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Though this be madness, yet there is method in it (Shakespeare, Hamlet, II/2)

Der sozialdemokratische Ritter von der traurigen Gestalt

Wenn man sich über den Zustand der Bildung in Deutschland informieren will, kann man natürlich auf die einschlägigen Studien zugreifen: IGLU, PISA, TIMMS oder IQB-Bildungstrend. Allerdings hat man dann lediglich einen Blick auf die jüngeren Jahrgänge, die noch schulpflichtig sind. Man blickt in die Zukunft, also auf jenes Unheil, das erst noch auf uns zukommen wird.

Will man in den aktuellen Abgrund geistiger Notdurft schauen, reicht ein Streifzug durch die Stellungnahmen zu den Ergebnissen der Europawahl vom Sonntag. Man erkennt schnell, dass es einen Fachkräftemangel nicht nur bei den Pflegeberufen und im Handwerk sowie anderen Bereichen der Wirtschaft gibt, sondern auch (und gerade) im Politikbereich.

Die Schwierigkeit besteht hier allerdings darin, dass das Elend so groß ist, dass man von der schieren Menge an Hohlkopf-Stellungnahmen geradezu erdrückt wird. Insofern muss man für die Übersicht auswählen –  und die Leserschaft bekommt dadurch einen gewissen Grad an Subjektivität mitgeliefert!

Beginnen wir unseren Rundflug über die geistigen Tiefebenen in Gelsenkirchen. Das ist insofern interessant, als früher in Gelsenkirchen die Redewendung galt, die SPD könne einen Besenstiel aufstellen und würde trotzdem gewählt. Die Zeit der Besenstiele ist vorbei und auch die Zeit der (absoluten) Mehrheiten für die Sozialdemokratie, die es gerade mal auf 21,5 % der Stimmen gebracht hat und damit äußerst knapp von der AfD (21,7%) auf den dritten Platz verwiesen wurde. Welche Konsequenzen zieht Nicole Schmidt von der SPD aus dem Ergebnis: „Wir werden den Rechten nicht den Platz in der Stadt überlassen. (…) Wir müssen den Menschen jetzt deutlich machen, dass die AfD eine rechtsextreme Partei ist und dass das hier nicht das richtige Wahlergebnis sein kann.“ Nun, erst einmal ist es so, dass hier eine Europawahl stattgefunden hat. Und die AfD hat der SPD nicht irgendeinen Platz in Gelsenkirchen weggenommen, sondern Sitze im Europaparlament hinzugewonnen, wogegen die SPD dort Sitze verloren hat. Da wird Frau Schmidt nicht umhinkommen, der AfD diese Sitze auch zu überlassen! Der zweite Teil der Gedanken von Frau Schmidt ist bodenlos einfältig: Wie oft will Frau Schmidt „den Menschen“ denn noch sagen, dass die AfD eine rechtsextreme Partei ist? Und vielleicht ist es so, dass genau deshalb ein Teil der Wählerschaft die AfD wählt – also nicht obwohl, sondern weil sie in Teilen rechtsextrem ist. Und was meint Frau Schmidt, wenn sie sagt, dass „das hier nicht das richtige Wahlergebnis sein kann“? Wie definiert Frau Schmidt denn, was ein „richtiges Wahlergebnis“ ist? Was richtig ist, bestimmt nach Auszählung der Stimmen der Wahlleiter, wenn er das amtliche Endergebnis verkündet, nicht aber eine drittklassige Politikerin der SPD! Vielleicht haben „die Menschen“ (es fehlt die Ergänzung: da draußen im Lande) genug von der Ampel-SPD und ihrer Politik?  Vielleicht war es kontraproduktiv, Plakate mit den Gesichtern von Scholz und Barley aufzuhängen, auf denen als Slogan stand: „Auf Katharina Barley und den Kanzler kommt es an!“ Und „die Menschen“ haben sich gedacht: Wenn es auf diese Flachpfeifen ankommt, dann wähle ich doch lieber die AfD. Oder sie waren nicht begeistert von Plakaten, auf denen sich die gute alte SPD als „SPD queer“ angepriesen hat, um damit auszusagen, dass die Partei sich nicht mehr für „den kleinen Mann“ und die „kleine Frau“ einsetzt, also den Kern der Arbeiterschaft, der Angestellten und der sozial Schwachen, sondern für die Gruppen, die ihren eigenen Bauchnabel kultivieren und für die das größte gesamtgesellschaftliche Element das eigene Ich ist! Dass es einen Zusammenhang zwischen der Wahlentscheidung vieler Gelsenkirchener und der (richtigen) Erkenntnis von Frau Schmidt gibt, dass „die Ampel-Politik zu großer Unzufriedenheit führt“, ist ihr keine weiteren Gedanken wert, denn wichtig ist: man muss den Menschen sagen, dass „das hier nicht das richtige Wahlergebnis sein kann.“ Und damit ist alles gesagt!

