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Wer sich am gestrigen Sonntag Zeit genommen hat, die Sendung „Berlin direkt“ im ZDF * zu schauen, konnte, zumindest an der Oberfläche, sehen, wie zerrissen die GRÜNEN in der Gas-Frage sind und wie, wenn auch noch in nicht unfreundlichem Ton, Kritik an den ansonsten medial verhätschelten GRÜNEN aufkommt. Letzteres lässt sich recht einfach erklären: die Mehrzahl der links-grünen Haltungsjournalisten sind Gewerbetreibende in Sachen Hypermoral und woker Zeitgeist. Aus dieser Perspektive schauen sie nun auf die von ihnen favorisierten GRÜNEN, die aber, kaum im Amt, sich mit den Konsequenzen eines vor der Wahl noch nicht abzusehenden Krieges konfrontiert sehen und von der Ebene des politischen Gärtnerns im Wunschvorstellungsblumenparadies in kürzester Zeit auf den harten und mit politischem Unkraut durchsetzten Acker der Realität gestürzt sind. Und so drängt die im moralischen Kammerton sprechende Journaille immer wieder auf die Beantwortung einer zentralen Frage: Wie hältst du es mit den Gas-, Öl- und Kohleimporten aus Russland?
Einen besonderen moralischen Schub bekam diese Fragestellung in „Berlin direkt“ natürlich durch die unmittelbar vorher, nämlich in der19-Uhr-heute-Sendung, ausgestrahlten Bilder über die Gräueltaten der russischen Armee in Butcha und anderen Orten rund um Kiew. Vorbereitet wurde die Fragestellung nach dem Ende der Energieimporte aus Russland im ersten Bericht der Sendung. Da sprach sich nicht nur Jessica Rosenthal(SPD), die Bundesvorsitzende der Jusos(SPD), für einen Boykott aus, sondern mit Katja Leifert auch eine Bundestagsabgeordnete der CDU. Und schließlich wurde auch Anton Hofreiter in Stellung gebracht (ab Minute 4.40). Der mittlerweile ins Europaparlament wegbeförderte vormalige Fraktionschef sagte, dass die von ihm befragten Wissenschaftler einen Ausstieg aus russischen Gas-Importen für machbar hielten, ohne unkontrollierbare Schäden für die deutsche Wirtschaft.
Damit war der Rahmen gesetzt für das folgende Interview, das ZDF-Frau Shakuntala Banerjee mit Robert Habeck führte. Er war von vornherein in einer moralischen Defensivstellung und musste sich rechtfertigen.
Nur nebenbei: Man sah Habeck die Last der Verantwortung körperlich an, sprachlich war er fahrig, verhaspelte sich und, was man sonst von ihm eher nicht kennt, ihm verrutschten gelegentlich sogar Grammatik und Syntax.
Habeck versuchte, seine politische Linie zu erläutern, kam aber aus der Defensive nicht heraus, weil die Interviewerin, auch unter Bezug auf die vorausgegangene heute-Sendung und die ersten Minuten von „Berlin direkt“, etwa das Statement Hofreiters, immer wieder verbales Salz in die moralische Wunde streute. In Bezug auf die noch andauernde Weigerung der Bundesregierung, russische Gasimporte zu stoppen, sagte Habeck u.a.: „Wir verfolgen eine Strategie, uns unabhängig zu machen – nur nicht sofort und dann erst die Konsequenzen abwägen, sondern erst die Konsequenzen abwägen.“ (Interview ab Minute 5.40).
