0
(0)

Ich habe sehr lange nach einer passenden Überschrift für diesen Beitrag gesucht. Meistens fällt mir das Finden einer Überschrift nicht schwer, hier aber schon.

Aus einem einfachen Grund: Ich wollte die Regeln des Anstands nicht außer Acht lassen, ich wollte nicht Begriffe verwenden, die auf jeden Fall justiziabel sind. Andererseits schien mir die zweite Überschrift (Wie Politiker…) alleine zu schwach, zu seriös, zu überlegt und abgehangen!

Ich bin immer noch nicht ganz zufrieden, denke aber: Wer bis hierhin gelesen hat, liest vielleicht auch weiter! Auch wenn die Leserschaft vielleicht nicht so zornig ist wie ich.

Und ich bin zornig (Herbert Knebel würde sagen: Ich halse!)! Was das Impfen angeht! Aber keine Sorge: jetzt folgt kein Für und Wider zum Thema Impfpflicht und auch keine Abhandlung über Wirkungen und Nebenwirkungen, Verschwörungsmythen und Polemik dagegen. Nein! Ich bleibe sachlich, meint: Bleibe bei der Sache selbst, also dem Impfen als Aufgabe und Tätigkeit von Ärzten und Ärztinnen.

Mein Wissen darüber (nicht medizinisch, sondern von den Abläufen her) ist nahezu unmittelbar, denn im engsten Familienkreis befindet sich eine Ärztin, die täglich impft (insofern bin ich natürlich auch befangen). Meine hier vermittelten Informationen sind sozusagen aus erster Hand, nicht ideologisch ausgelegt, sondern in diesem Fall ganz praktisch orientiert. Als Einblick in den Arbeitsalltag gedacht: Jenseits von Schlagzeilen!

Das Impfen in einer (hausärztlichen) Praxis ist ein komplexer Vorgang, eben mehr als ein Stich in den Oberarm! Impfen umfasst organisatorische, technische, medizinische, dokumentarische, logistische und kommunikative Teilaspekte.

Fangen wir einfach mal schlicht von vorne an: Der Impfstoff muss bestellt und geliefert werden, meist geschieht das in Kooperation mit einer Apotheke. Sind die Impfstoffe geliefert, werden sie gelagert. Aus gutem Grund gehen wir jetzt auf die Impfstoffe von BioNTech und Moderna ein (beide sind mRNA-Impfstoffe). In einem normalen Kühlschrank hält sich der ungeöffnete (!) BioNTech-Impfstoff fünf Tage bei Temperaturen zwischen 2 und 8 Grad, Moderna hält sich (ungeöffnet) 30 Tage unter diesen Temperaturbedingungen. Geöffnet, also wenn eine „Dose“, aus der der Impfstoff auf die Spritze gezogen wird, einmal „angebrochen“ ist, halten sich beide nur noch 6 Stunden.

Und damit kommen wir zum ersten Problem: Aus einer BioNTech-Dose kann man offiziell sechs Spritzen aufziehen (wer vorsichtig aufzieht, schafft sieben Spritzen), bei Moderna sind es zwanzig Spritzen. Was sich zunächst gut anhört, ist in der Praxis aber ein Nachteil. Auf der 6er-Basis lässt sich leichter planen, wie viele Patienten man einbestellen kann, um sie im laufenden Praxisbetrieb zu impfen (dazu weiter unten mehr). Bei Moderna sieht der Impfende sich dem Problem ausgesetzt, von vornherein am besten zwanzig Patienten zu impfen, denn alles, was man nicht an einem Tage verimpft, muss – wenn einmal geöffnet – entsorgt werden (siehe Haltbarkeit).

Bekommt die Praxis nur noch Moderna geliefert, kann man aber aus organisatorischen Gründen oder aus Kapazitätsgründen nur 10 Patienten impfen oder es kommen nur zehn Impfwillige, wird die Hälfte des Impfstoffs entsorgt und geht damit verloren, denn der Stoff ist nicht bis zum Folgetag haltbar (6 Stunden Haltbarkeit in geöffnetem Zustand).

