5
(1)

Einst gab es nur die Smarties. Das sind vielfarbige Schokolinsen, die seit den 1960ern in Deutschland vor allem Zahnärzte erfreuen, wegen der kostenlosen Neukundenakquise bereits beginnend im Kleinkindalter. Die Dinger werden bis heute in einem verschlankten Klopapierkern angeboten. Warum eigentlich?

Jeff Smart war der Name eines Comic-Helden, der seit 1969 mit seinem Kumpel Fred Clever als besonders tollpatschiger Agent durch die Kindheit und Jugend so mancher Heranwachsender turnte. Clever & Smart war Kult bei denen, die sich über Dummheit freuten.

Namensgeber des ersten smarten Produktes war Anfang der 1980er der Erfinder einer Uhr, der Swatch, einer eigentlich nicht sehr schlauen Wegwerfuhr für das Handgelenk. Sie wurde von ihren nicht ganz so klugen Liebhabern folgerichtig im Dutzend gekauft, getragen, gesammelt oder mit der ersten leeren Batterie gleich mit entsorgt, damals noch im Hausmüll, wo sonst? Das wiederum war aus Sicht des Herstellers sehr schlau, konnte er doch eine ganze Generation heranwachsender Ahnungsloser alle paar Wochen mit einem neuen Modell anlocken und um das Ersparte erleichtern.

Galten zweisitzige Kleinstfahrzeuge mit Heckmotor nach dem Krieg noch als Notbehelf, so wurde Jahre später in den 1990ern die bewusste Verzichtskultur nach dem Motto „Weniger ist tatsächlich weniger“ mit dem Smart zu nicht marktfähigen Preisen auf die Straße gebracht. Namens- und Anstoßgeber dieses Produktes war der Fabrikant jener smarten Uhren. Er war allerdings so klug, sich rechtzeitig aus dem Projekt zu verabschieden. Das war wirklich smart, denn Geld wurde mit der Herstellung des Smart nicht verdient. Der Markenname wurde folgerichtig vor kurzem nach China verkauft, wo man kluge Autos spottbillig produzieren kann, sich aber sehr schwer tut bei der Auswahl von Produktnamen, die selbst nicht ganz schlaue Europäer auch aussprechen können.

Mit dem dummen Telefon von einst, hat das Smartphone von heute nicht einmal die Wählscheibe gemein. Das erste Smartphone kam aus China, gefertigt für Apple, diesen smarten Konzern, der zwar nichts selbst herstellen, aber seine ihm gläubig ergebenen Kunden mit beliebig hohen Preisen ausnehmen kann. Seit den Tagen des ersten iPhones wundern sich die Amerikaner, dass ihre Schulden gegenüber China ständig wachsen, was eigentlich keine Magie ist, wenn man alles in China herstellen lässt und im Fach Volkswirtschaft das erste Semester nicht komplett verpennt hat.

Seit dem Siegeszug des Smartphones ist die Welt geil auf alles, was als Vorsilbe diese smarten 5 Buchstaben trägt. Smart ist im Projektmanagement übrigens ein Akronym für Spezifisch, Messbar, Attraktiv, Realistisch, Terminiert. Und damit sind wir angekommen in der Welt der „Spieler“ und „Koteletthabenwoller“ auf der Suche nach „Anwendungsfällen“. Die Rede ist vom Open Innovation Lab (OIL) Gelsenkirchen, was man auch „Offener Neuheitenarbeitsraum Gelsenkirchen“ hätte nennen können, aber das klingt doof. Dessen Projektleiterin sucht gemeinsam mit dem CDO der Stadt Gelsenkirchen im neusten Werbevideo händeringend „Player“, „Stakeholder“ und „Use Cases“ für das Berger Feld. „CDO“ ist übrigens nicht eine verdrehte Abkürzung für den Coming Out Day, der jeden 11. Oktober begangen wird, sondern eine dieser lustigen Chiffren für Arbeitsplatzbeschreibungen.

Das Stichwort heißt „Vernetzte Stadt“ oder „Smartcity“. Die „Projektleiterin OIL“ von der comNET GmbH sagt, sie sei wirklich dankbar und offen für jede Idee zu einem Anwendungsfall. Gedacht habe sie dabei an die Kollegen in der Stadtverwaltung und an die Wissenschaft. Sie hoffe auf Fleischtopfinhaber aus der Wirtschaft und vielleicht sogar – hierbei scheint ihr Glaube an dem, was sie sagt, besonders klein zu sein – vielleicht sogar Ideen aus der Bürgerschaft. Vieles könnte man machen, es gebe Verbindungen und Konzepte und und und. Man könnte zum Beispiel im Berger Testfeld demnächst von Laterne zu Laterne laufen und von dort Wi-Fi 6-Empfang mit seinen Smartphones und Tablets haben, anstelle von G4+ oder G5 per Mobilfunk. Jede dritte Laterne werde zu einem Smart Pole ausgebaut und kann danach nicht nur Licht, sondern auch WLAN. Es wird also viele Player erfreuen, dass die Laternen mit Glasfaserkabeln im Boden verbunden werden, um Daten extrem schnell irgendwohin zu schicken.

Dies ermöglicht nun bereits den Schülern an der Gesamtschule, den Pegel an der Grundwassermessstelle abzulesen, ohne den Klassenraum verlassen zu müssen. Die Messung per Datenlogger sei, so formuliert es der Mitarbeiter des Referats Umwelt, „sozusagen Klimaschutz“. Das beeindruckt die Schüler sichtlich, die im Hintergrund das tun, was Schüler in der Mittelstufe schon immer taten, nämlich im Kreis herumzustehen und sich zu langweilen. Demnächst könnten die Schüler auf ihren Tablets noch mehr Daten beobachten und dann prüfen, ob ihre Beobachtungen mit den Daten auf dem Dashboard übereinstimmen oder nicht. So könnten die Schüler lernen, sich zu hinterfragen, wenn sie etwas anderes beobachtet haben, als das, was das Dashboard anzeigt, sagt die Pädagogin. Lerne deiner Beobachtung zu misstrauen und vertraue den Daten.

