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Anmerkungen  zur „Mahnwache“ vor der Gelsenkirchener Synagoge.

Dass mehr oder weniger von einem Tag auf den anderen zur Unterstützung der jüdischen Gemeinde und als Zeichen gegen die am Vortag mit Hassparolen gegen Juden durch Gelsenkirchen bis nahe an die Synagoge marschierten Demonstranten rund 300 Personen (laut waz) zur Versammlung gekommen waren, war ein positives Signal. Ein Signal, das hoffentlich auch der jüdischen Gemeinde, vor deren Gotteshaus die Versammlung stattgefunden hat, Mut und Trost gespendet hat. Einziger Störfaktor an diesem frühen Abend: ein Hubschrauber (der Polizei?), der minutenlang über dem Platz vor der Synagoge in der Luft stand und mit seinem Propeller manches Wort dröhnend ins Unverständliche rotierte.

Die Stimmung war friedlich, ruhig, stellenweise nahezu andächtig – ganz anders als der Klang aus von Hassgeschrei  wutverzerrten Mündern und den aggressiven Gesichtern und Gesten der Kundgebungsteilnehmer vom Vortag.

Diese Stimmung hat wohl auch Judith Neuwald-Tassbach so empfunden, die nach der Eröffnung der Veranstaltung sprach. Ein zentraler Satz ihrer Rede unter Bezug auf die antisemitischen Rufe vom Vortag lautete: „Diese hasserfüllten Menschen sind nicht Gelsenkirchen“. Ich glaube zu wissen, was sie mit diesem Satz sagen wollte, ich glaube, ihre Intention zu verstehen. Aber teilen kann ich diesen Satz nicht vollends!

Natürlich war das nicht Gelsenkirchen, aber die am Freitag Versammelten vor der Synagoge waren (und sind) auch nicht Gelsenkirchen. Beide Gruppen sind vielmehr Ausdruck einer gespaltenen Gesellschaft, einer Gesellschaft ohne gemeinsame Nenner, bestenfalls sehr lose verbunden durch ihre Eigenschaft als „Einwohner“.

Mich hat der Satz daran erinnert, dass er so – nahezu identisch vom Ansatz her – auch von Schalker Seite zu hören ist, wenn es darum geht, sich gegen Hooligans, Pyro-Zündler oder Schläger im oder vor dem Stadion abzugrenzen. Das sind keine Schalker, heißt es dann gebetsmühlenartig.

Doch: diese Gewalttäter, Rassisten, Schläger im Stadion, die oft zugleich Mitglieder in Fan-Gruppen sind, sind Schalker wie die Hassdemonstranten zu großen Teilen auch Gelsenkirchener sind. Wir können sie nicht wegleugnen, wie die Gefahr auch nicht weggeht, vor der das Kind die Augen verschließt in der Hoffnung, die Gefahr sei verschwunden, wenn man sie selbst nicht sieht oder per Definition einfach umbenennt.

Und es geht noch weiter! In beiden Fällen!

Sowohl die Schalke-Schläger mit blau-weißen Fahnen als auch die Hassdemonstranten, die türkische , libanesische und tunesische Fahnen schwenkten, sind hier nicht nur geduldet, sondern werden von bestimmten Kreisen umschmeichelt, als Bündnispartner gesehen, wobei man eben bestimmte Praktiken toleriert oder ausblendet. In dem einen Fall wegen der blau-weißen Religion und einer Fanclub-Zugehörigkeit, im anderen Fall wegen einer Religions- oder Kulturzugehörigkeit. Indem man aber (in beiden Fällen) wegsieht, schweigt, in falsch verstandenem Sinne toleriert, vergrößert man das mit Schweigegeboten belegte  Problem, überlässt Gruppen das Feld, die ihre ganz eigene Agenda verfolgen und den gegenwärtigen Konflikt für ihre Sache politisch ausbeuten wollen, so etwa die AfD.



