2. Tag, morgens
Das Jucken begleitete mich, seitdem ich die am Tag der Einlieferung ausgeteilte Anstaltsunterwäsche trug. Auf die Wolle, die von Schafen aus dem Münsterland gewonnen wurde und die natürlich ökologisch einwandfrei war, reagierte meine Haut mit Verbitterung und Ablehnung. Das Jucken war aber auf jeden Fall nachhaltig.
Mit dem Essen würde ich kaum Schwierigkeiten haben: ich hatte schon früher sehr wenig Fleisch gegessen, und der völlige Verzicht auf Fleischprodukte auf unserem Speisenplan machte mir rein gar nichts aus, auch wenn die Tofuburger und die Würstchen aus Seetang, die es gestern Abend gab, ein wenig fade zubereitet waren.
Ich hatte eine Doppelzelle – gemeinsam mit Manni, genannt Auto-Manni. Der war als Zellennachbar ganz in Ordnung – nur sein Autofimmel ging mir etwas auf die Nerven. Gestern Abend fing er vor der Schlafenszeit damit an, aus Ausgaben der ADAC-Motorwelt zu rezitieren – er konnte die kompletten letzten zehn Jahrgänge bis zum Verbot des Magazins auswendig. Er war wegen Verstoßes gegen die Verschrottungsverordnung hier.
Schlimm war ja schon, dass er einen Mitarbeiter des Verschrottungszentrums Süd bestochen hatte, der ihm für einen Hunderter die Bescheinigung über die Verschrottung ausgestellt hatte. Manni hatte das angeblich verschrottete Auto (einen Citroen Traction Avant aus dem Jahre 1956) in seiner Garage geparkt, die mit einer selbst gebauten Abluftanlage ausgestattet war, die die Abgase nach außen führte. Er hatte sich nachts in den Wagen gesetzt und ihn dann im Leerlauf zwei bis drei Stunden laufen lassen, weil das Motorengeräusch ihn in euphorische Zustände versetzte. Das ging mehrere Tage gut, bis der GREEN-WATCHER aus seinem Häuserblock ihn bei einem seiner nächtlichen Kontrollgänge erwischt hatte.
Ziemlich blöd, das Ganze. Aber ich durfte mich nicht über die Blödheit anderer mokieren.
Mein Geschäft mit den Glühbirnen lief prächtig, alles war bestens organisiert. Ich hatte einen festen Abnehmerkreis, keine Zwischenhändler, das Risiko war minimal – der Nachschub klappte. Auf den Straßenverkauf in dunklen Seitenstraßen und an zugigen Ecken, wo man mit klammen Fingern bei Kälte zwei oder drei Glühbirnen in der Nacht an herumstreunende Zufallskäufer loswerden konnte, hatte ich schon länger verzichtet. Ich steuerte mein Geschäft von zu Hause aus.
Aber dann hatte ich mich dazu hinreißen lassen, auf eine dieser illegalen Glühbirnen-Partys zu gehen – einer meiner Stammkunden hatte mich eingeladen. Und wegen der Kundenpflege hatte ich zugesagt. Das Ganze war eine ziemlich langweilige Angelegenheit: man saß um den Wohnzimmer- oder Küchentisch und tauschte im Licht von 100-Watt-Birnen Allgemeinplätze aus. Wegen der notwendiger weise mit Pappen und Stoffen abgeschirmten Fensterscheiben erinnerte das so ein wenig an die Verdunkelung während der alliierten Bomberangriffe im II. WK, von denen mir meine Großeltern immer erzählt hatten. Na ja, auf dieser Party traf ich dann Gerald. Und der berichtete mir von dem Raucher-Flashmob, den er vorbereitete.
Mir war bis dahin überhaupt nicht klar gewesen, dass es eine große Schnittmenge zwischen Glühbirnen-Benutzern und Rauchern gab. Aber Gerald erklärte mir, dass alleine in seinem Bekanntenkreis 19 Glühbirnen-Benutzer gleichzeitig Raucher waren. Mir schoss der Gedanke durch den Kopf, meinen Kundenstamm und meine Produktpalette etwas auszuweiten, also Glühbirnen und Zigaretten im Kombi-Pack zu verkaufen. Gerald hatte Kontakt zu einem Zigaretten-Vertriebsnetz, bei dem er selber Großkunde war. Und so erklärte ich mich bereit, bei dem Flashmob mitzumachen, um in die Raucherkreise einzusteigen.
Und dann kam, was kommen musste. So ein Raucher-Flashmob war eigentlich eine blitzschnelle Angelegenheit. Man traf sich an dem vorher verabredeten Ort zu einer bestimmten Zeit, steckte sich eine Zigarette an, machte zwei Züge und verschwand wieder. An besagtem Tag kam es aber anders. Gerald war schon längst als militant-illegaler Raucher von seinem GREEN-WATCHER bei den Ordnungskräften gemeldet und von diesen überwacht worden. Und ich hatte kaum den ersten Zug genommen (die Ordnungskräfte warteten immer so lange, bis man sich eine Fluppe angesteckt und einmal gezogen hatte, damit der Straftatbestand auch erfüllt war), da klickten auch schon die Handschellen um meine Gelenke und ich wurde samt den anderen 11 Beteiligten abgeführt. Bei der Hausdurchsuchung flog natürlich auch mein mit rund 1300 Exemplaren bestücktes Glühlampenlager im Keller auf. Anklage –Verurteilung – Überstellung in die Anstalt mit der Auflage, am Erziehungsprogramm teilzunehmen. Und diese korrekte Unterwäsche zu tragen, die meine Haut in den Wahnsinn trieb.
Da konnte ich mich noch eher an die Anstaltsschuhe aus recycelten Feuerwehrschläuchen gewöhnen; die waren zwar schwer und klobig, aber immerhin hatte ich nach einem Tag noch keine Brandblasen an den Füßen.{jcomments on}