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Man kann natürlich trefflich über die Sinnhaftigkeit einer Wahl des „Unwortes des Jahres“ streiten. Vielleicht besteht der eigentliche Sinn darin, den fünf Mitgliedern der Jury einmal im Jahr die Gelegenheit zu verschaffen, aus ihrer öffentlichen Bedeutungslosigkeit herauszutreten und im Scheinwerferlicht der Medien zu stehen.

„Die Jury besteht aus vier SprachwissenschaftlerInnen und einem Journalisten, die Sprachkritik auch außerhalb der Universität für relevant halten. Die Jury wird im jährlichen Wechsel durch ein weiteres sprachinteressiertes Mitglied aus dem Bereich des öffentlichen Kultur- und Medienbetriebes ergänzt.“

So lautet es auf der Webseite „Unwort des Jahres“ über die Jury, die einerseits Selbstverständlichkeiten bedeutungsschwer vorträgt (die Jurymitglieder halten Sprachkritik auch außerhalb der Universität für „relevant“), sich andererseits  aber nicht entscheiden kann, ob sie  ihre eigenen Sprache „gendern“ soll oder nicht (es heißt zwar unter Verwendung des Gender-I SprachwissenschaftlerInnen, bei den Journalisten wird aber darauf verzichtet).

Nun, sei´s drum! In diesem Jahr ist die Wahl also auf das Wort „Anti-Abschiebe-Industrie“ gefallen, mit dem CSU-Mann Alexander Dobrindt  kurzzeitig erhitzte Aufmerksamkeit erregte (was wohl seine Absicht war!) und für das er Kritik erntete (womit er wohl gerechnet und was er billigend in Kauf genommen hat!). Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich dieses Wort nicht durchgesetzt, es ist vielmehr im medialen Rauschen verschwunden und hat ein nicht beachtetes Dasein in einem Keller des Vergessens gefristet, bis – ja bis diese Jury es aus dem Keller befreit und an das Licht der Öffentlichkeit gezerrt hat. Fragt sich also, warum die Jury sich für dieses Wort entschieden hat. Die Antwort der Jury lautet, das Unwort zeige,  „wie sich der politische Diskurs sprachlich und in der Sache nach rechts verschoben hat und sich damit auch die Sagbarkeitsregeln in unserer Demokratie in bedenklicher Weise verändern“.  Aha, jetzt wissen wir also, worum es geht: Die Jurymitgliedern gehören zu den Mitbürgern, die unsere Gesellschaft  von „rechts“ bedroht sehen und nach deren Auffassung sich der „politische Diskurs“ nach rechts verschoben hat, was immer die Jury darunter versteht.

Damit wird deutlich, dass die Juroren mit ihrer Wahl wesentlich  eine Haltung dokumentieren wollen, eine Haltung, die deutlich machen soll, dass sie zum „richtigen Lager“ gehören, also zu den Gutmeinenden, zu den Aufrechten, zu den moralisch Sauberen, deren Gemeinsamkeit darin besteht,  alles, was nicht ihrer Auffassung ist, als „rechts“ zu etikettieren. Es geht also nicht um die durch Fakten gestützte Beobachtung sprachlich relevanter Entwicklungen, um die Analyse von Veränderungen im Sprachgebrauch und um  gesellschaftliche Auseinandersetzungen prägende Begriffe, sondern um eine „Haltungswissenschaft“ , die die eigene (richtige) Gesinnung zur Schau stellt.

Ginge es der Jury tatsächlich um eine Beobachtung und Auswertung der Sprache als Parameter gesellschaftlicher Entwicklung, dann hätte die Jury sich unzweifelhaft für das Wort „Nazi“ (samt davon abgeleiteter Begriffe)  entscheiden müssen, denn kein anderes Wort ist in den Debatten und politischen Auseinandersetzungen des letzten Jahres derart inflationär und inhaltsleer zugleich verwendet worden. Jede Abweichung nach „rechts“ vom mainstream   wird  mit dieser  Etikettierung als Ausdruck nazistischer Gesinnung belegt und ausgegrenzt, wogegen man übrigens nach „links“ recht gerne jede noch so extreme Position, selbst solche  mit latenter oder manifester Gewaltbereitschaft, eingemeindet. Dabei wird nicht nur der Unterschied zwischen rechts, rechts-national, rechtsextrem, konservativ oder rechts-liberal und dem „Nazismus“  (also dem „Nationalsozialismus“ Hitlerscher Prägung) völlig verwischt, sondern durch diese Verwendung wird der Begriff bis zur Inhaltslosigkeit ausgehöhlt.  Damit wird aber der tatsächliche (historische)  „Nazismus“ verharmlost, werden die Millionen Opfer des Nationalsozialismus und des von ihm angezettelten Krieges verhöhnt. Gleichzeitig werden aber auch die vorhandenen (Neo-)Nazis und gewaltbereiten Rechtsextremisten, die eine verschwindend kleine Minderheit in unserer Gesellschaft darstellen,  aufgewertet, da sie zu Repräsentanten einer breiten Bewegung hochgeschrieben werden.

Letztlich erweist die Jury mit ihrer Entscheidung der Sprache und der politischen Auseinandersetzung in unserem Land einen Bärendienst! Auch wenn sie wohl meint, sich mit der Begrifflichkeit vom „Unwort“ in  die Nähe des Werkes „Wörterbuch des Unmenschen“ von Dolf Sternberger, Gerhard Storz und Wilhelm Emanuel Süskind aus dem Jahre 1957 stellen zu können. Da waren die drei Herren doch von ganz anderem Kaliber!

 

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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