Kommen wir noch kurz zur Türklinken-Pinkel-Partei, die sich als Verfolgungsopfer sieht und kurz vor der Wahl meinte, den Wählerinnen und Wählern urinale Argumente für ihre Wahl an die Hand geben zu müssen. Zum Absturz der GRÜNEN gab der Kreis-Co-Vorsitzende eine originelle Erklärung ab: „In Gelsenkirchen liegen wir traditionell zwischen drei und sechs Prozent unterm Schnitt“. Dass es so ist, ist ja noch keine Erklärung dafür, warum es so ist – und erst recht keine Erklärung für den Absturz der GRÜNEN, über den „man sich nun dringend bei der Parteiführung in Berlin Gedanken machen“ müsse.

Also: erstens muss man es gut finden wollen, dass die GRÜNEN in Gelsenkirchen Traditionen pflegen, wie der Co-Vorsitzende sagt, z.B. die Tradition schlechter Ergebnisse. Dann ist klar, dass der Schlüssel zu den schlechten Ergebnissen in Berlin liegt, was die Frage aufwirft, ob die Bundespartei „gerade einen guten Job macht“. Muss man diese „Frage aufwerfen“? Wirklich? Liegt die Antwort nicht bereits mit Wahlergebnissen auf dem Tisch? Oder werden neuerdings Parteien nicht gewählt, weil man sie für gute Politik abstraft? Und vielleicht werden die GRÜNEN in Gelsenkirchen auch abgestraft, weil sie hier als Beiboot von SPD und CDU wahrgenommen werden und als Juniorpartner (gemeinsam mit der FDP) für Redezeitverkürzungen und den Rausschmiss eines unliebsamen Ratsmitglieds gestimmt haben? Das ist aber jetzt nur eine Vermutung!  Also so ein ganz subjektives Element!  Vielleicht liegt es doch nur und ausschließlich und ganz allein an dem schlechten Job, den die Partei in Berlin macht?!

Noch einmal zurück zur guten alten Tante SPD, genauer zu unserer Oberbürgermeisterin. Die wird in der WAZ zitiert mit der Aussage: „Es kann mich als Oberbürgermeisterin nur beunruhigen, dass auch in unserer Stadt Kräfte erfolgreich unterwegs sind, das demokratische, diskursorientierte politische und gesellschaftliche System zu diskreditieren und nachhaltig zu beschädigen.“

Mannomann: das ist aber Selbstkritik vom Feinsten, dass die OB hier die vier Parteien kritisiert, die mal eben so die Geschäftsordnung des Rates verändert haben (Redezeiten) und mal eben einen Stadtverordneten für zwei Sitzungen ausgeschlossen haben und die fast alles von der Tagesordnung fegen, was eine Partei vorschlägt, die immerhin rund 20% der Wählerinnen und Wähler bei der Europawahl hinter sich gebracht hat. Oder war das von Frau Welge jetzt ganz anders gemeint – also nicht als Kritik an SPD, CDU, der FDP und den GRÜNEN? Dann nehme ich das sofort und vollumfänglich zurück!

Und komme jetzt zum Höhepunkt der politischen Unkultur und Unbedarftheit – also zu Lars Klingbeil!