Allerdings, das sei hier unbedingt als Fortschritt angefügt:

Eine bestimmte Schweigespirale wurde am Freitag durchbrochen, und dies gleich mehrfach: Ein Redner der GEW wies nachdrücklich darauf hin, dass wir endlich zwei Aspekte erkennen und anerkennen müssen: Sich im Kontext von Antisemitismus  ausschließlich historisierend mit dem NS-Regime zu befassen, reiche nicht (mehr) aus. Man müsse eben auch gegen „islamischen“  und „linken“ Antisemitismus vorgehen und diesen thematisieren – auch und gerade im Bildungsbereich. Ohne diese Aspekte greife auch die Beschäftigung mit den „klassischen“ deutschen Neo-und Alt-Nazigruppierungen nicht weit genug. Ungewohnte Töne!

Eine ähnliche Position trug auch eine Vertreterin des Jugendforums der deutsch-israelischen Gesellschaft vor, ergänzt um Aspekte, die sich kritisch mit den Haltungen gegenüber dem Staat Israel auseinandersetzten und antisemitische Töne unter dem Label der Kritik am Staat Israel verurteilten.

Auffällig war bei diesen Redepassagen der deutlich gedämpfte Applaus – vielleicht von einem Drittel der Anwesenden wurde geklatscht. Hier zeigte sich, dass auch ein „Riss“ durch die geht, die sich durchaus an die Seite unserer jüdischen Mitbürger stellen.

Auf der linken Seite ist es schon lange Tradition, die Palästinenser in Schutz zu nehmen, Terrortaten mit der Besetzung von Gebieten durch Israel zu begründen oder mit dem Siedlungsbau und die Palästinenser in die Rolle des Opfers zu stellen (Israelis, also Juden, behandeln sie demnach als  Menschen zweiter Klasse, die einstigen Opfer werden selbst zu Tätern, lautet der gedankliche Faden). Der muslimische Antisemitismus speist sich demgegenüber einerseits aus der Religion selbst, die sich über die anderen beiden abrahamitischen Religionen Judentum und Christentum stellt, andererseits auch aus der Rolle als vermeintlicher Verteidiger von Glaubensbrüdern.

Dass wir es hier zu einem großen Teil  mit einem Mietkonflikt zu tun haben, wird dabei gerne übersehen: die „Intifada“, zu der Terrortaten gerne hochgejazzt werden, entpuppt sich bei genauem Hinsehen als eine Art Stellvertreterkrieg, den die Hamas als verlängerter Arm Irans im Auftrag der Mullahs und von ihnen mit Waffen ausgestattet führt. Die Palästinenser fungieren  dabei als Stellvertreter des Iran nicht nur für die Vernichtung Israels, die sich der Iran als Aufgabe gestellt hat, sondern auch für den Kampf der Mullahs um eine Vormachtstellung  in der muslimisch-arabischen Welt.

Dass die Aktivitäten der Hamas gerade jetzt verstärkt werden, hat wohl wiederum zwei Gründe: einmal die jüngst ausgebauten Beziehungen Israels mit arabischen Nachbarstaaten, was die Palästinenser weitgehend in die Bedeutungslosigkeit treiben wird, und der Machtwechsel in den USA von TRUMP zu BIDEN, der sich nicht so eindeutig an die Seite Israels stellt wie der geschmähte Trump, der immerhin die Botschaft der USA nach Jerusalem umziehen ließ. In diesem Kontext sind die überall in Deutschland aufgeflammten Hassparolen-Demonstrationen so etwas wie politische Beiboote, funktionalisierte Kampfgruppen,  in einer Auseinandersetzung auf ganz anderer Ebene, die wiederum am Antisemitismus andockt.

Der hier nur kurz in Anknüpfung an die Reden bei der Veranstaltung umrissene Themenkreis ist voller Sprengstoff – auch und gerade für die, die sich am vergangenen Freitag an die Seite der Juden in unserer Stadt gestellt haben. Ohne die Differenzen in diesem Bereich überhaupt nur zu thematisieren, zieht man Grenzlinien, schwächt sich nach innen, aber auch nach außen, also gegenüber denen, die man nicht mit Klartext konfrontiert, und gegenüber denen, die auf  der Welle eines vermeintlichen Antisemitismus reiten, um gegen alles „Fremde“ zu hetzten.

