder eine Offensivwaffe? Ist das nun noch leichtes oder schon schweres Gerät? Und glaubt die Bundesregierung wirklich, Putin mache seine Einschätzung, ob Deutschland Kriegspartei ist oder nicht, davon abhängig, ob solche Panzer geliefert würden oder nicht?
Wenn Verteidigungsministerin Lambrecht gestern im Bundestag, übrigens unter Verwendung der NS-Propaganda-Floskel „Der Feind hört mit“, also in ihrer Rede, wie oben bereits erwähnt, noch einmal gesagt hat, die NATO und Deutschland dürften wegen der Lieferung bestimmter Waffensysteme nicht Kriegspartei werden, um „einen Flächenbrand in Europa“ zu verhindern, dann ist das eine Selbsttäuschung und der Versuch den Schein des nicht-militärischen Handelns in absurder Weise aufrecht zu erhalten.
Man mag für Waffenlieferungen an die Ukraine sein oder dagegen! Man mag sogar befürworten, sich militärisch unmittelbar zu engagieren,  oder dagegen sein! Aber man sollte sich dabei ehrlich machen und nicht so tun, als könne man „halb-schwanger“ sein!
Und uns für dumm verkaufen!
Denn Kriegspartei sind wir schon längst!

Mit den Worten von Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): „Wir können uns nicht mehr raushalten. Das ist vorbei. Es ist auch eine mentale Zeitenwende. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die für uns sehr angenehme friedliche Zeit einfach vorbei ist.“ (Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses , Talk bei Maischberger)

*OSZE; Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) vom November 1990 (Artikel II), (Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa, II 1 )

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Ka.Loeb.

Das Herumgeeiere ist gerade allerdings kein spezifisch deutsches Problem. (Ostern wird ja auch woanders gefeiert. Haha.) MiG-29 von Polen für die USA nach Ramstein, um dann…? Nö, wollte Bidens Crew auch irgendwie nicht. Das Problem liegt wohl vor allem darin herauszufinden, was Putin als ultimative Kriegsbeteiligung deuten würde, nicht Lambrecht oder Morawiecki oder Hänschen Klein. Zwei-Fronten-Krieg kann Voldemort Putain sich auf jeden Fall nicht erlauben, das lehrt die Geschichte. (Werd ich langsam HerrKules-kompatibel, so von der Bösheit her?comment image) Bleibt ja als Option für den Spezialoperationsverbrecher eigentlich nur noch der rote Knopf. Und „macht der bestimmt nicht“ fällt als Überlegung seit dem 24.02. irgendwie raus aus dem westlichen Strategiebaukasten. Die Frage ist damit letztendlich nicht, ob wir Kriegspartei sind, sondern ob wir so viel Kriegspartei sind, dass Voldemort das nicht nur bemerkt (das hat er natürlich), sondern sich dadurch so gedemütigt fühlt, dass er Amok läuft. Also ultimativ, und dann nach links, nicht nach unten, geographisch gesehen. Oder?
(P.S.: Eine Flugverbotszone scheint da auf jeden Fall schon mal eine ganz schlechte Idee zu sein. Da sind sich ja alle Wessis irgendwie nach wie vor einig.)

P.S.: Der Baum reaktiviert sich gerade selbst, und die Strack-Zimmermann ist aktuell verdammt gut. Der Buschmann ist zwar nicht überragend, aber Gelsenkirchener. Der kriegt den Lokalpatriotismusbonus. Wenn jetzt Kubicki und Lindner zusammen nen Reifenhandel aufmachen oder halt irgendein anderes Unternehmen gründen und sich aus der Politik zurückziehen, könnte man ja fast noch auf die Idee kommen, auf Bundesebene irgendwann mal FDP zu wählen. Was dagegen spricht, ist natürlich: „Ach nee, doch nicht.“

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Heinz Niski

Es gibt auch Leute, die Frau Strack Zimmermann zwar für gut frisiert halten, aber sicherheitspolitisch für sehr gefährlich.

Siehe „Raketenabwehrschild: Sicherheitsberaterin auf Kaffeefahrt“

https://www.heise.de/tp/features/Raketenabwehrschild-Sicherheitsberaterin-auf-Kaffeefahrt-6661571.html

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Heinz Niski

Wer kann mir erklären, warum die Ukrainer die Nord Stream Gasleitung, die durch ihr Land führt, nicht in die Luft jagen?
Die Erzählung ist ja, dass Deutschland damit den Krieg Putins finanziert.

Wer kann mir erklären, warum Putin die Gasleitung nicht kappt und damit das Industrieland Deutschland auf Dritte Welt Niveau schrumpft, die Geldflüsse abschneidet, welche ihn und die von ihm überfallene Ukraine stärkt?

Wer kann mir erklären, warum Deutschland als feministische und Werte geleitete Demokratie nicht freiwillig auf Handel, Austausch, Waren, Rohstoffe, Energie, Dienstleistungen mit finsteren Mächten, Ländern des Bösen, verzichtet?

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Last edited 2 Jahre zuvor by Heinz Niski
Pet.Teut.

Das ganz große Paradoxon unserer (westlichen) Welt: Die Globalisierung wird gefeiert – aber nur, soweit sie den neokolonialen-neoliberalen „Demokratien“ wirtschaftliche Vorteile bringt. Das Hohelied der Wertegemeinschaft verstummt dagegen bei dem Elend, der Unterversorgung und Umweltzerstörung, die diese „Arbeitsteilung“ eben auch erzwingt.
Vonnöten ist Mut zum Wagnis einer weltweiten gelebten menschlichen Solidarität..

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Last edited 2 Jahre zuvor by Heinz Niski