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 Mir träumt‘, es hätt ein Kläger mich ergriffen
Und schleppte vor den Richtstuhl mich; und ich,
Ich säße gleichwohl auf dem Richtstuhl dort,
Und schält‘ und hunzt‘ und schlingelte mich herunter,
Und judiziert‘ den Hals ins Eisen mir.

Dorfrichter Adam, Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug (3. Auftritt)

Nun gut, es muss nicht gleich ein Eisen sein, das man ihr um den Hals legt, doch immerhin: sie sitzt – gewissermaßen und nur als Bild genommen – auf einem Richterstuhl und richtet und müsste doch, der Ehrlichkeit halber und auch um der Gerechtigkeit willen, gelegentlich über sich selbst zu Gericht sitzen. Tut sie natürlich nicht!

Ihre Verfehlung gleicht nicht der Schandtat des Richters Adam in dem kleistschen Lustspiel, sie ist von anderer Art, mehr von der orwellschen Sorte. Zwar sind formal ihr alle gleich, doch behandelt sie manch einen gleicher als einen anderen. Beispiel:

Da redet der Stadtverordnete Tertocha über dies und das, was in diesem Fall zweitrangig ist, und fühlt sich von Hineingesprochenem des Stadtverordneten Preuß gestört. Was sagt Tertocha (Ratsstream Minute 28.05) zur Dorfrichterin: „Ist es möglich, das Gebrabbel von dem Stadtverordneten mal zu unterbinden?

Und darauf sie: „Herr Preuß, würden Sie sich bitte zurückhalten. Sie hatten das Wort!“

Zwei Aspekte wäre anzumerken: Ist es so üblich, dass die Richterin auf Zuruf eines Stadtverordneten – ohne Rückfrage – den anderen ermahnt, so als sei bereits gesetzt und richtig, was der Tertocha am Rednerpult bemängelt?

Und zweitens: Warum rügt sie nicht den Tertocha? Gebrabbel! Gebrabbel ist ein Dysphemismus, also ein Ausdruck, der über eine Person (oder auch Sache) eine starke negative Wertung beinhaltet. Es ist ein Ausdruck, der Missachtung und Herabsetzung zum Tragen bringt, der den politischen Gegner abwerten soll.

Gebrabbel: bezeichnet das Wort zunächst und noch wertneutral die Lautäußerungen von Kleinkindern im Kontext des Spracherwerbs (Lallworte), ist das Lexem, auf Erwachsene angewendet, eindeutig negativ konnotiert und bezeichnet abwertend einen Redebeitrag als nicht sinnvoll, als Geschwätz auf Kinderspracheniveau. Von daher wäre, unabhängig von einer Ermahnung des Redners Preuß, der Wortgebrauch Tertochas zu rügen gewesen, was aber nicht erfolgt ist.

Eine Weile später, fast drei Stunden sind ins Land gezogen (2.57), klagt der Stadtverordnete Klante lauthals, er sei von der Stadtverordneten Wüllscheidt mit „obszönen Gesten“ mehrfach angegangen worden und betrachte dies als „sexuelle Belästigung“ und verlangt deshalb die Aufnahme dieser Beschwerde ins Gerichtsprotokoll. Analog zum ersten Beispiel hätte die Dorfrichterin nun die Stadtverordnete ermahnen müssen, was sie aber unterlässt. In diesem Fall fragt sie, und zwar so: „Ich frage Sie: Wollten Sie sich Herrn Dr. Klante auf unlautere Art und Weise nähern? Wenn Sie bitte ehrlich und aufrichtig antworten würden!“

Der Vorwurf war die Belästigung durch „obszöne Gesten“, nicht aber eine „Annäherung auf unlautere Art und Weise“!

Nach einer Einlassung der Stadtverordneten ist für die Richterin der Fall erledigt, sie geht zur Tagesordnung über! Allerdings nicht ohne den Beschwerdeführer herabzusetzen, indem sie meint ausführen zu müssen, ihr sei kein Fall bekannt, in dem über eine solche Distanz eine sexuelle Belästigung stattgefunden habe, sie wolle sich aber erkundigen.