Noch ein letzter Punkt: Es wurde betont, unsere jüdischen Mitbürger müssten unseren Schutz erfahren, etwa dadurch, dass regelmäßig Polizeifahrzeuge an der Synagoge stehen. Ja, dass Polizeifahrzeuge an der Synagoge stehen, ist richtig!

Aber dass sie überhaupt dort stehen müssen, das nicht! Das ist nicht Ausdruck einer Heilung, sondern Ausdruck der Krankheit!

 

 

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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And.Gill.

Wir können der Krankheit einen Namen geben, nämlich gescheiterte Integrationspolitik. Daran ändert auch die Symbolpolitik der kommunalen Parteien nichts. Daran ändern auch leider keine Pro Israel-Demos etwas. Der Antisemitismus ist so brutal, daß man ihn nicht in den Griff bekommt. Ein bunter Haufen birgt auch Gefahren. Aber wie gesagt, da sehe ich die Politik, insbesondere die Altparteien in der Verantwortung. Symbolpolitik löst das Problem nicht, sondern ist Wasser auf die Mühlen der AfD.

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Heinz Niski

Jahrzehnte wurden sinnlos verbrannt mit absurden Diskussionen über den Kulturrelativismus, über Leitkultur / Leidkultur, Assimilation, Integration, ob es eine deutsche Kultur gibt, dass das Kopftuch Emanzipation ist, Koedukation wurde ausgehebelt und und und. Heute geht es weiter mit neu entdeckten Rassismus Erkenntnissen, Dekolonialisierungs Sackgassen. Die Lebenswirklichkeit kümmert sich nicht um diese Glasperlenspiele und Elfenbeinturm Hocker. Die kommt hemdsärmelig, raumgreifend, fordernd daher. Ob manche zart besaiteten Politstrategen den rauen Wind der Straße aushalten… wohl kaum. Auslöffeln tun es andere.

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And.Gill.

gut und treffend formuliert. Die Suppe der Politik löffeln immer andere aus. Nur führt uns dies auch nicht zu der Lösung des Problems. Spannendes Thema, leider nicht unbedingt geeignet für Facebook, da die Diskussion lange Dialoge fördert/fordert. Und das geschriebene Wort kann auch falsch interpretiert werden. Ich bleibe dabei, Diskussionen um Leitkultur, Kopftuch usw. sind für mich gelebte Symbolpolitik. Jede dieser Diskussionen hat das Problem nicht gelöst, sondern verschärft.

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Heinz Niski

FEINDBILD JUDENTUM: „Antisemitismus gehört zur Bildungspolitik der arabischen Welt“ – Abdel-Samad

https://youtu.be/siR8aLchP68

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Ro.Wo.Bi.

Es werden gerade neue Bündnisse mit der DITIP geschmiedet. So wird dat nix.

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So.Jo.T.

