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Mittwoch, 24.11.2021.

Früher Morgen.

Kalte Nebelschwaden ziehen über einen Schrottplatz hinweg.


Foto privat – „Totems“ von Agustín Ibarrola, Halde Haniel, Bottrop

Die Chefin steht vor dem Tor im Dunst. Sie hält ein Klemmbrett in der Hand. „Arbeitsplatzzugangskontrolle“ steht auf einem Formular. Die Namen aller Beschäftigten ihres Betriebes sind fein säuberlich in Normschrift aufgelistet. Ein Untergebener nähert sich ihr.

„Morgen Christa.“

„Name?“

„Wieso fragst du nach meinem Namen, Christa? Noch nicht wach?“

„Den Namen bitte.“

„Ich bins, der Jupp! Erkennst du mich nicht?“

„Den ganzen Namen bitte.“

„Josef Brzoskowski, der Jupp!“

„Status?“

„Bitte?“

„Den Status, bitte!“

„Welchen Status?“

„Den 3-G-Status, bitte!“

„Ich bin gesund!“

„Also genesen…“

„Nein, ich war noch nie krank seit 37 Jahren, das weißt du doch. Also was soll diese Fragerei? Ich will auf’n Platz. Lass mich jetzt durch.“

„Halt! Einen Meter und genau fünfzig Zentimer Abstand halten bitte! – Geimpft?“

„Gegen alles Mögliche.“

„Bitte umgehend den Impfpass oder das Impfzertifikat zur Überprüfung und betriebsinternen Dokumentation vorzeigen.“

„Ich hab doch meinen Impfpass nicht dabei. Den nimmt man höchstens zum Arzt mit. Und was für ein Zertifikat überhaupt?“

„Es wird auch ein digitales Zertifikat akzeptiert. – Könnte ich bitte das digitale Zertifikat auf einem geeigneten Endgerät einsehen?“

„Worauf?“

„Auf einem Endgerät!“

„Ich habe kein Endgerät. Ich will an die Arbeit. Kann ich jetzt durch?“

„Ich notiere: Vertrauliche Bekanntgabe des Status gemäß der Einschränkung durch die DSGVO wurde verweigert. Damit vorläufige Einstufung in die Nicht-3-G-Gruppe.“

„Hä?“

„Bitte ein Schnelltestzertifikat von einer zertifizierten Teststelle vorweisen, das nicht älter als 24 Stunden ist…“

„Christa, ich war seit Wochen nach der Arbeit nirgendwo mehr. Wir waren doch bis abends hier voll am Malochen.“

„…oder ein PCR-Testzertifikat, das nicht älter als 48 Stunden ist.“

„Jetzt reichts mir: Das geht doch alles von meiner Arbeitszeit ab! Ich quäl mich jeden Tag ganz früh aus dem Bett, weil immer so viel zu tun ist, und du lässt mich jetzt nicht loslegen. Was soll denn das?“

„Ich protokolliere: Der Mitarbeiter verweigert die Kooperation. – Bestätigen Sie mir hier bitte mit Ihrer Unterschrift den Erhalt einer Abmahnung?“

„Eine Abmahnung? Wofür denn eine Abmahnung?“

„Es dürfen nur Personen mit gültigem 3-G-Status auf das Betriebsgelände. – Der Mitarbeiter kam seiner freiwilligen Nachweispflicht nicht nach. – Der Zugang zum Arbeitsplatz kann nicht gewährt werden. – Es wurde eine Abmahnung ausgesprochen.“

„Christa, du redest wie ein Roboter!“

„Der Bundestag hat alle Arbeitgebenden mit in die Verantwortung genommen. – Ich führe die Vorschriften zur Arbeitsplatzzugangskontrolle durch. – Die Pandemie der Nicht-3-G-Statisten muss mit allen Mitteln bekämpft werden. – Ich verhindere eine Katastrophe. – Seit heute wird protokolliert und gesetzkonform diskriminiert. – Ich rette Leben. – Ich bin eine vorbildliche Bürgerin. – Ich notiere: Die Gefahr eines exponentiellen Wachstums am Arbeitsplatz ist durch Herrn Brzoskowski zu befürchten. – Die Vergütung für heute wird bei der Monatslohnabrechnung in Abzug gebracht.“

„Was? Ich soll heute nicht arbeiten dürfen und bekomme auch kein Geld für den ganzen Tag? Christa, ich bin der Einzige, der die Schrottpresse bedienen kann! Ich geh morgens in den Führerstand und abends wieder raus. In dem Ding zieht es wie Hulle! Da regnet es sogar rein! Außer dir und mir ist hier niemand! Was soll da exponentiell wachsen?“