Im Grunde sagte Habeck damit etwas ziemlich Banales, nämlich dass man normalerweise den ersten Schritt vor dem zweiten tut. Man könnte auch sagen: Man reißt das alte Haus erst ab, wenn das neue bezugsfertig ist. Hinter der Banalität aber versteckt sich das Dilemma der GRÜNEN: Der Schwindel der Energiewende! Hier hat man nämlich genau das gemacht, was Habeck nun als „falsch“ deklariert – man hat, ohne die Konsequenzen zu bedenken, den Ausstieg aus Kohle und Atom beschlossen, ohne genug Alternativen bereit gestellt zu haben, und sich deshalb nicht nur unter Energiegesichtspunkten, sondern auch unter politischen Aspekten in die Abhängigkeit von russischem Gas und Öl und von Kohle aus Putins Reich begeben (vom Atomstrom aus Frankreich und verstromter Kohle aus Polen einmal völlig abgesehen). Habeck versuchte also mit Mühe und gelegentlich etwas verkrampft, die politische Lebenslüge der GRÜNEN zu verkleistern, wenn er vor einem Boykott russischer Gasimporte warnte und dabei auf die gesamtwirtschaftlichen Folgen verwies. Die gesamtwirtschaftlichen Folgen haben wir nämlich längst im Haus, denn bereits vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine hatten wir, dank auch grüner Politik, schon  die höchsten Strompreise in Europa und hatten uns in der europäischen Union im Grunde isoliert, denn dem deutschen Weg der Energiewende ist kein anders Land gefolgt.
Sowohl Hofreiter, der einem Boykott russischer Gasimporte das Wort redete, aber auch der zögerliche Habeck müssten, um nicht halbgar zu erscheinen, den wunden Punkt grüner Energiewende-Politik deutlich ansprechen, anstatt immer noch die Illusion aufrecht erhalten zu wollen, mit dem Ausstieg aus Kohleverstromung und Atomkraft gleichzeitig die „Energiewende“ und den Ausstieg aus der Abhängigkeit von Gasimporten (egal ob aus Russland oder aus einem anderen Schurkenstaat)schaffen zu können. Da ist selbst ein Ministerpräsident Söder, der größte lebende Opportunist deutscher Provenienz vor dem Herrn, realitätstüchtiger, wenn er von einer Laufzeitverlängerung der verbliebenen (noch aktiven) Atomkraftwerke spricht, um die Stromversorgung sicherer zu machen. Aber Söder, bei dem Positionswechsel im Grunde sein Markenkern sind, fällt es natürlich leicht, sich für eine Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken für drei bis fünf Jahre auszusprechen. Für die GRÜNEN jedoch gehört die Stellung gegen die Atomkraft zur DNA, ist neben der Friedenspolitik und der Forderung nach mehr Freiheitsrechten doch die Haltung gegen die Atomkraft einer der drei Bausteine seit der Gründungsphase der grünen Partei.
Allerdings: Die Grundposition in der Frage von Krieg und Frieden haben die GRÜNEN doch längst aufgegeben, nämlich spätestens seit 1999 mit der Zustimmung zum NATO-Einsatz unter deutscher Beteiligung im Kosovo-Krieg. Was die Grundrechte angeht, sind die Grünen während der Corona-Pandemie eher als Scharfmacher aufgefallen, die noch stärkere Einschränkungen der Freiheiten gefordert haben, als es sie sowieso gegeben hat. Und die GRÜNEN gehören auch zu denen, die am lautesten nach einer Impfpflicht rufen!
Dann sollten sie doch auch den Mut haben, die Frage von Kohle und Atom ehrlich zu stellen und zu beantworten und nicht versuchen, sich aus der Verantwortung zu schleichen. Die grüne Mitgliedschaft wird sicher auch den Abschied von diesem Markenkern aushalten.
Jedenfalls solange die Grünen in der Regierung sind und nicht am Katzentisch der Opposition sitzen!