Der eigentliche Impfvorgang incl. der Desinfizierung des Oberarms dauert, das wissen Sie aus eigener Erfahrung, kaum eine Minute, machte damit den geringsten Zeitanteil des gesamten Vorgangs aus. Dem Impfvorgang vorgeschaltet ist die „Aufklärung“ über das Impfen, den Wirkstoff und seine eventuellen Nach- und Nebenwirkungen. Besonders bei älteren Patienten, die oft verunsichert sind und einen hohen Informationsbedarf haben, kann das schon eine beträchtliche Zeit in Anspruch nehmen.

Nachgeschaltet ist die Dokumentation, zu der das Ausfüllen des Impfpasses gehört, das Ausstellen eines Impfzertifikats, die Registrierung des Vorgangs (Abrechnung) und die Dokumentation zwecks Meldung, denn die bestellte Menge an Impfstoff und die Anzahl der Impfungen müssen abgeglichen werden. Der Patient soll zudem etwa 15 Minuten nach der Impfung noch in der Praxis verbringen, falls eventuelle unmittelbare Nebenwirkungen auftreten oder Ereignisse im Zusammenhang mit dem Impfvorgang, etwa das Absinken des Blutdrucks oder Kreislaufprobleme, somit wird Raum in Anspruch genommen, der anderen Patienten nicht zur Verfügung steht. Diese Wartezeit muss also in die Terminvergabe einbezogen werden!

All die genannten Aspekte treten ständig auf und können im „Normalbetrieb“ und bei guter Planung durchaus bewältigt werden – zusätzlich zum üblichen Praxisbetrieb natürlich. Was allerdings auch bedeutet, dass die Kräfte, auch die der „Arzthelferinnen“, von anderen Tätigkeiten (Untersuchungen, Blut abnehmen, Verband legen, Patientengespräche) abgezogen werden, was die Wartezeiten für andere Patienten an dieser Stelle erhöht. Nun hat der (geschäftsführende) Gesundheitsminister aber entschieden, dass die Zuteilung des BioNTech-Impfstoffs kontingentiert werden soll, die Praxen demgegenüber hauptsächlich Moderna verimpfen sollen. Die Gründe für diese ad-hoc-Entscheidung sind unklar. Vermutet werden zwei Gründe: Die Haltbarkeit der vorhandenen Moderna-Chargen soll angeblich zur Mitte des ersten Quartals 2022 ablaufen; was bis dahin nicht verimpft ist, ist also „Müll“, der viel Geld gekostet hat. Zudem ist damit zu rechnen, dass die Stiko (Impfkommission) den BioNTech-Stoff bald für das Impfen von Kindern ab dem Alter von fünf Jahren freigibt, wogegen Moderna erst für Menschen ab 30 empfohlen wird. So mag es sein, dass Spahn BioNTech für die Jüngeren reservieren möchte.

Die Entscheidung des Noch-Ministers hat im „Alltagsgeschäft“ der Praxen katastrophale Folgen: Die bisherigen Impfpläne, also Termine, die mit Patienten abgesprochen worden sind, zum Teil zwei bis drei Wochen im Voraus, sind zu großen Teilen hinfällig. Einerseits weil die meisten Patienten sich bisher für eine dritte Impfung mit BioNTech entschieden haben, aber auf der anderen Seite unklar ist, ob zu dem abgesprochenen Impftermin der Impfstoff überhaupt vorhanden ist bzw. geliefert wird (Kontingentierung). Zudem ist es so, dass etliche Patienten verunsichert sind und entweder den Impftermin absagen, weil sie den Moderna-Stoff nicht wollen, oder in langen Gesprächen erst davon überzeugt werden müssen, dass auch eine Kreuz-Impfung beider Stoffe sinnvoll sein kann.

