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Immer häufiger werden wir in den Medien daran erinnert, dass in ein paar Wochen die „Europa-Wahl“ stattfindet, wobei schon der Begriff selbst irreführend ist, denn wir wählen nicht „Europa“, wie einst, dem Mythos nach, der in Stiergestalt erscheinende  Zeus jene Tochter Europa des phönizischen Königs Agenor, sondern wir wählen lediglich Abgeordnete des Europa-Parlaments, das sich nicht nur durch seine besonders große Zahl an Abgeordneten auszeichnet, sondern auch dadurch, dass kein anderes Parlament in demokratischen Staaten so wenige Rechte hat wie dieses.

Kaum ein Nachrichten-Tag, an dem nicht in den gebührenfinanzierten Sendern ein kleiner Hinweis auf diese Wahlen untergebracht wird, keine Sendeminute ist zu schade, um uns Bilder von Zusammenkünften europäischer Granden ins Haus zu liefern und uns zu zeigen, wie der greise Jean-Claude Gäste betatscht oder abschlabbert. Verschwörungstheorie-Freunde könnten glatt auf die Idee kommen, es gäbe einen  Deal zwischen der EU und England, den Brexit auf jeden Fall in die Länge zu ziehen, weil sich dann noch jede Menge Beiträge produzieren lassen, in denen das Wort „Europa-Wahl“ vorkommt.

Und auch die Vorboten des „Straßenwahlkampfs“ sind bereits zu sehen: Pappen an Laternenpfählen, Plakate auf Reklametafeln und riesige Aufsteller, die ihren Platz an Kreuzungen und auf mit Hundekot verzierten Wiesenstücken gefunden haben.

Es gibt viele Zeitgenossen, die sich über diese Plakatier-Schandtaten ereifern und sich durch sie belästigt fühlen. Ich gehöre nicht zu diesen Mitbürgern. Ich finde, dass diese Plakate sinnvoll sind, gerinnt auf ihnen doch der laufende Schwachsinn der meisten Parteiprogramme zu mundgerechten Häppchen, die, einmal durchgekaut, den Kern der Parteiprogramme wie ein Löffel Eis auf der Zunge zergehen lassen. Das ist doch hilfreich und spart Zeit, denn man kann sich dann beim Straßenwahlkampf, wenn die Parteien mit ihren Ständen wieder durch die Einkaufszonen irrlichtern, auf das Wesentliche konzentrieren, z.B. auf das Abgreifen von Kugelschreibern, Notizblöcken und dem einen oder anderen Gimmick.

Aufgefallen sind mir bisher die Plakate von SPD und Grünen, die, trotz der einen oder anderen unterschiedlichen Aussage, doch deutliche Gemeinsamkeiten aufweisen: Nämlich eine Mischung aus Kinderfunk und Größenwahn. Beide Parteien kennen Wähler nur im Plural (Kommt bzw. Kommt zusammen), bei beiden Parteien werden die Wähler imperativisch angesprochen, und bei beiden sollen die Wähler auch noch etwas tun (bauen bzw. zusammenkommen).

Dieser Sprachstil lehnt sich stark an Sendungen des Kinderfunks (Kinderfernsehens) der 60er und 70er Jahre an. So startete im Dezember 1964 eine Kindersendung der ARD mit dem Titel „Schau zu, mach mit“. In dieser Sendung sollten Neun- bis Zwölfjährige durch kleine Einspieler dazu angeregt werden, etwas zu tun, etwa zu basteln, ein vorgestelltes Buch zu lesen oder eine Ausstellung zu besuchen. Technische Neuerungen wurden vorgestellt, Anregungen zur Freizeitgestaltung wurden geboten.

Ab Februar 1971 präsentierte das ZETTDEEFF unter dem Titel „TURN MIT!“ wöchentlich zehnminütige „Bewegungsspiele für Kinder“ mit Moderatoren, die ganz tolle Namen hatten:     Hannelore Pils-Samek, Bärbel Witt und Charlie Hickmann. Strumpfhosen-Gymnastik für die vor-der-Glotze-Hocker, die schon in jungen Jahren mit sportlicher Betätigung fremdelten.

Und heute sind es eben die Zwei-Pässe-Katharina und die Langstrumpf-Andrea auf der einen und der lustige Panda-Robert und die sprechende  Annalena-Puppe auf der anderen Seite, die uns Kleinkinder (pardon! mündige Bürger) nicht mehr erst noch lange Siezen, sondern, ganz wie die besten Kindergartentanten- und onkel,  einfach DU zu uns sagen, uns an die Hand nehmen und uns ein Angebot machen: bei den GRÜNEN sollen wir basteln (bauen), bei der SPD sollen wir uns bewegen(zusammenkommen)- ganz wie bei „Schau zu, mach mit“ und „Turn mit!

Dieser – letztlich – Infantilisierung, die man uns in der Ansprache zumutet, steht eine Portion Größenwahn bei beiden Parteien gegenüber.  Die Grünen wollen das „neue Europa bauen“ (Kommt, wir bauen das neue Europa!), so als wollten sie das alte Europa, das, um es noch einmal zu sagen, größer ist als die EU, und seine Geschichte einfach wegwischen:

was die Völker dieses Kontinents – von der attischen Demokratie über die europäische Aufklärung bis zur Entwicklung zahlreicher von Freiheit und Demokratie getragener Staaten – geschaffen haben und wovon Kunstwerke, Musikstücke, Kathedralen und weltliche architektonische Meisterwerke Zeugnis ablegen, all das bedarf offensichtlich der Erneuerung: Wir wollen „ Europa neu begründen“, so lautet der Anspruch der GRÜNEN! Welch eine Hybris, welch ein Größenwahn spricht aus dieser Wortwahl, die jedem sensiblen Leser jene Schlusszeilen des Gedichts „Deutschlands Beruf“ von  Emanuel Geibel (1815-1884) in Erinnerung rufen werden, aus denen die Nationalsozialisten ein politisches Schlagwort für ihren Eroberungskrieg gemacht haben: „Und es mag am deutschen Wesen/Einmal noch die Welt genesen.“

Bei den Sozialdemokraten, die „für gute Arbeit sorgen“ und „Ungleichheiten abbauen“ wollen, so als hätten sie in den Jahren ihrer Regierungsbeteiligung und ihrer Anwesenheit im Europaparlament dazu bisher noch keine Gelegenheit oder Zeit gehabt, läuft das Mitmachangebot für uns auf den Slogan zu: „Kommt zusammen! Europa ist die Antwort.“ Auf welche Frage bei welchem Quiz die Antwort „Europa“ ist und ob die Wählerschaft die Möglichkeit hat, einen Telefonjoker anzurufen und ob es sich bei diesem Joker vielleicht um den 100%-Martin handelt, lassen die Sozialdemokraten aber offen!

Vielleicht ist die Ähnlichkeit in der Ansprache (Kommt zusammen!) Zufall, vielleicht ist sie aber auch dem Umstand geschuldet, dass die Kampagnenplaner beider Parteien eine Vorliebe für die Beatles haben, denn von denen ist der Slogan ja offensichtlich geklaut. 1969 veröffentlichten die Beatles ihr Album „Abbey Road“, dessen erster Titel das Lied „Come Together“ ist. Die Schlusszeilen lauten:

Come together, yeah
Come together, yeah
Come together, yeah
Come together, yeah

Come together, yeah
Come together, yeah…
Come together, yeah…
Aaah…
Come together, yeah
Come together, yeah

Dieser Aussage kann ich uneingeschränkt zustimmen!

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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