Er erwies sich bei der Talk-Runde zur Wahlnachlese auf ntv als geschichtsloser, plumper Wahl-Nachtreter, der vom Absturz seiner Partei offensichtlich so stark innerlich erschüttert war, dass er die AfD und Alice Weidel mit dem Etikett „Nazi“ meinte belegen zu müssen. Dazu zwei Anmerkungen: Ich persönlich mag den Begriff nicht, weil er die NSDAP (Nationalsozialistische Arbeiterpartei Deutschlands“) begrifflich verkitscht, verkleinert, verniedlicht. Was aber entscheidender ist: Die Gleichsetzung der AfD und ihrer Spitzenpolitikerin Weidel mit der NSDAP ist eine historische Analogie, die nicht passt, weil der Begriff die politischen Verbrechen der NSDAP mit den Positionen der AfD gleichsetzt: Das Ziel, „Lebensraum im Osten“ zu schaffen, die europäischen Juden zu vernichten, die Herrschaft einer Herrenrasse zu errichten und ganze Völker zu unterjochen ,wird durch diese Gleichsetzung zwischen AfD und NSDAP relativiert. Was Klingbeil betreibt, ist die Relativierung der Geschichte des Nationalsozialismus (und damit Geschichtsrevisionismus) für eine billige Polemik und eines Vorsitzenden der SPD unwürdig!

Man könnte fast auf die Idee kommen, Klingbeil – ebenfalls polemisch – mit der von Grigori Sinowjew 1924 entwickelten Sozialfaschismusthese der Komintern zu konfrontieren, nach der die Sozialdemokratie als „linker Flügel des Faschismus“ und als wesentliche Stütze des Kapitalismus und „Steigbügelhalter“ der NSDAP gesehen wurde, denn immerhin ließen sozialdemokratische Minister bzw. Polizeipräsidenten auf linke (kommunistische) Arbeiterdemonstrationen schießen („Blutmai 1929 in Berlin). So gesehen, ist die SPD mit ihrer gegenwärtigen Politik nämlich die Hauptverantwortliche für den Aufstieg der AfD. Die SPD als rotlackierte AfD-Hilfsorganisation zur Rettung des Kapitalismus! Pfui Deibel!

Aber nehmen wir die Äußerung Klingbeils als Aussage eines verunsicherten Parteivorsitzenden, dessen Hauptaufgabe darin besteht, Niederlagen zu verdauen!

Klingbeil ist der sozialdemokratische Ritter von der traurigen Gestalt!

Seine Nazi-Nummer:

Statt Geistesblitz: Blitzbirne!

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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12 Kommentare
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Heinz Niski

Die haben einen Knacks. Terry Reintke glaubt nicht nur im Auftrag des Herrn unterwegs zu sein, um die gewählten Nazis, so wie einst Jesus die Händler aus dem Tempel trieb, aus dem EU-Parlament zu vertreiben, nein, sie inszeniert sich auch noch ikonografisch als Mischung aus Jungfrau von Orleans und Jesus bei der Speisung der 10000. Mich fröstels, das ist alles irrer, als ich annahm.

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terryreintke
Heinz Niski

Mama Reintke, sing uns das Abendlied … https://youtu.be/Jr2sikPBj_k?si=vOqTreFM59CdA9Zg

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Ali-Emilia Podstawa

Terry find ich gut. Sie ist immer so positiv. Und wenn sie ihren sorgenvollen Blick aufsetzt, dann weiß man, sie sorgt sich wirklich um die ihren. Wie im Zeltlager bei den Pfadfindern ist sie das große Vorbild für die nachrückende, weiblich-divers-grüne Funktionärs-Elite.
Derweil sagte Frau Brüning, die Politische Geschäftsführerin der Grünen (was es alles gibt) bei Phoenix: „Wir konnten viele Menschen nicht davon überzeugen, demokratisch zu wählen.“ Das gibt Rätsel auf. Haben irgendwelche Leute massenweise vorausgefüllte Stimmzettel in die Urnen gestopft und die Wahlhelfer konnten sie nicht dazu überreden, dies zu unterlassen? „Du, lass das mal bitte. Das gibt einen riesen Ärger für uns, wenn zu viele Zettel im Kasten landen. Dann müssen wir wieder welche rausnehmen und die Listen mit Tipp-Ex korrigieren. Hallo! Hörst du mich gar nicht? Das finde ich jetzt gar nicht rücksichtsvoll von dir. Bitte, lasst es, das ist undemokratisch. Nebenbei, es geht doch eigentlich um nix. Hm? Wie wärs mit einem zähen belegten Brötchen? Oder ein Schluck von dem abgestandenen Kaffee dort? Du kannst frei auswählen. Ganz demokratisch. Komm wir üben das mal gemeinsam, also …“

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mi.rob.

Da sich die ehemaligen Volksparteien den Rechten in Form von Islamisten um den Hals geworfen haben, sind solche Wahlergebnisse nur folgerichtig.
Bei ihrer Warnung vor „rechtsextremem Parteien“ macht Nicole Schmidt offenbar rassistische Unterschiede. Die Teils über 40% (in Duisburg) der Erdogan-nahen DAVA sind für Schmidt keine Erwähnung wert. https://wahlergebnis.duisburg.de/EW2024/05112000/praesentation/ergebnis.html?wahl_id=55&stimmentyp=0&ebene=undefined&id=ebene_6_id_25497

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Ali-Emilia Podstawa

Das Ergebnis aus Duisburg entstammt einem Wahllokal, in dem die Wahlbeteiligung bei 25% lag. In DU holte die DAVA 2,5%

In GE gewann die DAVA zwei Wahlbezirke im Südosten mit jeweils um 20%. In absoluten Zahlen sind es 55 bzw. 83 Stimmen, bei einer dortigen Wahlbeteiligung von 25%.
Man muss die DAVA nach dieser Wahl nicht größer machen, als sie derzeit ist. Aber es ist eine neue Partei entstanden, die wahrscheinlich zunächst auf kommunaler Ebene mitmischen wird: 2.300 Stimmen = 2,6% in der Stadt GE für die DAVA.
BIG bekam 2019 gerade ein mal 1.000 Stimmen und kam 2024 nur noch auf 236 Stimmen.

Zählt man diese beiden Parteien zusammen, so wurden aus 1000 nun 2500 Stimmen für eine Partei, die muslimisch-traditionelle, meist türkischstämmige Deutsche anspricht. Ein Trend?

Ebenfalls interessant:
Die Zahl der Wahlberechtigten ging um gut 3.000 Personen zurück.
Die Einwohnerzahl stieg aber seit 2019 um ca.7.500 Personen.

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Irgendein Politiker

Ich würde sagen, es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte wie Ergebnisse einer demokratischen Wahl eintreten. Und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Es ist die Freiheit eines jeden Deutschen.

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Sim.one

Ich kann es nicht fassen, wie diese Seite es schafft, so viel Schaum vor dem Mund zu produzieren, dass man meinen könnte, sie hätten eine Seifenfabrik im Keller!

Es ist gut zu sehen, dass es noch Medien gibt, die sich nicht scheuen, die Wahrheit auszusprechen und sich gegen den Mainstream zu stellen. Ich habe schon lange genug von den etablierten Medien, die nur ihre eigene Agenda vorantreiben und keine andere Meinung zulassen.

Weiter so, Herrkules! Ich bin froh, dass es eine Plattform wie eure gibt, die die Stimme der vernünftigen und besonnenen Bürger wie mich repräsentiert. Endlich gibt es nicht nur eine politische Alternative in Gelsenkirchen, sondern auch eine mediale.

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Heinz Niski

Wir haben ja in all den Jahren nie wirklich einen Leser zu Gesicht bekommen und dachten, dass wir nur für uns schreibseln. Was ja auch ok ist. Magst du dich vorstellen?

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Tichy

Das dürfte Simone Wolter sein. Habt ihr euch redlich verdient.

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Heinz Niski

Die Osteopathin? Interessant. Aber wer ist Tichy? Doch nicht der Schwippschwager von Tycho Brahe?

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Sim.one

Hallo Heinz, ich stelle mich gerne vor: Mein Name ist Simon Dasmussreichen, 61 Jahre alt und seit einigen Jahren Frührentner. Ich habe mein ganzes Leben hart gearbeitet.

Meine Heimat Gelsenkirchen liegt mir sehr am Herzen. Genau deshalb bin ich auch so froh das es eure Plattform gibt. Ihr bringt frischen Wind in die Medienlandschaft und gibt Leuten wie mir eine Stimme.

Ich freue mich darauf, weiterhin eure Artikel zu lesen und gelegentlich meinen Senf dazuzugeben. Beste Grüße

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