„Für das Protokoll: Exponentielles Wachstum wird abgestritten. Ein Wissenschaftsleugner! Gefährdung des Betriebsfriedens zu befürchten. – Ich muss Sie erneut abmahnen, Herr Brzoskowski.“

„Christa, du hast mich noch nie Herr Brzoskowski genannt. Ich arbeite schon ewig bei dir an der Presse! Ich mach doch nur aus lockerem Schrott gepressten Schrott! Was soll dabei plötzlich passieren? Kann gar nichts passieren!“

„Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales schreibt: «Auch nach Ende der epidemischen Lage nationaler Tragweite sind weiterhin Maßnahmen des betrieblichen Infektionsschutzes erforderlich. Die Beschäftigten müssen vor arbeitsbedingten Infektionsrisiken geschützt werden, gerade auch dann, wenn Tätigkeiten nicht in der Wohnung ausgeführt werden können. BMAS – FAQs zu 3G am Arbeitsplatz » – Die Schrottpresse steht nicht in der Wohnung, Herr Brzoskowski. Ihr Arbeitsplatz ist darum nur für Arbeitnehmende mit 3-G-Status zulässig. – Für das Protokoll: Herr Brzoskowski verbreitet den Verschwörungsmythos „Kann gar nichts passieren“ im Kollegenkreis. – Erneute Abmahnung. Hiermit erfolgt automatisch die fristlose Kündigung.“

„Christa! Christa! Es gibt hier keine Kollegen am Arbeitsplatz. Es gibt hier nur dich und mich! Seit 1984!“

„Ich habe nichts als meine Pflicht getan! – Ich lasse niemanden ohne 3-G-Status hinein! – Ich muss Gefahren abwenden! – Ich will Leben retten! – Ich will nicht sterben!“

Die Chefin dreht sich auf dem Absatz um und diffundiert in den Nebel hinein. Der Untergebene sinkt nieder und kniet vor dem geschlossenen Tor. Die Welt ist wieder ins Gleichgewicht gekommen. Alles wird gut.

 

Post Scriptum

Seit heute gilt die Dokumentationspflicht des 3-G-Status der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz durch den Arbeitgeber zu jedem Arbeitsbeginn. Der Impfstatus von Arbeitnehmern darf dabei aus Datenschutzgründen (Gesundheitsdaten) nicht direkt abgefragt werden. Die Angaben sind für die Arbeitnehmer freiwillig. Der Arbeitgeber muss trotzdem den Status ermitteln und dokumentieren. Bei Nichtauskunft folgen arbeitsrechtliche Konsequenzen: Der Zugang zum Arbeitsplatz muss verwehrt werden, bis der 3-G-Status festgestellt werden kann. Desweiteren können Löhne und Gehälter einbehalten werden. Die Zugangslisten sollen zu Kontrollzwecken mindestens sechs Monate lang aufbewahrt werden und dürfen aus Datenschutzgründen nicht länger als sechs Monate aufbewahrt werden. Die Datenerfassung kann digital erfolgen. Es gelten dann die verschärften Vorschriften für die Speicherung von personenbezogenen Daten nach der DSGVO. Bei behördlich durchgeführten Kontrollen am Arbeitsplatz muss jeder Arbeitnehmer seinen 3-G-Status mit Originaldokumenten vor Ort nachweisen können. Bei Verstößen gegen die Verordnung drohen Geldbußen bis zu 25.000,- €.

Bundessozialarbeiterminister Hubertus Heil hat die Ausführungsbestimmungen zur Eindämmung der epidemisch für beendet erklärten bedrohlichen Infektionslage am Arbeitsplatz praxisgerecht für alle Branchen ausgeführt. Dies gelang ihm und seinen Beamten auch aufgrund eines enormen Erfahrungsschatztes, den er sich in langjähriger Berufstätigkeit als Abiturient, Zivildienstleistender, Student mit Abschluss an der Fernuni Hagen und Politiker in der Realwirtschaft erworben hat. Folgerichtig ist Hubertus Heil Mitglied der Industriegewerkschaft IG Metall.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wurde vorhin vom lokalen Ortsverband der coronademokratischen Union als Ehrenkarnevalsprinz der Stadtmarketinggesellschaft Gelsenkirchen vorgeschlagen, denn von ihm stammt das Zitat:

„Am Ende des Winters ist jeder GEimpft, GEnesen oder GEstorben.“

GEnau! Helau!

Wetter-Reporter Phil Connors meint dazu:

„Als Chekhov den langen Winter sah, sah er einen trostlosen und dunklen Winter, ohne Hoffnung. Aber nun wissen wir, dass der Winter nur ein weiterer Schritt im Kreislauf des Lebens ist. Und hier stehe ich nun mit den Leuten aus Punxsutawney und sonne mich in der Wärme ihrer Herzen. Ich könnte mir kein besseres Glück vorstellen, als einen langen und schimmernden Winter zu haben.“*

*(Bill Murray in seiner Rolle als geläuterter Zyniker im Filmklassiker „Und täglich grüßt das Murmeltier„)

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12 Kommentare
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Mi.Rob.