Die Stadt im Kleinen, mit der Arena, dem medicos-Rehazentrum, der Gesamtschule und einer Kita sei der ideale Spielplatz, um neue, smarte Anwendungen auszuprobieren, sagt auch der Mitarbeiter des Referats Verkehr, dessen Kapuzenpullover die Inschrift „ACDC – Highway to Hell“ trägt, was möglicherweise ein dezenter Hinweis auf das vermutete Scheitern der E-Mobilitätswende durch einen Mann vom Fach sein könnte. Der weitgehend menschenleere Arena-Park ist natürlich weder eine Stadt im Kleinen noch ausreichend vielfältig genutzt, um sinnvolle Anwendungen des Alltags oder des Straßenverkehrs auszuprobieren. Es ist eben ein „Real-Labor“ an einem Ort, der höchstens am Wochenende nennbare Besucherzahlen hat. So kann man an den anderen Tagen in Ruhe buddeln, schrauben und messen, ohne belästigt zu werden. Die Verkehrsplaner haben möglicherweise das Ziel, besser gesteuerte und beschleunigte Verkehrsströme bei der Abfahrt vom Parkplatz nach einer Niederlage der Blauen zu erreichen. Mit Wi-Fi 6 wird das sicherlich extrem beschleunigt.

Ob die Bratwurst und das Bier demnächst bereits bei der Anfahrt auf dem Parkplatz online vorbestellt und der Besteller anschließend in Echtzeit verfolgt wird, damit alles drei – Fan, Bier und Wurst – direkt nach der obligatorischen Ganzkörperabtastung ohne Zeitverzögerung zusammenfindet (die Bratwurst heiß, das Bier kalt, nicht andersherum) nichts scheint unmöglich. Man wird sich irgendwas einfallen lassen müssen, das die Dame vom Projektteam auch ganz toll finden wird. Das „OIL-Projektteam“ residiert übrigens in einem smarten Gebäude am Schacht Oberschuir, also weit weg von der Leere des Arena-Parks und dem Elend der Schalker Erfolglosigkeit.

Man merkt, es ist nicht leicht, sich irgendwas Smartes aus den Fingern zu saugen, das man auf den Wiesenflächen der weitläufigen Parkplätze ausprobieren könnte. Die Protagonisten im Video wirkten ein wenig inspirationslos. Wem etwas einfällt, möge sich dringend melden und helfen.

Wie inspirierend, erhellend, unterhaltend war dieser Beitrag?

Klicke auf die "Daumen Hoch" um zu bewerten!

Durchschnittliche Bewertung 5 / 5. Anzahl Bewertungen: 1

Bisher keine Bewertungen! Sei der Erste, der diesen Beitrag bewertet.

Weil du diesen Beitrag inspirierend fandest...

Folge uns in sozialen Netzwerken!

Es tut uns leid, dass der Beitrag dich verärgert hat!

Was stimmt an Inhalt oder Form nicht?

Was sollten wir ergänzen, welche Sicht ist die bessere?

Von Ali-Emilia Podstawa

Gelsenkirchen-Fan, Schreiberling*in, Nicht-Binär, Teil-Analog

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
Meine Daten entsprechend der DSGVO speichern
4 Kommentare
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Heinz Niski

Alles fing mit der Französischen Revolution an….. und der Beseitigung der feineren Lebensart, also schöner Wohnen, Essen, Trinken, Kleiden, Bauen….. und Sprechen. Statt Lutheraner Kauderwelsch, sprach man französisch am Hofe. Das rollte mit den abgeschlagenen Köpfen dann irgendwann aus.

Dieses Denglisch, der Glottisschlag, Schänder-Speak, all das ist die Sehnsucht des bürgerlichen „Adels“, nach Distanz zum Pöbel. Wenn schon nicht Französisch gesprochen werden kann, dann doch bitte in einer Fantasiesprache, die vorgibt, dass man polyglott ist, die im Ausland (sagt man das noch so…?) allerdings milden Spott auslöst.

Ich gehe davon aus, dass die Protagonisten des Filmes zu Hause auf dem Sofa aber selber kichern und glucksen, wenn sie sich und ihre seltsamen Auftritte sehen. So viel Humor werden die sicher haben.

0
0
Fra.Prez.

Das handwerkliche Filmchen und der „Sprech“ lassen jeden ARTE Zuschauer erschaudern.

0
0
Bernd Matzkowski

Diese ganzen Wortneuschöpfungen im Fake-Englisch in diesem Video – gut und schön! Als Traditionalist gefällt mir aber dieser Lichtpunktfuzzi Christian Lange (etwa bei Minute 3.0) mit der Wortschöpfung „Basisgrundlage“ am besten. Diese Formulierung muss sich nämlich hinter solchen Pleonasmen wie „vorläufiges Provisorium“ und „tote Leiche“ nicht verstecken! Auch die „Gesichtsmimik“ dieses „Einzelindividuums“ ist wie „neu renoviert“! Allerdings: Wenn man das jetzt alles „zusammenaddiert“, ist die Sprache schon ziemlich „nutzlos vergeudet“!
Schreibt ein „alter Greis“!

0
0
Den.Zitze

https://youtu.be/Y3buTe822BY. Dankt mir später für den Ohrwurm 👌

0
0