Die Stelle, wo es heißt: „BIDEN, der sich nicht so eindeutig an die Seite Israels stellt wie der geschmähte Trump“ ist kritikwürdig. Denn: „Zuvor war die Dringlichkeitssitzung des 15-köpfigen Sicherheitsrates wegen einer Blockade der USA ohne eine gemeinsame Stellungnahme zu Ende gegangen.
Die Vereinigten Staaten sind der engste Verbündete Israels. räumte Israel ein Recht auf Selbstverteidigung gegen Raketenangriffe der Palästinenser ein. Das habe er (Biden) Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu auch in einem Telefonat zugesichert.“ Quelle: tagesschau
„Premierminister Benjamin Netanjahu hat selbst betont, das Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen werde noch „Zeit in Anspruch nehmen“. Offenbar will Israel der Hamas vor einem Waffenstillstand weitere abschreckende Militärschläge versetzen. Netanjahu will Härte zeigen, gleichzeitig steigen seine Hoffnungen, nach den jüngsten Wahlen in Israel doch noch eine neue Regierung bilden zu können. Derzeit ist Netanjahu nur Interims-Regierungschef. Der militärische Konflikt stärkt seine Position.“ Quelle BR, Warum alle Vermittlungsversuche bisher scheiterten, vom 14.05.21
Zwischenfrage: Betreibt Joe Biden damit auf sehr makabere Weise eine besondere Form der Wahlkampfunterstützung?
In der Kritik vonseiten der UN heißt es: „Trotz seines Rechts auf Selbstverteidigung müsse Israel aber maximale Zurückhaltung üben und das Völkerrecht beachten.
Dies gelte auch für die Situation in Ost-Jerusalem: „Wir fordern Israel auf, die Siedlungsaktivitäten, Zerstörungen und Vertreibungen, auch in Ost-Jerusalem, im Einklang mit seinen Verpflichtungen aus dem humanitären Völkerrecht einzustellen“.“ Quelle tagesschau a.a.O.
Die Kritik an der Haltung der USA führt zu der – hier in der GE-Kritik angesprochenen fatalen Situation der Spaltung einer Gesellschaft, wie hier so noch deutlicher vielleicht in Israel selbst, wenn es heißt: „Und dass sich die USA nach bisherigem Zögern noch auf ein stärkeres Engagement besinnen. Doch selbst das könnte bestenfalls Einfluss auf einen Teil des aktuellen Konflikts nehmen: auf die militärische Konfrontation zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen. Auf die zweite Dimension des Konflikts, die Auseinandersetzungen zwischen jüdischen und arabischen Bürgerinnen und Bürgern in weiten Teilen Israels, haben internationale Vermittler praktisch gar keinen Einfluss. Quelle: BR, a.a.O.
Zur weiteren Lektüre des Ausmaßes dieser Spaltung sei ein weiterer BR-Beitrag empfohlen, wo berichtet wird, wie der Konflikt in Steinewerfen und Synagogebränden rund um die Tage von Al Aksa kumuliert: „Viele arabische Israelis – sie machen rund ein Fünftel der Gesamtbevölkerung aus – sehen sich als Bürger zweiter Klasse, fühlen sich vom Staat diskriminiert und benachteiligt. Sie identifizieren sich auch nicht mit dem Land und haben keinen Respekt vor staatlichen Institutionen, erklärt Experte Singer in einem Kanal 11-Podcast: „Es ist eine Gesellschaft, der das Vertrauen fehlt. Und das fehlende Vertrauen ist ein Faktor, der Hetze begünstigt. Das fehlende Vertrauen in die israelische Regierung und in den Staat Israel und natürlich in die israelische Polizei.“ Quelle: BR, vom 14.05.21, Unruhen innerhalb Israels
Eine Gesellschaft, der das Vertrauen fehlt. Damit schließt sich der Kreis zu eurer Lagebeschreibung in Gelsenkirchen: Der „umrissene Themenkreis ist voller Sprengstoff“.
Ich würde mit Prof. Bude da ansetzen, wo es um die ausbleibende Solidarität, um das derzeit nicht vorhandene WIR in Deutschland geht. Daran gilt es zu arbeiten, dies zu finden. Die beiden, gestern beim WDR in der Aktuellen Stunde und in der LOKALZEIT RUHR befragten Professoren haben dazu ihre dezidierte Meinung kundgetan, dass dies gelingen kann, wenn man – wie hier – damit anfängt die Probleme konkret zu benennen, deutlich zu markieren und sich daran macht das Ganze zu abzuarbeiten. Ihr habt mit diesem Beitrag lobenswerterweise damit angefangen. Wer macht weiter?
https://www.tagesschau.de/ausland/nahost-reaktionen-103.html

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Mar.Kol.

Für mich fehlt bei vielen Menschen grundsätzlich der Wille auf Integration. Integration kann nicht nur einseitig gelebt werden. Leider fehlt uns Menschen großflächig das Bedürfnis in Frieden miteinander zu leben.

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