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War was? Ach ja, Pogrom Stimmung und Mob am 13.05.21 in Gelsenkirchen
Danach Mahnwachen, Demonstrationen, Solidaritätsadressen. The same procedure as every year und täglich grüßt das Murmeltier.

Der Gelsenkirchener Blogger-Podcaster Chajm Guski (Jude) tauscht sich mit Eren Güvercin (Moslem) Podcaster und Journalist über diesen Vorfall aus.
Für alle ohne Instagram Account, hier eine nicht autorisierte, sinngemäße, komprimierte Transkription des Instagram Podcasts „Wir müssen reden! Eine jüdisch-muslimische Reflexion über die letzten Tage“

Eren Güvercin:
Wie hast du den Aufmarsch des muslimischen Mobs wahrgenommen, die vor der Gelsenkirchener Synagoge „Scheiß Juden“ skandierten?

Chajm Guski:
Es ist ja nicht nur eine Synagoge, sondern gleichzeitig auch ein Wohnhaus. Ich habe es über die Twittermeldung der Polizei mitbekommen, die von einer Israel kritischen Demonstration sprach, die dort zwei Stunden festgehalten wurde. Es ist ärgerlich, wenn Kritik am Staat Israel vor der Synagoge stattfindet, Wellen schlug das aber erst, nachdem ein Video eines Bewohners dem Zentralrat der Juden zugespielt wurde. Für mich waren das Leute, die ein Pogrom anzetteln wollten. Wenn zusammengerottete, verbal aggressive Leute dort auf einen Juden treffen oder auch nur einen Menschen, den sie für jüdisch halten, kann die Situation schnell eskalieren. Es waren hauptsächlich Gelsenkirchener auf dieser nicht angemeldetetn Demonstration, die sicher nicht spontan entstanden ist. Diese Zusammenrottung von Menschen erschreckt, die wollen schließlich auch physisch etwas erreichen. Ich glaube nicht, dass es bei den verbalen Exzessen geblieben wäre.

Eren Güvercin:
Auch in den Tagen danach gab es viele antisemitische Demonstrationen, wenn ich die letzten 10 Jahre rekapituliere, stelle ich fest, dass es immer wieder zu solchen Ausbrüchen kommt. Gaza Krieg 2014, 2017 gab es ähnliche Bilder. Sobald im Nahen Osten eine Eskalation stattfindet, ploppt es hier wieder auf. Bleibt die angst in der jüdischen Community auch über diese tagesaktuellen Ereignisse hinaus?

Chajm Guski:
Ich nehme Deutschland als Hawai wahr, wir sitzen unter Palmen, schlürfen Getränke, aber im Untergrund brodelt es, da ist Lava, die jederzeit raus sprudeln kann. Und dann sind wir geliefert. Vielen Leuten ist seit spätestens 2014 im Hinterkopf, dass es Leute gibt, die auf einen Anlass warten, auf die Straße zu gehen. Die wollen nicht für den Frieden demonstrieren, sondern konkret gegen Juden. 2014 gab es meines Wissens nur Angriffe auf Synagogen, keine gezielten Angriffe auf Personen, aber viele halten es für möglich, dass es passieren wird.

Eren Güvercin:
Ich beobachte die Reaktionen der muslimischen Verbände und Religionsgemeinschaften, die ja sehr zurückhaltend sind, wenn es darum geht, die Tatmotive dieser Menschen zu benennen. Es gibt ritualisierte Pressemitteilungen, öffentliche Stellungnahmen, die wir seit Jahren hören. Josef Schuster vom Zentralrat der Juden schlug vor, diese antisemitischen Vorfälle zum Freitagsgebet in den Moscheen zu thematisieren. Man redet allerdings sehr ungern über Antisemitismus unter Muslimen, man redet darüber, dass es ein gesamtgesellschaftliches Problem wäre. Über den speziellen, religiös geframten Antisemitismus in bestimmtem Milieus redet man ungern. Wie nimmst du den Umgang der großen muslimischen Verbände mit dieser Thematik wahr?

