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Laut ARD-Deutschland-Trend vom 2.4.2020 (siehe: www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/index.html) sind 72% der Deutschen mit dem Corona -Krisenmanagement der Bundesregierung zufrieden oder sogar sehr zufrieden; mit der Arbeit der Bundesregierung insgesamt sind 63% zufrieden oder sehr zufrieden. Diese Ergebnisse spiegeln  sich in den Meinungstrends („Sonntagsfrage“) ebenfalls wider, denn dort stehen CDU und CSU so gut da, wie schon lange nicht mehr – alle anderen Parteien verlieren ( etwa die AfD) oder bleiben stabil (etwa die SPD) auf niedrigem Niveau.

Ich will diese Umfrageergebnisse überhaupt nicht in Zweifel ziehen, sondern zunächst einmal nur meiner Verwunderung Ausdruck geben. Folgen die Deutschen hier der allgemein bekannten Tendenz, in Krisenzeiten die jeweilige Regierung zu unterstützen, weil die Befürchtung besteht, eine Kritik an der Regierung oder sogar deren Ablösung könne die Krise noch vergrößern? Zeigen sich hier Wesenszüge des „autoritärerer Charakters“, wie er von Fromm und auch Adorno beschrieben worden ist?

Wird angesichts des permanenten „Handelns“ der Regierenden bzw. der medialen Vermittlung, die Regierung „handele“, deshalb überhaupt nicht mehr die Frage gestellt, ob das „Handeln“ der Regierung nicht nur eine Reaktion auf die von ihr selbst zu verantwortenden Versäumnisse ist, „Krisenmanagement“ hier also nicht mehr ist als Fehlerverschleierung und Mängelverwaltung? Oder hat das Corona-Virus schlicht und einfach auch den Verstand vieler Menschen ausgeschaltet, so dass darin die Erklärung für die Einschätzung des Regierungshandelns zu finden ist?

Sicher ist es noch zu früh, eine Gesamtbilanz ziehen zu können, aber Elemente eines „Halbjahreszeugnisses“ kann man durchaus formulieren!

  1. Spätes Reagieren

Als sich schon abzeichnete, dass „corona“ kein auf China – und später dann Italien – einzugrenzendes Problem war, pinselten die Verantwortlichen in Deutschland immer noch das Bild, die Probleme dort seien nicht mit Deutschland vergleichbar, vor allem, weil unser „Gesundheitssystem“ besser aufgestellt sei. Maßnahmen, die in anderen Ländern, etwa Südkorea schon ergriffen worden waren, wurden hier als nicht nötig, wenig sinnvoll und nicht machbar oder nicht wünschenswert verkündet (Grenzschließungen, Einreisebeschränkungen).

So meinte Kanzlerin Merkel noch in der ersten Märzhälfte, am 11.3.2020, verkünden zu müssen, Grenzschließungen seien keine „adäquaten Maßnahmen“.  Bis sie dann schließlich doch eingeführt wurden und offensichtlich machbar waren, was Merkel während der „Flüchtlingskrise“ 2015/2016 ja bestritten hatte.

Jens Spahn wiederum ließ sich bis zum 1. April Zeit damit, die Einreise per Flug aus dem Iran zu untersagen. Bis dahin konnte man  ohne Kontrolle an den Flughäfen deutschen Boden betreten, wenn man aus dem Iran kam.

Als drittes Beispiel können die „Mundschutz-Tücher“ dienen. Bis zum 3. April wiederholt Prof. Wieler vom RKI, einer der Ratgeber von Jens Spahn und Angela Merkel, gebetsmühlenartig seine These von der Unsinnigkeit von „Mundschutz-Tüchern“, um dann  – unter einem Wortschwall und ohne jegliche Form der Selbstkritik an der bisherigen Haltung – in einigen verdrucksten Äußerungen die Sinnhaftigkeit dieser Tücher zum Schutz anderer zuzugestehen. Und Wirtschaftsminister Altmaier führte im Gespräch mit BILD, sozusagen im Nachgang, dann plötzlich  aus: „Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir sehr viel mehr Masken brauchen werden. Nämlich nicht nur die medizinischen Masken für die Ärzte, für das Pflegepersonal in den Krankenhäusern, in den Altenheimen, in den Pflegeheimen, sondern eben auch im Alltag, in den Betrieben, in den Werkstätten“.

