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Gelsenkirchener Horror: von aufschwimmenden Särgen und einer instinktlosen Verwaltung

Nichts ist umsonst. Auch der Tod nicht, denn der kostet bekanntlich das Leben. Und natürlich Friedhofsgebühren. Die sind in Gelsenkirchen glasklar geregelt oder, besser formuliert, auf den Zentimeter genau kalkuliert, nämlich in der „Friedhofsgebührensatzung zur Friedhofssatzung der Stadt Gelsenkirchen in der 24. Änderungssatzung vom 8.12.2023.“***

Dort ist z.B. festgelegt, dass die Grundgebühr für die Nutzung an einem Erdreihengrab (2, 50 X 1,20 Meter) 1443 EURO beträgt, wogegen ein solches Grab in den Maßen 1,70 X 0,90 schon für 759 EURO zu bekommen ist. Die Grabbereitung für die größere Variante beläuft sich auf 1263 EURO, die kleinere Variante aufzubereiten, wird mit 1050 EURO in Rechnung gestellt.

Aber neben den Kosten gibt es Wesentlicheres:

Abschied, Trauer, Erinnerung, Heimat, Besinnung, Gebet, Andacht, Stille und auch Ruhe. Ruhe, die der Tote findet, aber auch die Ruhe des Ortes selbst, die die Angehörigen des Toten finden. Und die Besucher des Ortes, die ihn deshalb aufsuchen, weil man dort Stille und Ruhe finden kann.

Geht es nach der Gelsenkirchener Verwaltung sollen zwei Friedhöfe, zumindest in Teilen, für Sarg-Beerdigungen nicht mehr zu Verfügung stehen. Friedhofs-Horror-Szenarien in der Verwaltungsvorlage für den Friedhof Horst-Süd:

„Eine weitere Problematik auf dem Friedhof Horst-Süd ist der, mutmaßlich durch Bergbauaktivitäten verursachte, sehr hohe Grundwasserspiegel auf dem Gelände. Bei Sargbeisetzungen muss der Grundwasserspiegel kurzfristig, zusätzlich zur ständigen Entwässerung, künstlich abgesenkt werden, um ein „Aufschwimmen“ des Sarges während der Trauerfeier zu verhindern. In vielen Bereichen des Friedhofs werden wegen des hohen Grundwasserstandes bereits jetzt keine Sargbestattungen mehr durchgeführt werden, da eine Verwesung der Leiche innerhalb der Ruhezeit (25 Jahre) nicht mehr gewährleistet wäre.“ (Beschlussvorlage 20-25/6217, Stadt Gelsenkirchen, Hervorhebung durch mich, BM) ****

Neben der Problematik des Grundwassers weist die Verwaltung auch darauf hin, dass Sargbestattungen auf den Friedhöfen immer stärker zurückgehen (siehe Vorlage Seite 2) und auch Renovierungsbedarfe unterschiedlichen Umfangs bestehen.

Hinter den sachlichen Faktoren, die die Verwaltung aufzeigt und deren Beseitigung mit Kosten verbunden ist, liegt aber ein grundsätzliches Problem: das christliche Brauchtum – von der Taufe über Kommunion, Konfirmation und Beerdigung – ist ebenso auf dem Rückzug wie die Zahl der angemeldeten Kirchenmitglieder und die Gottesdienstbesuche zurückgehen. Auch andere Formen der Bestattung, etwa auf Waldfriedhöfen, werden aus unterschiedlichen Gründen nachgefragt (Kosten, Abwendung von den Kirchen). Daraus kann man unterschiedliche Schlussfolgerungen ziehen: Die beiden großen Kirchen reagieren auf diese Entwicklung mit dem Schließen von Gotteshäusern (Entweihung, Umwidmung, Verkauf etc.), was besonders für die älteren Christen im Stadtteil, für die die Kirche ein Mittelpunktsort war, der nicht nur mit dem Stadtteil, sondern eben auch mit ihrer Biografie verbunden war, ein großer Verlust ist. Wie die Gotteshäuser waren und sind aber auch die Friedhöfe Orte der Identität eines Stadtteils und seiner Bewohnerinnen und Bewohner – selbst wenn sie nicht Christen sind. So ist doch ein Friedhof eben auch ein „grüner Ort“ mitten in der Stadt, ist ein Ort der Identität des Stadtteils , wie der Fußballplatz der im Stadtteil ansässigen Vereine auch ein Ort der Zusammenkunft, des Miteinanders, des gemeinschaftlichen Lebens ist.

Eine Verwaltungsvorlage, die Friedhöfe wesentlich nur unter dem Gesichtspunkt „Bestattungsort“ betrachtet, wird weder dem Ort noch dem Stadtteil gerecht. Dabei geht es nicht um einen schrägen Lokalpatriotismus (Horster müssen in Horst bestattet werden können), sondern darum zu erkennen, dass Orte (Innenstädte, Kirchengebäude, Friedhöfe) im Laufe der Zeit ihre Funktion verändern können und man an der Gestaltung dieser Veränderung gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern arbeiten muss. Es geht also auch um demokratische Beteiligung!

Da sind dann die Szenarien von „aufschwimmenden Särgen“ eher hinderlich und erwecken den Eindruck, Gelsenkirchen biete ausreichend Schauplätze für „Trash-Horrorfilme“.

Davon gibt es aber schon genug!

***

https://www.friedhoefe-gelsenkirchen.de/wp-content/uploads/2024/01/friedhofsgebuehrensatzung.pdf

****https://ratsinfo.gelsenkirchen.de/ratsinfo/gelsenkirchen/13109/U2l0enVuZ3N1bnRlcmxhZ2VuICBCZXppcmtzdmVydHJldHVuZyBHZWxzZW5raXJjaGVuLU9zdCAyMC0yNS4yNCAtIDEwLjA0LjI0IChvZWZmZW50bGljaCkg/21/n/153165.doc

https://www.youtube.com/watch?v=85AfRWzhJUg (Das Geisterschiff der schwimmenden Leichen)

https://www.youtube.com/watch?v=BjRw0e7gORg (Leichen pflastern seinen Weg)

https://www.youtube.com/watch?v=c4gjEZCRJY0 (Cocktail für eine Leiche)

https://www.youtube.com/watch?v=yehHHyXY0O0 (Die Rückkehr der reitenden Leichen)

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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