4.2
(5)

Vor etwas mehr als einer Woche gab die mittlerweile zu einer Art halbamtlicher Haus- und Hofpostille der Ampel-Koalition mutierte Wochenzeitschrift DIE ZEIT Robert Habeck nicht zum ersten Mal die Möglichkeit, uns seine Sicht auf die wirtschaftliche Lage vor unseren Augen auszubreiten. Das Angebot nahm der Märchenonkel der deutschen Wirtschaftspolitik gerne an und reihte eine Floskel an die andere, wohl wissend, dass er seine Geschichtchen würde erzählen können, ohne der Gefahr ausgesetzt zu sein, sich mit kritischen Nachfragen konfrontiert zu sehen, denn die beteiligten Journalisten verstanden sich eher als Stichwortgeber, die dafür Sorge trugen, dass Habeck seine wirtschaftspolitische Auslegeware vor uns ausrollen konnte. *** DIE ZEIT, so heißt es einleitend, wollte Robert Habeck die Gelegenheit geben, sich gegen seine Kritiker zu wehren.

Zu den Kritikern, die der Weltökonom mit seinen Antworten in die Ecke stellen durfte, gehörte auch der Bundesrechnungshof, der kurz zuvor massive Kritik an Habecks „Energiewende“ geübt hatte, sich aber von einem verärgerten Habeck belehren lassen musste, dass die Kritik „nichts mit der Wirklichkeit“ zu tun habe. ****

Die Wirklichkeit! Wenn nur diese Wirklichkeit nicht wäre! Oder die Interpretation der Wirklichkeit! Die wird eben von Kritikern gerne mal anders gesehen und ist eben kein Fantasieprodukt in Kinderbüchern, gegen die man nichts haben kann, solang sie nicht mehr sein wollen als Fantasieprodukte.

Das sehen wohl auch sieben Professoren so, die nun ein „vernichtendes Urteil“ (WAZ) über die Energiewende Habecks formuliert haben. Die sieben Hochschullehrer, tätig am Energieinstitut der Westfälischen Hochschule, haben in einem hundertseitigen Papier die Ergebnisse ihrer Untersuchungen vorgestellt, die sie in der Formulierung auf den Punkt bringen: „Letztlich handelt es sich dabei (=die bisherige „Energiewende“) um einen Offenbarungseid, dass politisch das Wunschdenken die Oberhand gegenüber dem Realismus gewonnen hat.“ *****

Und was den Blick auf die Wirklichkeit angeht, der so ganz anders ist als der von Robert Habeck, heißt es: „Es wird Zeit, dass Realismus und Ehrlichkeit bei allem politischen Wunschdenken stärkere Berücksichtigung finden. Ein zwingend notwendiger Masterplan der Bundesregierung ist derzeit nicht erkennbar. Wir schlingern in eine Energiewende, die gesellschaftliches und wirtschaftliches Stückwerk ist.“*****

Aber was sind schon sieben Professoren einer kleinen Westfälischen Hochschule gegen einen Jahrhundertminister wie Habeck? Und was ist der Blick durch die wissenschaftliche Brille von Dozenten an einem Energieinstitut gegen die fantasievolle Sicht eines Politikers, der den ganzen Tag nichts anderes tut, als an Narrativen zu stricken, die seine Sicht auf die Welt bestätigen?

Ärgerlich ist aus der Sicht Habecks natürlich, dass die Reihe der Kritiker der Energiewende und seiner Wirtschaftspolitik immer länger wird und dass darunter Schwergewichte sind, die man nicht einfach als ahnungslose Bundesrechnungshöfler oder Hochschuldozenten und Leugner der Realität in die Ecke stellen kann.

So etwa Kritiker vom Kaliber DELOITTE. Deloitte gehört neben Ernst& Young, KPMG und PricewaterhouseCoopers (PwC) zur Gruppe der BIG FOUR, also zu den vier größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften der Welt, wobei Deloitte nach Umsatz (59,3 Mrd. USD in 2022) und weltweit Beschäftigten (415000 in 2022, davon 10693 in Deutschland) die größte Gesellschaft der BIG FOUR ist.