Chajm Guski:
Ich habe gestern in der islamischen Zeitung einen guten Beitrag darüber gelesen, wie man in Deutschland mit dem lokalen Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis umgehen soll, der hier benutzt wird, um spezielle Subkulturen zu mobilisieren. Ich verstehe die Hilflosigkeit der Verbände, die früher stereotyp sagten, dass das mit dem Islam überhaupt nichts zu tun hat. So wie auch über diesen Demonstrations Mob gesagt wird, dass das keine Gelsenkirchener seien. Das ist die leichteste Aussage, um sich aus der Verantwortung zu nehmen. Die großen islamischen Verbände reagieren wie die Politiker, wie man es aus Aussagen gegen den Rassismus kennt: „das ist nicht Deutschland, wir müssen aufstehen gegen Rassismus, Antisemitismus, das ist ein Angriff auf uns alle“!

Eren Güvercin:
Wenn ich über Antisemitismus unter Muslimen spreche, glauben die Leute sofort, dass ich pauschalisiere. Ich rede aber über das Phänomen, dass es konkret Muslime waren, die antisemitische Hetze betrieben haben, dass man das nicht als gesamtgesellschaftliches Problem bezeichnen kann, sondern erst einmal seine Verantwortung übernehmen muss, bevor man den Problemkreis erweitert. Da sehe ich eine Zurückhaltung, die tiefer liegende Gründe hat. Antisemitische Narrative sind sehr stark verwurzelt, in den arabischen Medien wird das bedient, vor allem auch in den türkischen Serien. In den letzten 10 Jahren sind sehr aufwändig produzierte Serien über die glorreiche Osmanische Vergangenheit entstanden, die antisemitische Stereotype bedienen und von Millionen, vor allem junger Menschen gesehen werden. Wenn in den muslimischen sozialen Medien antisemitische Äußerungen fallen, bekommt man Zustimmung, allenfalls wird Geschwiegen, aber nie Widersprochen. Nur wenn aus der muslimischen Community selber heraus dies kritisch betrachtet wird, kann sich etwas ändern, von Außen aufgedrängte Diskussionen werden abgeblockt. Auch jüdisch-muslimische Begegnungen oder Bildungsarbeit allein, wird nichts ändern. In den ersten Tagen nach den jüngsten Vorfällen äußerte ich mich nicht und bekam Zuschriften wie „Warum schweigst du, du bist doch der Hund der Zionisten“. Als ich dann schrieb, dass man jedes Recht hat, die Politik Netanjahus, die Siedlungspolitik zu kritisieren, die humanitäre Lage in Gaza, aber dass es No Go Punkte gibt, das Existenzrecht Israels und dass man die Hamas nicht romantisieren darf, dann treffe ich einen wunden Punkt. Wenn du sagst, dass die Hamas eine Terrororganisation ist, stößt du auf Ablehnung. Unter der Oberfläche gibt es große Sympathie für die Hamas. Jeder weiß, wenn du Raketen abschießt, wird die Armee aus berechtigten Gründen zurück schießen, dennoch wird diese Selbstmordstrategie unterstützt. Diese tief sitzende Unmenschlichkeit auch gegen die eigene Bevölkerung soll nicht hinterfragt werden.

Chajm Guski:
Ich habe das Gefühl, dass diese Demonstranten sich auf den Islam beziehen, den als Mode-Gadget von Internet Plattformen mitnehmen, aber darüber nur etwas kompensieren müssen, das sind keine regelmäßigen Moscheegänger. Diese Menschen erreichst du über Moscheen nicht.

Eren Güvercin:
Bei den türkeistämmigen haben antisemitische Verschwörungsmythen eine große Tradition, sind sehr weit verbreitet und nicht begrenzt auf das religiöse Milieu, die gibt es sogar in linken Gruppen dort. Aber religiöse Gruppierungen bedienen diese Narrative in den sozialen Medien und mobilisieren darüber die jungen Leute. Man kann über Gemeinden beim Freitagsgebet versuchen, junge Leute zu erreichen, aber viele religiöse Vertreter verdrängen unverantwortlich das Thema.

Chajm Guski:
Ich kann, so wie viele sogenannte Nahostexperten leider auch kein arabisch, aber was ich aus Zweitquellen über die Hamas weiß, ist es Programm der Hamas, keinen Frieden zu wollen. Dementsprechend versuchen sie auch im Ausland zu verhindern, dass es jüdisch-muslimische „Kumpeleien“ gibt. Vertrauensvolle Beziehungen zwischen Juden und Moslems widersprechen den Interessen der Hamas.

Eren Güvercin:
Erdogan ist sofort auf diese Welle aufgesprungen und das wirkt in die türkische Diaspora nach Deutschland hinein. Der Anteil der türkeistämmigen bei diesen Demonstrationen war höher, als in der Vergangenheit, wo arabischstämmige Leute dominierten. Es hat über die türkischen Medien eine gewisse Mobilisierung stattgefunden und auch Nationalisten und graue Wölfe mischten sich darunter. Der Einfluss von Ankara ist spürbar.

Wie beurteilst du den jüdisch-muslimischen Dialog in Deutschland?

Chajm Guski:
Es gibt ein Projekt des jüdischen Zentralrates, das erreicht mich aber persönlich nicht, weil es eher Event orientiert ist. Es gibt zu wenig Gruppen, die sich lokal miteinander auseinander setzen, es liegt auch daran, dass es zu wenig jüdisches Personal gibt, die das in verschiedenen Städten machen könnten. Die Online Projekte scheiterten oft daran, dass eine Diskussion über den Palästina Konflikt nicht möglich war.

Eren Güvercin:
Gerade junge Leute reagieren allergisch auf Antisemitismus Vorwürfe und behaupten dann, dass man Israel nicht kritisieren dürfe. Wie kann man vermitteln, wann Israelkritik aufhört und Antisemitismus beginnt?

Chajm Guski:
Amos Os hat mal gesagt.. die Palästinenser führen zwei Kämpfe vor Ort, der eine ist legitim, es geht um einen eigenen Staat, ums eigene Leben, es geht darum sich selber zu organisieren, um selbstbestimmtes Leben und das auch formulieren zu können, zu sagen, dass der Staat Israel das nicht ermöglicht. Der zweite Kampf, der gleichzeitig geführt wird, nicht von allen, aber von vielen, ist, dass man alles haben will, dass man nicht will, dass der Staat Israel existiert. Das wäre antisemitisch. Oder wenn man sagt, die israelische Politik ist so, weil die Juden so sind. Wer sagt „wir können nicht so leben wie wir wollen, weil die Juden das nicht wollen“ muss lernen, dass das keine legitime Kritik ist.

Eren Güvercin:
Wie fühlt sich das an, wenn man als Jude automatisch als Stellvertreter Israels gesehen wird?

Chajm Guski:
Sehr oft wirst du auf die israelische Politik angesprochen. Ihr Ministerpräsident hat dies und das gesagt… tatsächlich ist die Verbindung jüdischer Menschen mit dem Staat Israel eine besondere, zum Teil aus religiösen Gründen, zum Teil weil der Staat Israel die Lebensversicherung für viele jüdische Leute ist. Dennoch sind wir nicht alle israelische Botschafter. Ich bin Zionist, weil der Staat Israel existieren muss, weil ich einen Rückzugraum für den Notfall haben muss.

Eren Güvercin:
Leute die antisemitische Hetze betreiben, teilen immer bestimmte Bilder einer jüdischen Sekte und behaupten, dass sie nicht antisemitisch sein könnten, dann wäre diese Gruppe ja auch antisemitisch.

Chajm Guski:
Die nennen sich Neturei Karta und sind eine Splittergruppe frommer Juden, die lehnen den Staat Israel ab, den dürfe erst der Messias gründen, es ist nur eine kleine Sekte. Die stellen sich auch mit Palästina Flaggen am Sabbat auf, fliegen gerne in den Iran, für die sind Muslime nur Werkzeug, um ihre Agenda durchzusetzen.