Von gutem Management kann man hier wohl kaum sprechen. Besonders am Beispiel der Masken zeigt sich die Problematik des wenig vorausschauenden Handelns, denn mittlerweile sind Masken, auch die einfachen Schutzmasken, ein rares Gut geworden, das in der gegenwärtige Situation  für vielfach höhere Preise als zuvor auf dem Weltmarkt erworben werden muss. Dass in der verlorenen Zeit besonders das Personal in den Pflegeheimen und bei den mobilen Pflegediensten häufig ohne Masken , die  unter normalen Umständen nach einmaligem Gebrauch entsorgt werden (müssen), in Kontakt mit einer besonders gefährdeten Altersgruppe gekommen ist, soll hier nur erwähnt und nicht weiter problematisiert werden.

Was gerne als Management vermittelt wird, ist oft nichts anderes als das Handeln nach einem Versagen! Dieses besteht z.B. in der unzureichenden Ausstattung mit fast allem, was zu einer effektiven Bekämpfung der Pandemie nötig ist: Schutzausrüstungen, Desinfektionsmittel, Labor- und Testkapazitäten sowie entsprechendes Material (etwa Röhrchen).

Die täglichen Berichterstattungen in den Fernseh-Nachrichten, aber auch der Presse überhaupt rücken zumeist die Situation in den Krankenhäusern und dort wiederum auf den Intensivpflege-Stationen  in den Mittelpunkt, weil hier in dramatisierter und dramatisierender Form „Bilder“ geliefert werden können.  Die erste „Frontlinie“ bei der Virus-Bekämpfung sind aber die Hausärzte und daneben die Kräfte in den Pflegeheimen und den mobilen Pflegediensten und nicht die „Spitzenmediziner“ der Unikliniken. Genau diese Kräfte der ersten Frontlinie  sind von der Regierung im Stich gelassen worden (Materialmangel). Dieses Versagen des Regierungshandelns wird nun dadurch übertüncht, dass man die Pflegekräfte zu Helden deklariert und Bonuszahlungen anregt – beides schützt die Handelnden aber nicht vor einer Infektion!

  1. Anpassung an die Realität, Schlingerkurs oder Planlosigkeit?

Die besonders von Jens Spahn bevorzugte und bereits häufig wiederholte Exkulpationsstrategie bei kritischen Nachfragen zur wechselnde Abfolge von Maßnahmen  ist der Verweis darauf, man habe ja immer betont, die verkündeten Maßnahmen seien zum jeweils gegebenen Zeitpunkt und auf der Basis der momentanen Einschätzung erfolgt. Das mag zutreffend sein, aber dass man Entscheidungen nicht im luftleeren Raum treffen soll ist banal und selbstverständlich  –  mit Management hat das jedoch wenig zu tun!

Management heißt wohl in erster Linie, über den Suppentellerrand hinauszuschauen – und dies sowohl in zeitlicher als auch in örtlicher Hinsicht, also vorauszuschauen und auf die Entwicklungen in anderen Ländern zu blicken, also deren Strategie zu bewerten und die eigene damit abzugleichen. Management heißt weiter, eine Strategie zu verfolgen, deren Zielsetzung und deren Ende man umrissen hat. Und Management heißt auch, Ziel, Weg und Maßnahmen transparent zu machen. Genau dies hat die Regierung aber nicht oder nur unzureichend getan – ganz offensichtlich gefangen in den Ratschlägen, die wesentlich vom RKI gekommen sind.

Es muss sich deshalb der Eindruck festsetzen, dass die Regierung  Tagesentwicklungen nachhechelt und dabei fixiert ist auf die tägliche Verkündung von Zahlen.