*https://www.zdf.de/politik/berlin-direkt/berlin-direkt-vom-3-april-2022-100.html

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Heinz Niski

Ich bin sehr gespannt darauf, wie sich die rasant ins Prekariat taumelnde Mittelschicht in den nächsten Monaten verhält. Schweigend? Explodierend? Die ausgerufene „Zeitenwende“ findet auf ihrem Rücken statt. China, USA, Russland kaspern die Welt neu unter sich aus, die Reichen werden reicher, die Mittelschicht löst sich auf. Mit Gender Stern und Binnen I beglückt in den sozialen Abstieg und Pullover strickend für den Frieden. Ich hätte nie gedacht, dass so viele Menschen sich danach sehnen, das System hier durch eine sofortige Weigerung, Rohstoffe aus Russland zu beziehen, auf Null zu fahren. Ich hätte auch nie gedacht, dass ich die Weitsicht und politische Klugheit von Generälen hier beruhigend finden würde. Ob ich Kartoffeln statt Bienenwiesen auf meiner Terrasse anpflanzen soll?

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Ro.Bien.

Man muss halt sehen wo man bleibt…Tauschbörsen erleben Anstürme, Schwarz- und Flohmärkte sowie Rudis Resterampen werden abgelaufene Lebensmittel für das Dreifache verkaufen…das Ende der Tafeln naht. Kleidercontainer werden von Einheimischen gekapert. Sprit an Tankstellen geklaut. Heizdecken angeschafft, statt Zimmer geheizt, Einwecken und Gemüse-Selbstanbau auf Freiflächen werden zunehmen…bis auch da die Stärkeren siegen. Erst dann wird die deutsche Mittelschicht ungemütlich. Weil die Armut immer noch relativ ist. Wohl dem, der immer einen Schritt voraus ist.
Ich ziehe gerade Tomatenpflanzen und hoffe, sie haben beim Wintereinbruch überlebt. Vielleicht verkauf ich sie dann für 5 Euro das Stück. Ist schließlich nachhaltig und lokal. Oder tausche gegen Sonnenblumenöl und Kartoffeln…

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Di.Niew.

 die Bevölkerung trägt freiwillig Maske in ihren ungeheizten Behausungen und isst unfrittierte Pommes aus aufgetauten Gefrierschränken. Und wählt SPD.

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Heinz Niski

Augstein finde ich eher zweifelhaft, aber seinen Blick auf „Heldengeschichten“ und wie sie medial inszeniert werden, kann ich teilen: https://www.freitag.de/autoren/jaugstein/wolodymyr-selenskyj-benebelt-vom-pathos?fbclid=IwAR1ul0RLfg3TicJM4wI1tup1UABn3lQamOnSKNcWz55MVO-WssIaTI9mCho

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Ka.Loeb.

Nur mal so zur Aufklärung: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/atomkraftwerke-laufzeiten-atomenergie-habeck-101.html?fbclid=IwAR0YJc6gVpziZLhW4jPfcJ6v3hhDK-WXt8-vHMNLWrWjLg_sFN9VVp-LtYE

Abgesehen davon finden gerade nicht weit von hier Massaker an Menschen statt. Wird ja oben erwähnt. Haben ja irgendwie auch alle mitbekommen. Aber irgendwie offensichtlich auch nicht. Ich finde ich den Artikel und – vor allem – alle bisherigen Kommentare dazu so egoistisch wie geschmacklos.

P.S.: Und ich hoffe, dass alle, die hier so wohlfeil schlau empathisch wirken wollen (Tipp: Epic Fail) zumindest bei der Stadt schon ihre Bereitschaft kundgetan haben, im Bedarfsfall so ein, zwei Flüchtlinge bei sich aufzunehmen.