Konkret bedeutet das: Das Personal der Praxis ist über Stunden ans Telefon gefesselt, weil die alten Impfpläne nicht mehr funktionieren und neue Termine mit den Patienten abgesprochen werden müssen, was einen großen zeitlichen Aufwand bedeutet. Ärztlicherseits müssen die Aufklärungsgespräche wieder ganz neu aufgegriffen werden, weil vorausgegangene Gespräche zu BioNTech (bei der Erst- und Zweitimpfung) keinen aktuellen Informationswert mehr haben, wenn Moderna verimpft werden soll. Hinzu kommt die generelle Verunsicherung von Patienten, die durch die Impfstoffentscheidung des Ministers bewirkt worden ist, weil etliche Patienten Spahns metaphorische Aussage, wenn BioNTech der Mercedes sei, dann sei Moderna der Rolls Royce, für fadenscheinige Propaganda oder Sprücheklopferei halten. Dass sich auch diejenigen, die sich nicht impfen lassen wollen, in ihrer Haltung bestärkt sehen, versteht sich fast von selbst!

Hinzu kommt ein wichtiger Aspekt: Hausärzte genießen, anders als Fachärzte, zu denen man nicht regelmäßig geht, oft über Jahre das Vertrauen ihrer Patienten. Dies trifft in sehr hohem Maße für die Patienten zu, die bei Haus- oder Heimbesuchen betreut werden. Hausärzte sind die ersten Ansprechpartner der Patienten. Nun aber tritt Verärgerung auf, wenn Patienten den Eindruck haben, sie würden vom Arzt terminmäßig hin- und hergeschoben, bekämen auf absehbare Zeit vielleicht überhaupt keinen Termin, weil der Arzt nicht verlässlich sei. Dass die entstehenden Verunsicherung, der sich aufstauende Ärger, das Gefühl, vernachlässigt zu werden, zunächst dem angelastet wird, der einen Termin absagen muss, weil kein Impfstoff zu bekommen ist, liegt auf der Hand. Und dass der Alltagsbetrieb in einer Praxis durch Entscheidungen wie die von Jens Spahn vor große organisatorische Probleme gestellt wird ebenso, was aber von den Patienten nicht unbedingt gesehen wird. Dadurch entsteht zusätzlicher zeitintensiver Kommunikationsbedarf.

Vor allem aber: Durch die Entscheidung Spahns wird deutlich, dass der Gesundheitsminister keinen Blick für den Alltag in Hausarztpraxen hat, dass er also ein Ahnungsloser ist! Und es mag darüber hinaus Menschen geben, die ihn nicht nur für einen Ahnungslosen halten, sondern für einen Idioten wahlweise für einen Chaoten oder eine Knalltüte.

Ich finde etwas anderes entscheidender: Spahn verzögert durch seine Entscheidung den Impffortschritt, den er tagtäglich lauthals als unbedingt nötig bezeichnet und mit seiner marktschreierischen Aussage beschwört: Nach dem Winter ist jeder geimpft, genesen oder gestorben. An denen, die wegen Corona und mangels Impfung gestorben sind, hat Jens Spahn allerdings wegen der Impfverzögerungen seinen Anteil.

Ob man das dann Beihilfe zur fahrlässigen Tötung nennen muss, kann ich nicht beurteilen. Das ist eine Aufgabe für Juristen!

Wie inspirierend, erhellend, unterhaltend war dieser Beitrag?

Klicke auf die "Daumen Hoch" um zu bewerten!

Durchschnittliche Bewertung 0 / 5. Anzahl Bewertungen: 0

Bisher keine Bewertungen! Sei der Erste, der diesen Beitrag bewertet.

Weil du diesen Beitrag inspirierend fandest...

Folge uns in sozialen Netzwerken!

Es tut uns leid, dass der Beitrag dich verärgert hat!

Was stimmt an Inhalt oder Form nicht?

Was sollten wir ergänzen, welche Sicht ist die bessere?

Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
Meine Daten entsprechend der DSGVO speichern
3 Kommentare
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Ro.Bie.

Besser kann mans nicht zusammenfassen. Ich präferiere Knalltüte.

0
0