Jetzt sind sie endlich wieder da, diese aufgeständerten, angekleisterten und aufgehängten Botschaften, die uns sagen wollen, was und wen wir wählen sollen, oder sagen sollen, was und wen wir wählen wollen. Plakate, Plakate, Plakate!
Die wesentliche Eigenschaft von Plakaten ist, dass sie plakativ sind. Müssen sie sein, weil sie sich an viele richten. Und wer sich an viele richtet, kann und muss sich Subtilitäten sparen, sonst wären Plakate, die zumeist eine Komposition aus Farbe, Bild und Text sind, nicht das, was sie sind: Träger einer Wort-Bild-Botschaft. Mit der Besonderheit, dass der Sender (die Partei)übrigens nicht wirklich weiß, ob er den Empfänger überhaupt erreicht.
Aber genug der Theorie! Rein in die Praxis, werfen wir einen Blick auf einige Plakate der Saison!
Heute: CDU oder Der Kandidat ist nicht anwesend!
Nein, ich habe ihn nicht gefunden! Wen? Den Kandidaten. Ich habe mich bewusst auf die Suche nach ihm gemacht. „Es war sehr früh am Morgen, die Straßen rein und leer“, wie es so schön in einer von Kafkas Parabeln im ersten Satz heißt. Ich fuhr also am frühen Morgen quer durch die Innenstadt – von Ückendorf aus über die Einkaufstraße bis zum Hans-Sachs-Haus. Mit dem Rad. Ich wollte ja überall bequem anhalten können auf meiner Erkundungsfahrt. Sobald er auftauchen würde: anhalten und ein Foto machen.
Es soll ihn ja wirklich geben! Wurde mir jedenfalls zugetragen von glaubwürdigen Zeitgenossen! Aber es gibt auch glaubwürdige Zeitgenossen, die behaupten, den Yeti gesehen zu haben, zumindest aber seine Fußspuren! Auch melden sich immer wieder Zeugen, die das Ungeheuer von Loch Ness oder ein UFO gesichtet haben wollen! Ebenso wie Elvis schon mehrfach gesehen worden sein soll – John Lennon auch! Auch Jesus soll nach seinem Tod aufgetaucht sein – angeblich hat er mit einigen Leuten sogar gesprochen. Oder zu ihnen! Aber den Kandidaten habe ich nicht gesehen! Auf keinem Plakat! Dabei bin ich auf meiner Radtour an etlichen Plakaten vorbeigekommen – auch an solchen mit recht skurrilen Forderungen, wie etwa von einer „Tierschutzpartei“, die mehr „öffentlichen Verkehr“ fordert. Seien Sie nicht böse: aber mir schossen beim Lesen dieser Forderung ziemlich schrecklich-obszöne Bilder durch den Kopf! Sie wissen schon: „Die 120 Tage von Sodom“ des Marquis de Sade, 1975 verfilmt von Pier Paolo Pasolini (der letzte Film, den er vor seiner Ermordung drehte). Was ich allerdings entdeckt habe, waren Plakate mit Avataren des Kandidaten. Ein Plakat zeigte eine ältere Dame und eine Pflegerin. Es ging irgendwie um sichere Renten und gute Pflege im Alter. Das hat mir Angst gemacht! Auf einer aufgeständerten Plakatwand erzählte eine Frau, dass es Sicherheit nur gäbe, wenn man nicht über Sicherheit sprechen müsste. Ich habe über diese dialektische Weisheit echt lange nachgedacht. Man hätte auch schreiben können: Sicher ist sicher und doppelt gemoppelt hält besser! Oder so etwas in der Art! Dann schaute mich eine Laura an, die wollte mir, glaube ich, Rosen verkaufen! Und ein Mann mit weißem Radfahrerhelm wischte über Solarpaneele und erzählte etwas übers Klima – als wenn wir davon nicht genug tagein, tagaus ins Ohr getrötet bekämen.
Kurz und gut: Den Kandidaten habe ich auf keinem Plakat entdeckt! Warum wohl? Vielleicht ist er sich seiner Sache so gewiss, dass er meint, jeder kenne ihn sowieso! Oder er ist von seiner Partei zum Kandidaten gewählt worden, aber die Partei meint, sie holt mehr Stimmen, wenn sie ihn nicht auf Plakate bringt, sondern liebe seine Avatare. Dabei sieht er ja nicht wirklich abschreckend aus, böse oder aggressiv. Das nicht! Eher konturlos!
Jedenfalls war meine Radtour ein echter Schlag ins Wasser. In doppelter Weise: Erstens fing es an zu regnen und ich war in kürzester Zeit klatschnass. Und zweitens war meine Suche ja erfolglos. Und es ging mir der Titel von Kafkas bereits erwähnter Parabel immer noch durch den Kopf, als ich schon wieder zu Hause angekommen war: „GIBS AUF!“