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Heinz Niski

Ich gehe davon aus, dass du ukrainische Flüchtlinge in deinem Haus aufgenommen hast und die Zeit, Energie und das Geld hast, sie zu begleiten. Ich weiß aus meiner jahrelangen engen Flüchtlingsbegleitung, dass so etwas sehr herausfordernd ist, trotz positiver Rückmeldung, Bestätigung und obwohl man moralisch auf der Seite der „Guten“ ist.
Vielleicht machst du so wie ich dann bald auch die Erfahrung, dass viele Menschen sich zwar in Wort und Schrift als ethisch-moralische Helden wähnen, wenn sie persönlich gefordert sind, aber schnell vergesslich werden.
Deine Bewertung meines Kommentars als unempathisch, als moralische Bankrotterklärung, als peinliches Versagen, akzeptiere ich.
Ich bin aufgewachsen zu einer Zeit, als es viele Kriegsversehrte aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg gab. Die ersten Fernsehbilder brachten brennende vietnamesische Kinder ins Wohnzimmer, die Magazine waren voll mit Bildern von Massakern. Ich durfte Kindern in Biafra beim Verhungern zusehen. Krieg auf Krieg, Massaker auf Massaker folgte. Eine Kriegslüge an die nächste reihte sich an, eine Desinformationskampagne an die nächste. Kriegsverbrechen auf Kriegsverbrechen folgten, mal etwas weiter weg, mal näher. Meine moralische, ethische, politische Entrüstung orientierte sich nicht an Entfernungen der Kriegsschauplätze, wenngleich der Vietnamkrieg eine Sonderstellung hatte.
Die Jahrzehnte brachten Krieg auf Krieg, Millionen Tote, Hungersnöte, Unruhen, Bürgerkriege, zeigten Gräueltat auf Gräueltat, bewiesen, dass sowohl die politische wie wirtschaftliche Ordnung nicht in der Lage ist, diese dunkle Seite des Menschen zu zivilisieren.
Um nicht daran zu zerbrechen, gibt es Schutzmechanismen, z.B. das Mittel der Verdrängung. Das funktioniert gut, je weiter ein Krieg entfernt ist, je kulturell fremder die Menschen sind, je größer der soziale, politische, religiöse Abstand ist.
Der Krieg im Jemen wühlt auch dich offensichtlich nicht so auf, wie der in der Ukraine. Du finanzierst den zwar auch mit jeder Tankfüllung, kannst deinen persönlichen Schuldanteil sicherlich aber vor deinem Gewissen gut verstecken. 
Ukrainische Flüchtlinge, wie auch die vielleicht demnächst hier um Asyl bittenden russischen Deserteure, müssen jede erdenkliche Hilfe bekommen. Der Ukraine kann nicht vorgeschrieben werden, wie sie sich gegen den russischen Überfall zu wehren hat.
Deutschland kann nicht von der Ukraine vorgeschrieben werden, offiziell in den Krieg gegen Russland einzutreten oder die eigene Wirtschaft und sein Sozialgefüge zu zerstören.
Ich bin sehr dankbar, dass wir zurzeit noch einige Politiker haben, die verantwortungsethisch handeln, auch wenn du als Gesinnungsethiker die als Gescheiterte siehst.

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Heinz Niski
Ro.Bie.

uihcomment image.

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Ro.Bie.

Ich finde diesen Artikel einer Handvoll Ingenieure, was sie von den letzten Äußerungen unseres Umweltbundesamtes halten, auch ganz passend.
Obwohl: Der eine oder andere Dienstwagenfahrer sollte besser doppelt Steuern zahlen, statt erstattet bekommen: https://blackout-news.de/aktuelles/umweltbundesamt-will-autofahren-drastisch-verteuern/?fbclid=IwAR0m8SQdU83A471gTW1w7f2LLPA7U4vydKv2oqYE_RtMX54gBa7msM5XI8U

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Ka.Loeb.

Danke für die ausführlichen und erhellenden Antworten, H. N. und B. M. Ich stelle fest, dass es bei der Redaktion HerrKules und mir offensichtlich ein Sender-Empfänger-Problem gibt. Ich lese Beiträge, bin genervt, und wenn ich lospoltere, kommen Antworten, bei denen ich gar nicht weiß, wieso ich die Positionen nicht vorher schon so verstanden habe. Da brauch ich dann wohl noch mehr biographische Hintergründe und mehr Erfahrung mit eurer Rhetorik, um alles von vornherein besser einordnen zu können. Ich unterschreibe jedes Wort eurer Erläuterungen, allen voran die sehr zutreffende Analyse der Schutzmechanismen. Dass ich Gesinnungsethiker bin, ist dann ein Missverständnis, das sich aus meinem Widerspruch ableitet, das seh ich ein. Das Heiligenbildchen können wir auch sofort wieder in die Tonne kloppen, das gibt’s nicht. Siehe Tankfüllungen (unter anderem). Der Punkt, der mich halt vor allem genervt hat, war, dass ich den Eindruck hatte, dass mit dem ja durchaus berechtigten Verweis aufs bundesdeutsche soziale Gefüge jede weitere Überlegung Richtung Energiesanktionen oder -einsparungsbemühungen von vornherein abgebügelt werden sollte.

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