Eren Güvercin:
Beide Seiten profitieren voneinander. Im islamistischen Milieu wird so etwas gerne geteilt, um zu zeigen, dass man gegen Juden an sich ja nichts hat, sondern nur etwas gegen Zionisten. Die Protokolle der Weisen werden auch gerne zitiert…

Chajm Guski:
Es gibt einen religiösen Zionismus, der ein kleiner Bestandteil des heutigen Zionismus ist, im Kern des Judentums ist angelegt, dass man nach Jerusalem, aus dem man vertrieben wurde, zurück geht. Der größere Teil des Zionismus ist, dass man, weil man in allen europäischen Ländern nicht mehr gewollt war, selbstbestimmt leben wollte, nicht mehr unter der Regierung anderer. Daraus haben sich verschiedene Spielarten des Zionismus entwickelt, es gibt einen sozialistisch angehauchten, einen konservativen, es gibt einen verkopften „deutschen“ Zionismus mit viel Ordnung, all dies spiegelte sich in den israelischen Parteien wider. Die linken, unter denen es Kommunisten, Sozialisten, Stalinisten gab, spielen heute keine so große Rolle mehr in der Parteienlandschaft.

Eren Güvercin:
Zurück zu unseren Problemen vor Ort. Wie nimmst du den Umgang der Politik, der Öffentlichkeit, als deutscher Jude mit der Thematik wahr, nervt dich das oder freut dich das, dass man klar Haltung zeigt, bei Solidaritätsdemonstrationen, wo von jeder Partei jemand da ist?

Chajm Guski:
Das was die Politik liefern muss, liefert sie. Es gibt Bekundungen, Demonstrationen, ansonsten passiert nicht viel, bewegt sich nichts, was schließlich in die Tat umgesetzt wird. Die Bevölkerung interessiert das in großen Teilen wenig, es gibt ein, zwei Tage Aufmerksamkeit und dann ist das wieder vergessen.

Eren Güvercin:
Diese öffentlichen Signale sind schon wichtig, ich würde sie mir auch von den muslimischen Vertretern wünschen, die gibt es halt nicht. Muss so etwas nicht von unten kommen, von uns, wir haben keine Zeit auf die Politik zu warten.

Chajm Guski:
Das erste was man machen kann, sind Bündnisse zu schließen mit Leuten, die ähnlich denken, weil man sich nicht darauf verlassen kann, dass jemand ein großes gesellschaftliches Thema daraus macht. Innenminister Reul hat wohl gesagt, dass der Konflikt hierhin getragen wurde, hier ausgetragen wird. Ich sehe da aber eine andere Dynamik, hier wird etwas anderes ausgetragen als der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Wir müssen uns vernetzen, wir können nicht hoffen, das große gesellschaftliche Rad der Veränderung zu drehen.

Eren Güvercin:
Letzter Stichpunkt Antirassismusarbeit. Die sonst sehr vernehmbar sind, halten sich nicht nur auffällig zurück, sondern werfen mir z.B. vor, antimuslimische Ressentiments zu bedienen, wenn ich das Thema Antisemitismus unter Muslimen anspreche. Siehst du in der Antirassismus Szene auch eine gewisse Zurückhaltung?

Chajm Guski:
Bestimmte Diskurse in dieser Szene kann ich nicht verfolgen, weil ich sie nicht verstehe. Die haben eine Geheimsprache entwickelt, bestimmte Ecken in der Identitätspolitik bekomme ich nicht mehr mit. Ich kann deshalb keine qualifizierte Aussage treffen.

Aber es wurde kritisiert, dass es aus dieser Ecke wenig zu hören gab. Eine gemeinsame Demonstration von Israelis und Palästinensern, Juden und Moslems, mit Fahnen und der Forderung nach Frieden, wäre nicht schlecht.

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Von Heinz Niski

Handwerker, nach 47 Jahren lohnabhängiger Arbeit nun Rentner. Meine Helden: Buster Keaton, Harpo Marx, Leonard Zelig.

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6 Kommentare
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Mi.Rob.

Woanders werden Fakten geschaffen, um dann hinterher ganz erstaunt zu tun und zu erklären, dass man überrascht und tief erschüttert sei und so…

https://www.rnd.de/politik/islamunterricht-nrw-innenminister-verteidigt-zusammenarbeit-mit-ditib-SJZHYPAJPCYXJZI32FWOPCNQUY.html

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Ro.Bie.

Erschütternd, wie man Unvermögen manifestiert und so tut, als ob es nicht anders ginge, nur weil man offensichtlich ohnmächtig ist, um wirkliche Lösungen zu präsentieren. Und damit nur noch alles schlimmer macht.

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