Nachdem zunächst, später als in anderen Staaten, etwa dem benachbarten Österreich, zögerlich Beschränkungen vorgenommen wurden, wurde dann der lock-down ausgerufen, wobei die Regierung stets als Anhängsel der Landesregierung Bayerns erschien, die wiederum mit zeitlicher Verzögerung zu Maßnahmen griff, die bereits in Österreich an der Tagesordnung waren. Schließlich  wurde nahezu das gesamte öffentliche Leben stillgelegt, ohne zu fragen, ob dies überhaupt sinnvoll ist. So kritisiert etwa der Virologe  Prof. Hendrik Streeck, dass einige der Maßnahmen überhaupt nicht faktenbasiert getroffen worden sind und es so – völlig unnötiger Weise – zu Geschäftsschließungen gekommen ist (siehe zu Streeck etwa hier).

Zugleich bleibt festzuhalten, dass diese Maßnahmen auch Ausdruck eines Mangels sind, nämlich eines Mangels an Tests und an Möglichkeiten, Infektionswege zu erfassen (Datensammlung). Die Staaten, denen es bisher gelungen ist, die Ausbreitung des Virus einzudämmen, haben dies ohne einen kompletten lock-down, aber auf der Basis von Massentestungen und Datensammlungen geschafft (Südkorea, Japan). Nicht nur im laufenden Prozess zeigt sich ein Mangel an Management in Deutschland, sondern auch im Vorfeld des Ausbruchs der Krise überhaupt. Dies hat u.a. seine Ursache darin, dass in den letzten Jahren das deutsche Gesundheitswesen unter der Vorgabe der ökonomischen Effizienz an Qualität und Quantität (etwa Schließung von Krankenhäusern) eingebüßt hat und staatlicherseits  Vorbereitungen auf eine Pandemie ausgeblieben sind, obwohl das RKI bereits vor Jahren in einer Studie eine solche Pandemie simuliert hat.

Managementqualitäten sehe ich auch nicht im Kontext der Einschränkung bürgerlicher Grundrechte, die mit dem Kontaktverbot und anderen Maßnahmen letztlich verbunden sind – ganz unabhängig von der tatsächlichen Wirksamkeit dieser Maßnahmen. Es ist nicht nur  ein Mangel an unmittelbarer Beteiligung der Bevölkerung im Entscheidungsprozess festzustellen, sondern auch eine Selbstentmachtung der Parlamente (Bundestag, Landtage), da nahezu ausschließlich auf der Ebene der Regierung, also der Exekutive, Maßnahmen entschieden worden sind.

So bestand nahezu überhaupt nicht die Möglichkeit, andere Strategien, etwa die der Schweden, die auf ein komplettes Herunterfahren des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens bisher verzichtet haben, als mögliche Alternativen zu diskutieren, da der Druck der faktischen Entwicklung so groß geworden war, dass für einen demokratischen Prozess keine Zeit vorhanden zu sein schien.

Dass dieser Druck überhaupt erst dadurch entstanden ist, dass die Epidemie unser Land völlig unvorbereitet getroffen hat und das zögerlich-verharmlosende Verhalten der Regierung zu Beginn der Entwicklung die Dramatik verschärft hat, bleibt außen vor.

 

