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Deutschland wird keine Hygiene-Diktatur.
Das Gesetz ist kein „Ermächtigungsgesetz“ wie 1933.
Das Gesetz setzt nicht die Grundrechte außer Kraft.
Das Gesetz legalisiert rechtswidrige Maßnahmen nicht.
Der Bundestag entmachtet sich nicht  selbst.                                    Es gibt keine Impfflicht.

Generell ist an vielen Beiträgen zum neuen „Infektionsschutzgesetz“  interessant, dass sie sich schon überhaupt nicht mehr mit der Sinnhaftigkeit der Grundlage für die beschlossenen Regelungen beschäftigen, sondern sich daran abarbeiten,  sie zu legitimieren und „sprachliche“ Angriffe abzuwehren, besonders Formulierungen wie „Ermächtigungsgesetz“ und „Corona-Diktatur“ oder Varianten davon. Dabei kommt es zu teilweise inhaltlichen, teilweise auch sprachlichen Kapriolen, denen nachzuspüren es sich lohnt.

Mir kommt es manchmal vor, als sei alles rund um das Corona-Thema bestens geeignet für Neusprech-Adepten und Framing-Infizierte. Dafür stehen Aussagen wie die, die Maske sei das neue Symbol der Freiheit (Söder) oder die unsäglichen Video-Spots der Bundesregierung über die „Corona-Helden“ (Ich wurde 2020 zum Helden, weil ich zuhause geblieben bin).  Dafür stehen aber auch Begriffe wie „Corona-Leugner“ oder neuerdings auch „Infektionsschutz-Leugner“. Wir kennen diese Wortschöpfungen des Framings bereits aus dem Klima-Kontext, nämlich „Klima-Leugner“, wobei ich niemanden kenne, der leugnet, dass es ein Klima gibt. Aber diese Leugner-Komposita sind natürlich konnotiert durch den Begriff „Holocaust-Leugner“, so dass sich eine (sprachliche) Kette auftut: Wer das Klima leugnet, leugnet sicher auch Corona und den Holocaust. Da müssen dann bei Protesten gegen bestimmte Corona-Maßnahmen der Regierung nur noch ein paar AfDler mitmarschieren und man kann das ganze Geschehen als von Nazis inszeniert eintüten.

Demokratie lebt vom Widerspruch. Ein Motto, zu dem ich uneingeschränkt stehe. Weswegen ich auch Beiträge, die hier Widerspruch zu Artikeln anmelden, sehr schätze, wenn sie die Debatte vorantreiben! Deshalb setze ich mich etwas ausführlicher mit der Thematik des vorangegangenen Kommentars zu meinem letzten Beitrag auseinander, weshalb eine reine Kommentarspalte mir nicht genügend Platz bietet. Ich hangele mich ein wenig an den oben angeführten Thesen (siehe Kommentar unter meinem Beitrag)  entlang, ergänzt durch Verweise auf andere Beiträge.

Deutschland wird keine Hygiene-Diktatur

Dieser Aussage stimme ich zu, der Begriff steht aber auch nicht in meinem Beitrag. Dort wird von Corona-Diktatur gesprochen. An diesem Begriff halte ich fest, weil die Änderungen im Gesetz ausschließlich auf die Corona-Pandemie fixiert sind, deren Bekämpfung hier alles unterworfen wird. Dies wird daran deutlich, dass die Inzidenzwerte von 35 bzw. 50 Neuinfektionen, bezogen auf 100 000 Einwohner in 7 Tagen, zum entscheidenden Kriterium für die Maßnahmen werden sollen. Diese Messzahlen sind aber nicht medizinisch-wissenschaftlich hergeleitet, sondern sind ausschließlich der Möglichkeit der „Verfolgung von Infektionsketten“ durch die Gesundheitsämter geschuldet. Sie sagen nichts über die tatsächliche Bedrohungslage aus, sondern lediglich etwas über den „Arbeitsstand“ der Gesundheitsverwaltung. Die ausschließliche Orientierung an dieser Messzahl ist unwissenschaftlich, weil sie andere medizinische Faktoren ausblendet, denn sie berücksichtigt nicht die Entwicklung der Pandemie selbst und die der wissenschaftlichen Fortschritte. Unabhängig davon, ob und wie viele Falsch-positive-Testungen und Falsch-negative-Testungen es gibt, und unabhängig davon, dass die Anzahl der Testungen selbst ständig schwankt, gehe ich davon aus, dass die „Dunkelziffer“ der „Positiven“ weitaus höher ist als die täglich vermeldete Zahl. Weil das so ist, wäre aber ein Betrachten der Anzahl derjenigen, die überhaupt Symptome zeigen, weitaus aufschlussreicher, ebenso die Betrachtung der Zahl der schweren Verläufe einschließlich der Zahl derjenigen, die beatmet werden. Ebenso wird nicht berücksichtigt, dass, so jedenfalls zahlreiche Mediziner, der Umgang mit den Erkrankten, besonders auf den Intensivstationen, auf Grundlage der bisherigen Erfahrungen durch Einsatz bestimmter Medikamente nun besser (also mit größeren Chancen für eine Genesung) gelingt.

Das novellierte Gesetz greift tatsächlich in Grundrechte ein – insofern diktiert uns eine Zahl, welche Freiheiten uns zugestanden werden und welche nicht. Durchaus nicht mit auch nur einem Hauch von Zynismus, denn jeder Tote ist einer zu viel und bringt Leid über Familien, Angehörige, Freunde und Mitmenschen, stelle ich mal – ohne Kommentar – Corona in eine Reihe mit anderen Todesarten (Angabe der Jahreszahl in Klammern):

Corona-Tote (an und mit Corona) im Zeitraum 12/ 2019 bis 18.11.2020: 13159

Suizid (2018): 9366

Verkehrstote (2019): 3046

Todesfälle im Haushalt durch Unfall (2017): 11002

Herzerkrankungen (2018): 345 300

Krebs (2018): 230 000

Atemwegserkrankungen (2018): 71700

 

Das Gesetz ist kein „Ermächtigungsgesetz“ wie 1933

Im Vorwort zur 3. Auflage seiner Schrift „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“ schreibt Karl Marx im 1. Satz: „Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“ An dieses Zitat habe ich mich erinnert, als ich die Artikel über die Verabschiedung des   Gesetzes gelesen habe, unter anderem auch die hier veröffentlichten Beiträge. War die Verabschiedung des historischen „Ermächtigungsgesetzes“ (korrekt: „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“) die Tragödie, so sehen wir hier nämlich die Farce.

 Das Gesetz ist kein „Ermächtigungsgesetz“ wie 1933. Natürlich ist es das nicht! Schon alleine deshalb nicht, weil 2020 nicht 1933 ist und weil wir keine faschistische Partei haben, die, gemeinsam mit einem Koalitionspartner wie damals die NSDAP, auf dem Weg ist, eine alleinige Herrschaft zu errichten, die fabrikmäßige Ermordung von Millionen Menschen (Holocaust)  zu organisieren  und einen Weltkrieg zu beginnen. Bei diesem Begriff schlagen die Kritiker seiner Verwendung nun etliche gedankliche Volten und sprachliche Kapriolen. Da ist von Verhöhnung der Opfer des NS-Regimes die Rede (wogegen man ansonsten keine Probleme damit hat, jeden Kritiker der Regierungspolitik als Nazi zu bezeichnen und unter diesen Begriff ohne jegliche Differenzierung oppositionelle Gedanken jeglicher Art zu subsumieren), davon, dass mit dem historischen Gesetz von 1933 der Weg in die Diktatur geebnet wurde (was richtig ist), um gleichzeitig festzustellen, dass der Begriff „Ermächtigung“ mehrfach im Gesetzestext auftaucht und ein „fester Begriff“ in der Rechtsprechung ist (siehe WAZ, 19.11.2020, S. WRP 1). Und es wird argumentiert, das Gesetz erlaube der Regierung nicht, Gesetze „selbst zu beschließen“, sondern gebe ihr „lediglich die Möglichkeit, für einen sehr begrenzten, klar definierten Zeitraum einige Grundrechte mittels Verordnung einzuschränken (…)“ (WAZ, 19.11.2020, Seite WPL 2).

Welche Binsen! In unserer Demokratie kann keine Regierung ein Gesetz beschließen, sondern dies tut immer die Legislative (das Parlament). Und das war genau das bisherige Problem. Das Corona-Kabinett  (im Grundgesetz nicht vorgesehen) hat, was eine Regierung kann, per Verordnungen „regiert“, am Parlament vorbei, ohne dessen Befragung und Zustimmung. Solche Verordnungen sind aber, wie etwa durch Landesregierungen erlassene „Beherbergungsverbotsverbote“, durch Gerichte kassiert worden, weil die gesetzliche Grundlage fehlte. Auf „tagesschau.de“ wird dieses Dilemma erläutert und seine Lösung dann ins Positive gewendet:

„Ziel der Gesetzesänderung ist es vor allem, bislang per Verordnung erlassene Corona-Maßnahmen gesetzlich zu untermauern und konkret festzuschreiben. So soll verhindert werden, dass einzelne Regelungen von Gerichten gekippt werden. Mit der Gesetzesnovelle wird nun ein neuer Paragraf eingefügt, der die möglichen Schutzmaßnahmen von Landesregierungen und Behörden konkret auflistet.“

Das bedeutet konkret, was die WAZ oben mit der lapidaren Feststellung, es würden lediglich Grundrechte mittels Verordnung eingeschränkt, meint. Es geht hier „lediglich“ um Grundrechte wie Artikel 8 (Versammlungsfreiheit), Artikel 11 (Freizügigkeit), Artikel 12 (Berufsfreiheit) und Artikel 13 (Unverletzlichkeit der Wohnung) und deren Einschränkung, die nun, auf der Grundlage des Gesetzes, per Verordnung durch die Regierung erfolgen kann und zugleich „gerichtsfest“ gemacht werden soll. Sprachlich werden in der „tagesschau“ dabei  – Achtung, Neusprech nach Orwell!- aus Grundrechtseinschränkungen per Verordnung „Schutzmaßnahmen“!

Die Brisanz ergibt sich dadurch, dass in das Gesetz ausdrücklich kein „Parlamentsvorbehalt“ aufgenommen worden ist, was bedeutet, dass das Parlament vor Inkrafttreten einer Verordnung keine Einflussmöglichkeit mehr hat, diese also nicht stoppen kann. Dass diese Verordnungen nur für einen gewissen Zeitraum gelten sollen, wird durch die Regelung der möglichen Verlängerung gleichzeitig wieder aufgehoben. Christian Lindner (FDP) nannte bei der (kurzen) Debatte im Bundestag deshalb das Gesetz einen „Freifahrtschein“ für die Regierung, weil ihm wohl das Wort „Ermächtigung“ zu kontaminiert erschien.

 Das Gesetz setzt nicht die Grundrechte außer Kraft.

Doch, tut es ! Nicht alle und nicht permanent, aber einige (siehe oben) und zeitweilig. Wobei die Problematik eben darin besteht, dass nun auf der Basis von Verordnungen und ohne direkte parlamentarische Kontrolle in Grundrechte eingegriffen werden kann. Hierzu nur zwei Anmerkungen:

Die Regierung hatte über Monate Zeit, dieses Gesetz nicht nur vorzubereiten, sondern der Bevölkerung zu vermitteln. Eile war nicht geboten! Nun aber wird genau der Zeitfaktor zum Argument, um ein Gesetz von großer Tragweite praktisch in wenigen Stunden im Bundestag und im Bundesrat verabschieden und auch noch vom Bundespräsidenten unterschreiben zu lassen. Ist nicht genau durch diese Vorgehensweise das Misstrauen erst entstanden, das man nun als Wasser auf die Mühlen von Verschwörungstheoretikern, Aluhutträgern und Durchgeknallten aller Art diskreditiert, um damit jegliche Kritik an diesen Maßnahmen in die politisch „rechte Ecke“ zu stellen?

Und zugespitzt gefragt: War der Bundesregierung im Sommer nicht bekannt, dass auch in diesem Jahr Herbst und Winter stattfinden würden und deshalb mit einem Steigen der Fallzahlen zu rechnen sein musste? Oder war man von den eigenen „Erfolgen“ so trunken, dass man glaubte, man habe – ohne Impfstoff – die Pandemie im Griff, weswegen Monate in Untätigkeit verbracht wurden, was Schutzmaßnahmen angeht (z.B. Belüftungssysteme oder Luftaustauschsysteme für Klassenräume und Kindertagesstätten)? Ist also dieses Gesetz letztlich nichts anderes als eine Reaktion auf die eigenen Versäumnisse?

Das Gesetz legalisiert rechtswidrige Maßnahmen nicht

Auf dieses Aussage gehe ich aus einem Grund nicht ein: Ich bin kein Verfassungsjurist. Ob das Gesetz ganz oder teilweise verfassungswidrig ist, weil es rechtswidrige Maßnahmen „legalisiert“, also etwa Grundrechte unzulässig einschränkt, müssen Verfassungsrichter entscheiden. Bisher ist nur klar, dass offensichtlich bereits mehrere Klagen gegen das Gesetz vorbereitet werden oder bereits vorbereitet sind.

Der Bundestag entmachtet sich nicht selbst

In dieser Allgemeinheit ist die Aussage sicher richtig. Was aber das neue Gesetz angeht, trifft   sie insofern nicht zu, als eben, wie bereits ausgeführt, ein „Parlamentsvorbehalt“ keinen Eingang in das Gesetz gefunden hat. Dies ist ein Stück Selbstentmachtung des Parlaments.  

Es gibt keine Impfpflicht

Der Begriff „Impfpflicht“ taucht in meinem Beitrag nicht auf. Der Feststellung kann ich zustimmen! Zumindest in diesen Tagen noch!

Schlussbemerkung:

Wir leben in verdrehten Zeiten: Im Bundestag tritt die AfD auf als Verteidigerin der Grundrechte und wird dafür aus den Reihen anderer Fraktionen beschimpft. Ich hätte erwartet, dass der Protest aus allen Fraktionen des Hauses gegen das Gesetz und die Verfahrensweise der Regierung so laut wird, dass man die Stimmen der AfD überhaupt nicht hört. Ich hätte erwartet, dass die, die sonst in vorderster Reihe stehen, wenn es gilt, vermeintliche oder tatsächliche Angriffe auf die Demokratie abzuwehren, vor dem Bundestag protestieren und die Wahrung der Grundrechte lauthals einfordern. Stattdessen hört man Stimmen, die fordern, dass man bestimmten anderen Gruppen nicht erlauben soll, für die Grundrechte einzutreten, weil es offensichtlich „gute“ und „schlechte“ Rufer für die Grundrechte gibt! Um auf Marx zurückzukommen:

Wir leben im Moment nicht in einer politischen Tragödie, sondern schon eher in einer Farce!

                                                                                            

 

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Ro.Wo.Bi.

In der Kürze läge die Würze. So wie ich Merkel verstand, sagt sie: Je länger wir hier mit dem weichen Lockdown herumdoktorn, umso länger wirds am Ende dauern. Das stimmt.

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