„Am Ende des Winters ist jeder GEimpft, GEnesen oder GEstorben.“
U.u. ist das gar keine Politikerlüge, wenn sich z.b. weitere sogenannte „Verschwöringstheorien“ bewahrheiten und die sogenannte „Impfung“ gar nicht impft, sondern beizeiten letal „für mehr Klimaschutz“ wirken würde.
In Australien werden Impfunwillige ja nun in entsprechenden Anstalten verbracht und konzentriert.
Die neuen Regelungen aus Österreich finden bereits hierzulande grosse Zustimmung Naja, scheinbar war ja nicht alles schlecht…

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Heinz Niski

Ich frage nicht für einen Freund, sondern nur für mich, weil ich das verstehen will. Ich bin gegen Pocken, Tetanus, Polio, Gelbfieber, FSME, Cholera, Hepatitis, Diphtherie und zwei, dreimal gegen Grippe geimpft worden. Vielleicht auch gegen Masern, ich weiß es nicht mehr.

Ich habe mich beruflich und privat risikoreichen Tätigkeiten ausgesetzt, die mein Leben, meine Gesundheit gefährdeten. Ich habe geraucht, einen bunten Strauß an Drogen genommen, offen mit Asbest gearbeitet, eine (eingekapselte) Staublunge und Tuberkulose, habe einige Monate auf einer Isolierstation mit Hepatitis Kranken gearbeitet, hatte Kontakt zu Leprakranken, war Taucher, Motorradfahrer, wurde von vielen üblen Insekten gestochen, habe Prickel Pit und Ahoi Brause überlebt und kam bei der Güterabwägung Corona Impfung Für und Wider zum Schluss, dass es durchaus vertretbar wäre, mich impfen zu lassen.

Ich glaube nicht an einen großen Verschwörungsplan, ich glaube allerdings an eine große Überforderung unserer Politiker, unserer Gesellschaft.

Und ich glaube an eine irrationale Angst und Paranoia bei Teilen der Impfverweigerer, die zwar die Sinne schärfen für politische und medizinische Widersprüche und Ungereimtheiten, aber letztlich auch einen Teil zu einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung beitragen.

Was ist der entscheidende Grund, warum du dich nicht impfen lassen willst?????

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Mi.Robi.

Privatangelegenheiten breite ich im Internet nicht aus, sry.
„Irrationale Ängste“ sind aber immer die Ängste der Anderen während die eigenen Ängste immer echt und rational sind.

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Heinz Niski

@Mi.Rob.
du könntest dich aber doch emphatisch in die Situation eines anderen versetzen und von der vierten Wand aus kommentieren???

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Mi.Rob.

Niski

Klar. Meine Solidarität zeige ich ja jeden Tag, indem ich zu keinem Zeitpunkt Maske trage.
Denn in Zeiten der Pandemie gilt es, die Recourccen des Gesundheitssystems zu schützen. Und indem ich auf das Tragen einer MNB verzichte, komme ich seltener in die Situation wegen Atemnot behandelt werden zu müssen.
Dafür verleihe ich mir jeden Morgen selbst einen Orden für besondere Verdienste für mehr Menschlichkeit. 🎖
In einer Pandemie kann jeder einen Beitrag leisten – auch wenn dieser Beitrag sehr unterschiedlich aussehen sein kann.

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Heinz Niski

@Mi.Rob.

das werte ich als Umschreibung, dass du aus medizinischen Gründen (Allergie, Vorerkrankung o.ä.) nicht geimpft werden darfst. Übrigens ist Gelsenkirchen Gift für Asthmatiker oder Menschen mit Lungenproblemen. Also: entweder wegziehen oder die Situation vor Ort verbessern…. was sicher noch Jahrzehnte dauern würde.

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Di.Niew.

Es ist schrecklich….

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Ro.Bie.

@Die.Nie.

Was genau?

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Dir.Niew.

@Ro.Bie.

die Spaltung, der Wahn. Und wenn Du wirklich glaubst, daß die Ungeimpften an allem Schuld sind, kommen wir da nicht zusammen.
LG

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Ro.Bie.

@Die.Niew.

Das sind Themen, die sind hier nicht diskutierbar.

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Ro.Bie.

@Dir.Niew.
Stattdessen dann doch lieber das fürs Gemüt…

https://www.facebook.com/gutelaunehauswitten/photos/a.920983331251631/920983341251630/

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Dir.Niew.

@Ro.Bie.

sehr hübsch..

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