  1. Die positive Einschätzung der Regierungsarbeit beruht – meiner Ansicht  nach – zu einem großen Teil auf den getroffenen bzw. angekündigten wirtschaftlichen Maßnahmen. Dass diese Maßnahmen sicherlich an vielen Stellen und für viele (kleine) Betriebe und große Teile der Bevölkerung im Moment hilfreich sind, steht auch für mich außer Zweifel. Allerdings wird der Eindruck erweckt – und soll erweckt werden – der Staat habe gut gewirtschaftet. So jedenfalls das Mantra von Olaf Scholz, der meint, man könne sich diese Millionen und Abermillionen leisten, weil die Regierung in den letzten Jahren gut gewirtschaftet habe. Nun, der „Staat“ erwirtschaftet zunächst einmal nichts, sondern er agiert mit dem Geld der Steuerzahler, denn diese erwirtschaften den Reichtum der Gesellschaft. Die Riesenbeträge, die jetzt ausgeschüttet werden, sind nichts anderes als die Steuereinnahmen der Vergangenheit, vor allem aber die der Zukunft. Einer Zukunft, die, je nachdem wie lange die „Korona-Krise“ noch andauert, nach ersten Berechnungen bis in die 2040er Jahre reichen wird. Meint: Wir bekommen hier von der Regierung kein Geld geschenkt, sondern müssen die jetzt getätigten Ausgaben bis in die 40er Jahre über unsere Steuerleistungen wieder zu Einnahmen des Staates machen.

Über einen „Corona-Soli“ wird ja bereits laut nachgedacht! Die Rechnung wird man uns noch ausstellen! Die Zeche werden wir bezahlen müssen!

Wer das als gutes oder sehr gutes Management der Regierung sehen will, mag das so sehen! Mir kommt da eher Bertolt Brecht („Kälbermarsch“) in den Sinn:

Hinter der Trommel her trotten die Kälber. Das Fell für die Trommel liefern sie selber.

 

 

 

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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So.Jo.

Vielen Dank für die ausführliche Kritik. Ich hatte auch die Idee zu einer solchen, als ich von dem RKI Bericht aus 2012/13 erfuhr. Und zwar an der Stelle als ich auf dem BundestagsPortal in „DIP21 Extrakt“ las, dass dem Gesundheitsministerium und dem Gesundheitsausschuss der Bericht gar nicht vorgelegt worden war. Das erklärt vielleicht etwas, die hier dargelegte, fehlende Vorbereitung des Spahn-Ministeriums.

Laut – Vorgangsablauf – haben nur die BReg., das BI-Ministerium, sowie der Innen- und der Umweltausschuss den Bericht vorgelegt bekommen. Und als ich sah, dass der Innenausschuss auf eine Berichterstattung verzichtet hatte, dachte ich: Jetzt schlägt es dreizehn! Es hat sich wohl niemand wirklich mit dem Bericht ernsthaft beschäftigt! Das ist ja die Höhe.

Diese Ignoranz setzt sich zu Beginn des Jahres 2020 fort, als erste Corona-Fälle vom Klinikum München Schwabing im Januar 2020 mit Hilfe aus Berlin von Prof. Drosten untersucht wurden, was im aktuellen Bericht steht, der jetzt erschienen ist.

Was wäre mein Fazit daraus: Mit Machiavelli würde ich sagen: Die Menschen seitens der Politik im Unklaren zu lassen, zu täuschen, zu hintergehen, dass sie es aber nicht merken, wäre anzuraten. Das scheint hier geklappt zu haben. Man hätte es wissen können und man hätte sich vorbereiten können.

Fragt sich nur, wo die Vierte (publikative) Gewalt ist, wenn man sie mal braucht. Wurde Spahn je in den Medien danach gefragt, ob er den Bericht kannte und warum er keine Vorbereitungen traf? Ich glaube nicht.

Bleibt die Frage, ob jemand gegen das Spahn-Ermächtigungsgesetz vor das Bundesverfassungsgerichts zieht, weil es verfassungswidrigerweise dem Parlament grundlos seine Kompetenzen entzieht? Muss das schon wieder Gerhart Baum machen oder hat noch jemand anderes ein vergleichbares Verantwortungsbewusstsein?

http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP17/503/50323.html

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So.Jo.

Auf S. 2 des RKI-Berichts 2012 wird ausdrücklich eingefordert:

Die Risikoanalyse „stellt den Ausgangspunkt für den notwendigen Diskurs der Risikobewertung in Politik und Gesellschaft und für die Entscheidung über Maßnahmen des Bevölkerungsschutzes dar.“

https://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/120/1712051.pdf

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