Man mag das als Petitessen auf die Seite schieben. Aber Fälle dieser Art des Umgangs wird man bei jeder Ratssitzung feststellen können. Es ist faktisch der Ausdruck von Überheblichkeit und eindeutiger Parteinahme. Die Neutralität der Richterin wird verlassen, sie handelt nach Gutdünken und Sympathie – und die Sympathie ist geleitet durch die Parteizugehörigkeit.  „Petitessen“ dieser Art haben dazu beigetragen, dass sich ein Stadtverordneter so gereizt fühlte, dass er Grenzen übertreten hat.

Aber ein Teil der Verantwortung liegt bei der Richterin, die die Sitzungen im Rat des kleinen Dorfs nicht neutral leitet, sondern nach Art einer Gutsherrin!

 

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Heinz Niski

Weil zwischen Subtext und Metaebene das Ratsklima giftig wabert, wird es keine atmosphärische Aufhellung geben. Die einen werden sich weiter moralisch überhöhen und sich bescheinigen, zu den demokratischen Parteien zu gehören, während die anderen alle Nazis sind. Die anderen werden weiter filibusternd und geschäftsordnungstricksend vorgeben, Masken vom Gesicht zu reißen und den demokratischen David gegen den arrogant-mächtigen Goliath spielen. Auflösen kannst du das nur, indem du den David entzauberst und ihn auf die Mühen der Ebene und in die Verantwortung entlässt.
Dieser Weg ist durch das Brandmauer Gerede versperrt.
Freuen wir uns also auf weitere Rats-Shows, mit viel Gefühl, mit Tricks, Finten, Fensterreden und der Illusion, als Zuschauer an Entscheidungsfindungsprozessen teilzunehmen.

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Som Jo Tien

Obwohl die Oberbürgermeisterin politisch den Mehrheitsfraktionen („Viererbande“ – DieLinke) nahe steht, hat sie in der Sitzung des Hauptausschusses den Begriff „Viererbande“ noch pönalisiert und den Fraktionsvorsitzenden Martin Gatzemeier um Rücknahme gebeten. Er hat den Begriff in der Ratssitzung wiederholt. Dort wurde er von der Vorsitzenden nicht gerügt.

In einem Schreiben an die OB’in habe ich darum gebeten, meine Beanstandung an die Rechtsaufsicht weiterzuleiten, um die rechtlichen Grenzen ihrer Tätigkeit als Vorsitzende zu überprüfen. Dazu gehöre neben der Wahrung der Grundsätze der Sitzungsöffentlichkeit, auch die Pflicht zur Wahrung der Redefreiheit und des Minderheitenschutzes. Denn: „Die Ordnungsgewalt des Ratsvorsitzenden ist kein Instrument zur Ausschließung bestimm-
ter inhaltlicher Positionen aus der Debatte. Wenn ein Redebeitrag verschiedene Deutungsmöglichkeiten eröffnet, ist nicht von vornherein die Deutung zugrunde zu legen, die eine Ordnungsmaßnahme rechtfertigt.“ (OVG NW Urteil vom 14.09.2017 – 15 A 2785/15).

Weiter heißt es in meiner Beanstandung zur Vorlage an die Rechtsaufsicht: „Das öffentliche Interesse daran liegt wegen der Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes jedenfalls vor. Dass daneben die von der Beschlussfassung vor Ort direkt Betroffenen ihrerseits durch die Behinderung der Wahrnehmung ihrer Rechte ein öffentliches Interesse auslösen aus dem heraus sie Rechtsmittel geltend machen können, schließt ein öffentliches Interesse an einer Aufsichtsmaßnahme nicht aus. Für die Aufsichtsausübung gilt das Opportunitätsprinzip. Aufgrund der Schwere des Rechtsverstoßes verdichtet sich das Ermessen zur einer Rechtspflicht zum Einschreiten. Das Verfassungsgebot, dass das Land die Beachtung der geltenden Gesetze durch die Gemeinde sicherstellt, erfordert bei eindeutigen Rechtsverstößen – wie vorliegend – ein Einschreiten der Kommunalauf-
sicht; insoweit ist das Ermessen auf ein Einschreiten der Kommunalaufsicht – sogenanntes intendiertes Ermessen – gerichtet.“

Diese Einschätzung hier bestätigt das öffentliche Interesse auf andere Weise.

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