Deloitte kommt im „economic-trend-briefings/2024/konjunktureller-ausblick-2024“ zu wenig positiven Ergebnisse in Bezug auf Wirtschaftslage und Wirtschaftspolitik in Deutschland. Deloitte hat auf der Basis der Entwicklung in 2023 und der Fortschreibung der wirtschaftlichen Daten und möglicher Dynamiken in einzelnen Bereichen (etwa Inflation, Nachfrage, Zinsen, internationale wirtschaftliche Lage) für 2024 drei Szenarien entwickelt:

Um dieser Bandbreite möglicher Entwicklungen Rechnung zu tragen, hat Deloitte Research drei Konjunkturszenarien analysiert, wie sich die Konjunktur in Deutschland unter verschiedenen Bedingungen entwickeln dürfte. Die Spanne reicht von 0,9 Prozent im positivsten Szenario bis zu -0,1 Prozent im ungünstigsten Fall. Im Basisszenario indessen verzeichnet die Wirtschaft ein leichtes Wachstum von 0,4 Prozent.“******

Selbst in der Annahme einer positiven Entwicklung kommt Deloitte lediglich zu einem Wachstum von 0,9 Prozent, wobei diesem Szenario eine „Wahrscheinlichkeit“ von 10% zugesprochen wird, weil es sehr viele positive Entwicklungen nationaler (sinkende Energiepreise) und internationaler  (Stabilisierung Chinas, positive Entwicklung der US-Wirtschaft) Parameter voraussetzt:

Die Inflation geht deutlich und schnell zurück, was auf den Rückgang der Energiepreise zurückzuführen ist. Die Reallöhne steigen und die Sparneigung der Bevölkerung sinkt, so dass der private Verbrauch zunimmt. Diese verbesserte Konsumentenstimmung stützt vor allen den Dienstleistungssektor. Die positive wirtschaftliche Entwicklung in den USA und die Stabilisierung der Lage in China und in der EU stützen die deutsche Industrie durch die Steigerung der Exportnachfrage. Dieses Szenario ergibt ein Wirtschaftswachstum von 0,9 Prozent und eine Inflationsrate von 2,4 Prozent.“

Sieht man einmal von den internationalen Faktoren ab, so wird in der Einschätzung deutlich, welche Akzente in Deutschland selbst zu berücksichtigen sind, um einer positiven Entwicklung tatsächlich Schub zu geben. Dazu gehören auch und besonders sinkende Energiepreise. Vor ein paar Tagen erst hat nach MIELE auch die Firme STIHL bekannt gegeben, dass sie den Standort Deutschland aufgeben wird und in die Schweiz verlagert, weil dort – trotz höherer Lohnkosten – die preiswerte Energie und geringere Bürokratie einen Sandortvorteil bedeuten.

Erst Miele – jetzt Stihl! Nach dem Küchengerätehersteller will nun das nächste Traditionsunternehmen raus aus Deutschland: Stihl. Der Kettensägen-Hersteller will ausgerechnet in die teure Schweiz umziehen – und das soll sogar Kosten sparen (…) Die Mitarbeiter in der Schweiz verdienen mehr Geld aber die Gesamtkosten, die sich aus Abgaben, Steuern, Energiekosten und so weiter zusammensetzen, führen dazu, dass die Produktion in der Schweiz mittlerweile tatsächlich günstiger ist als in Deutschland.“*******

Die Flucht von (mittelständischen) Unternehmen und solchen mit Weltgeltung (wie MIELE und STIHL) aus Deutschland hält an und die Regierung sieht – mehr oder weniger – tatenlos zu. Aber die Wirklichkeit verschwindet nicht, wenn man vor ihr die Augen verschließt oder, wie Habeck, die Gelegenheit bekommt, seine eigene Wirklichkeit zu „erzählen“.

 ***

https://www.zeit.de/2024/13/robert-habeck-energiewende-kosten-klimapolitik

****siehe etwa https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/innenpolitik/id_100360280/bundesrechnungshof-kritisiert-ampel-robert-habeck-reagiert-veraergert.html

*****https://www.waz.de/staedte/gelsenkirchen/article241938170/Gelsenkirchen-Vernichtendes-Urteil-von-Professoren-Gruppe.html ******https://www2.deloitte.com/de/de/blog/economic-trend-briefings/2024/konjunktureller-ausblick-2024.html

******* https://www.rtl.de/cms/kettensaegen-hersteller-stihl-will-deutschland-verlassen-und-zieht-in-ein-bisher-als-teuer-bekanntes-land-5081908.html

Wie inspirierend, erhellend, unterhaltend war dieser Beitrag?

Klicke auf die "Daumen Hoch" um zu bewerten!

Durchschnittliche Bewertung 4.2 / 5. Anzahl Bewertungen: 5

Bisher keine Bewertungen! Sei der Erste, der diesen Beitrag bewertet.

Weil du diesen Beitrag inspirierend fandest...

Folge uns in sozialen Netzwerken!

Es tut uns leid, dass der Beitrag dich verärgert hat!

Was stimmt an Inhalt oder Form nicht?

Was sollten wir ergänzen, welche Sicht ist die bessere?

Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
Meine Daten entsprechend der DSGVO speichern
0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments