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Seinen Beitrag in der WAZ vom 29.12.23 (Rubrik: Politik & Meinung) übertitelt Jan Dörner im Rückblick auf das Jahr 2023 und die Krise der Regierung mit der Zeile „Das Jahr, in dem die Ampel scheiterte“. Dörner nennt einige Konfliktfelder, um seine Aussage zu belegen, etwa das Heizungsgesetz, den Streit um die Kindergrundsicherung, die Haushaltsproblematik und die sinkenden Umfragewerte, wobei diese eher Folgen des Handelns der Regierung sind, also eine Auswirkung der Konfliktfelder und des schlechten Regierungshandelns. Die von Jan Dörner genannten Punkte sind treffend, weitere könnten ergänzt werden: als eine der bedeutenden „Pannen“ ist sicherlich die Graichen-Affäre zu nennen, die zu einem großen Ansehensverlust Robert Habecks geführt hat.

Tatsache ist, dass, schaut man auf die Umfragewerte und die Ergebnisse von Landtagswahlen in 2023, der Ansehensverlust der Ampel-Regierung nach zwei Jahren so groß ist wie bei keiner anderen Regierung zuvor, jedenfalls deutlich größer als der bekannte „Sympathie-Knick“, den fast alle Bundesregierungen zur Mitte der Amtszeit erleiden müssen bzw. erleiden mussten.

Aber dass die drei (!!) Parteien der Regierungskoalition gemeinsam nur auf einen (Umfrage-)Wert kommen, den die größte Oppositionspartei allein erreicht, ist Signal eines außergewöhnlichen Niedergangs!

Was die Frage aufwirft, worin die Ursachen dieses Niedergangs jenseits der handwerklichen Fehler und der immer wieder missglückenden Kommunikation zu finden sind. Hierzu einige Überlegungen:

Die drei Ampelparteien wollten unbedingt an die Regierung.

Die Sozialdemokraten wollten vom Juniorpartner aus der Ära der „Großen Koalition“ zum Kopf der neuen Regierung werden. Und die 25,7 % Zweitstimmen bei der Wahl von 2021 schienen Legitimation genug zu sein. Dabei war die SPD schon seit Jahren, von positiven Ausschlägen als Ausnahme abgesehen, eine Partei im Sinkflug, die ihre „Macht“ in vielen alten Hochburgen (in Bundesländern und auch Regionen und Städten) längst verloren hatte. Auch die Mitgliederzahlen gingen zurück – ein Trend, der anhält! Bei der Wahl 21 profitierte die SPD offensichtlich davon, dass viele Menschen der Merkel-CDU überdrüssig waren, die zudem mit Armin Laschet einen äußerst unglücklich agierenden und tapsigen Kandidaten ins Rennen geschickt hatte.

FDP und GRÜNE wiederum wollten unbedingt die harten Oppositionsbänke verlassen und das Jamaika-Verhandlungstrauma des Jahres 2017 abschütteln (FDP) und die Mission der Weltrettung endlich in Angriff nehmen (Grüne).Die FDP, bei der man nicht mehr wusste, ob jetzt der wirtschaftsliberale Flügel dominant war oder der Flügel, der für die Freiheitsrechte der Bürger gegen einen übermächtigen Staat stand, hatte gegenüber der Bundestagswahl von 2017 sogar noch einmal leichte Hinzugewinne zu verzeichnen (von 10,7 auf 11,5%) und schien in der Beteiligung an der Regierung die Garantie für ihren längerfristigen Bestand als Bundestagspartei zu sehen.

Die GRÜNEN hatten gegenüber der Wahl von 2017 an Zweitstimmen zugelegt (von 8,9 % auf 14,8%), zudem schienen sie noch von der „Klimabewegung“ angeschoben zu werden, deren Niedergang zwar mit der „Pandemie“ begonnen, aber ihren gegenwärtigen Tiefpunkt noch nicht erreicht hatte. Die GRÜNEN wähnten sich – und tun es noch heute – auf einer Mission. Beim Parteitag (Bundesdelegiertenkonferenz) in Karlsruhe (23.-26.11.23) rief Habeck den Delegierten zu: „Habt keine Sehnsucht nach Opposition. Das wäre Versagen vor der historischen Aufgabe, die uns gegeben ist.“ Die GRÜNEN sind also in höherem Auftrag unterwegs, der ihnen – von wem auch immer – gegeben worden ist. Diese  völlig Selbstüberhöhung ist natürlich unfreiwillig komisch. Sie erinnert  an die Blues-Brothers, die im Film von John Landis aus dem Jahre 1980 bekanntlich sagen „Wir sind im Auftrag des Herrn unterwegs“, was  religiöse Konnotationen weckt (Apostel Paulus, 1. Korinther Brief 3,9: „Wir sind Gottes Mitarbeiter“).

Was als grüne Mission propagiert wird, führt uns schon näher an die eigentlichen Probleme heran, nämlich die Trennlinien und Schnittmengen der drei Parteien, aber auch an ihren jeweiligen Standort:

Die SPD hat ihren Markenkern, nämlich Politik für die „einfachen“ Leute zu machen, für die Arbeitnehmer, Rentner, Facharbeiter und all diejenigen, die unsere Gesellschaft durch ihre Arbeit tragen, ihre Steuern und Beiträge zu den  Sozialkassen leisten, längst aufgegeben – auch wenn die Vorsitzende gelegentlich „Klassenkampfparolen“ vom Stapel lässt und der Sozialminister (der ja gerade dabei ist, sein Bürgergeld-Gesetz zu überarbeiten) Sozialstaatsparolen heraustutet. Die SPD gefällt sich seit Jahren immer mehr darin, für Klein- und Kleinstgruppierungen und deren Interessen einzutreten. Aber: Für wen und was die SPD  wirklich  steht, weiß niemand so genau, sie selbst und ihre Mitglieder wahrscheinlich auch nicht.

Um es mal so zu formulieren: Was hat die SPD in ihrem (politischen) Warenhauskatalog, was ich im Zweifelsfall bei der Linken, bei den GRÜNEN oder irgendeiner „community“, Interessengruppe oder einem Verband für DIES UND DAS nicht konsequenter, frecher und preiswerter bekomme? Es gibt kaum ein politisches Geschwurbel, kaum eine zeitgeistige Phraseologie, die sich die SPD nicht zu eigen macht, weil sie offensichtlich glaubt, sich dadurch neues Wählerklientel zu erschließen, aber faktisch das alte verliert!

Ähnliches gilt für die FDP, die einst zwei programmatische Säulen hatte: die wirtschaftsliberale Auffassung von der Marktwirtschaft, in die der Staat möglichst wenig einzugreifen hatte. Und die freiheitsrechtliche Auffassung, die davon überzeugt war, dass die Rechte des Einzelnen gegenüber einem übergriffigen Staat zu verteidigen sind.  Beides hat die FDP auf dem Altar der Regierungsbeteiligung geopfert, was am „Heizungsgesetz“ deutlich wird: Einerseits ist es ein bürokratisches Monstrum staatlicher Regulierungswut voller innerer Widersprüche und mit einem hohen Grad von Ausblendung der Realität. Auf der anderen Seite greift es (auch nach der „Überarbeitung“) in die Rechte von Bürgern ein, wenn es um die Entscheidung geht, wie und in welche Form geheizt werden soll. Dass die favorisierten Wärmepumpen nach der Verabschiedung des Gesetzes einen Nachfragerückgang zu verzeichnen haben, wogegen die Nachfrage nach Gasthermen gestiegen ist, zeigt, dass das „gemeine Volk“ oft anders denkt und handelt, als es die Verfasser solcher Gesetze wünschen.

Zweites Beispiel: Dass der FDP-Justizminister ein Gesetz entwickelt, das unter Freiheit versteht, sich im jährlichen Wechsel für eine Geschlechtsidentität und ihre Änderung samt Änderung des Vornamens entscheiden und diese Änderungen durch Zuruf veranlassen zu können, (nach einer Frist von 12 Monaten kann das bisher neu eingetragene Geschlecht dann wieder verändert werden), mag für einzelne Betroffene hilfreich und nützlich sein, reduziert aber den Freiheitsbegriff auf ein Spiel mit Geschlechteridentitäten.

Zudem verspielt die FDP ihre Glaubwürdigkeit durch die Lindnersche Verbalakrobatik, etwa wenn es um Steuern geht. Steuererhöhungen soll es mit der FDP nicht geben, so das Versprechen! Gibt es aber bereits durch die Heraufsetzung der Mehrwertsteuer auf das Vor-Pandemie-Niveau im Bereich der Gastronomie. Und ob etwas Steuer oder Abgabe genannt wird, ist für den Endverbraucher wurscht, wenn sich Produkte und Dienstleistungen verteuern. Die CO2-Bepreisung macht ein Produkt (Benzin, Gas, Strom) teurer – auch wenn es Abgabe heißt!

SPD und FDP sind – gedanklich – durchaus zu verklammern unter dem Begriff „Beliebigkeit“. Bei ihnen ist es wie bei der Pralinenschachtel, die Forrest Gump als Bild vom Leben nimmt, das ihm seine Mutter mit auf den Weg durch die Welt gegeben hat. Man weiß halt nicht mehr so genau, welche Pralinen in den Schachteln sind, auf denen SPD und FDP steht!

Bei den GRÜNEN ist das etwas anders: hier ist der Leitbegriff IDEOLOGIE, da die GRÜNEN sich auf einem missionarischen Weg sehen, was sich hinter dem bereits zitierten Habeck-Begriff der „historischen Mission“ verbirgt. Die (gegenwärtige) grüne Politik ist ideologiegeleitet – und gleichzeitig prinzipienlos! Weil das so ist, sind die Grünen auch in der Lage, die Wirklichkeit und die immanenten Widersprüche ihres Handelns bzw. der Folgen ihres Handelns auszublenden bzw. als Teil ihrer Mission einzubinden.  Energiepolitik, Wirtschaftspolitik, Verkehrswende – all die grünen Verheißungen sind nicht wirklichkeitskompatibel: die Phrasen vom Ausstieg aus den fossilen Energieträgern sind eben nichts als  – Phrasen, sind untauglich für die Gegenwart und Zukunft. Wir importieren Strom aus Kohle und Atomkraft, die Braunkohlewerke laufen heiß, die Strom- und Energiekosten gehen in die Höhe. Aber die GRÜNEN verweisen auf die Zukunft, auf ein Himmelreich, in dem ihre Verheißungen umgesetzt worden sind – und sie machen die Widersprüche zum Teil ihrer Mission! Sie sind dominant, weil sie sich im Besitz der  wahrhaftigen Lehre wähnen und weil sie wissen, dass die anderen beiden Parteien auf sie angewiesen sind und ein Zerbrechen der Koalition fürchten müssen. Deswegen können sie auch gleichzeitig dominant und anschmiegsam und geschmeidig sein – und dafür alte Lehrsätze (Prinzipien) über Bord werfen (Waffenexporte, Umweltschutz, Verteidigungspolitik).

Jedoch verlieren die GRÜNEN nicht nur beim deutschen „Wahlvolk“ an Zustimmung , das hat die Konferenz COP 28 gezeigt:  die Welt folgt dem Beispiel Deutschlands und den grünen Träumereien und Verheißungen nicht, sondern baut die Atomkraft aus und setzt weiterhin auf Gas, Kohle und Öl. Aus diplomatischer Höflichkeit erträgt die Welt die Deutschen und die moralischen Mahnungen und Warnungen der Außenministerin, die gerne in miserablem Englisch vorgetragen und mit Geldtransfers abgefedert werden. Aber immerhin gibt es einen Fortschritt, jedenfalls wenn man Dieter Nuhr zustimmen will, der im Jahresrückblick 2023 sagte: Früher schickten wir Soldaten ins Ausland, heute schicken wir Clowns!

Liest man das Koalitionsprogramm, wird man unschwer feststellen, sowohl in sprachlicher als auch in inhaltlicher Sicht, dass es deutlich grün eingefärbt ist. Was zwei Gründe hat: die programmatische Aufweichung von SPD und FDP, die auf den  großen missionarischem Eifer der Grünen getroffen ist. Und zweitens der Wille, an die Regierungsmacht zu kommen, was SPD und FDP wohl dazu bewogen hat, manchem grünen Kladderadatsch zuzustimmen, weil es an Geld. nicht zu mangeln schien!

Die vorhandenen Widersprüche wurden unter den Tisch gekehrt oder mit Geld zugeschüttet, das nun aber nicht mehr in der geplanten Höhe zur Verfügung steht. Das hat zur Folge, dass die Widersprüche notwendigerweise aufbrechen müssen – und zwar die Widersprüche zwischen den drei Partnern und die Widersprüche zwischen dem Regierungsprogramm  und dem tatsächlichen Regierungshandeln – und der (Lebens-)Wirklichkeit!

Wir sehen das (beispielhaft) schon jetzt an der Rücknahme der E-Auto-Förderung, an der Rücknahme des „Klimageldes“ in seiner ursprünglich geplanten Form, an angekündigten Veränderungen beim Bürgergeld, an der Einführung von Abgaben, an der vorgezogenen Erhöhung der CO2-Bepreisung usw.

Daran wird sich auch im neuen Jahr nichts ändern, wenn die Koalition weiterhin Bestand hat. Die Europawahl und die Landtagswahlen in ein paar Monaten werden, je nach Ergebnis, die Krise der Koalition mehr oder weniger stark verschärfen. Die vorhandenen Widersprüche können nicht mehr weggebügelt werden, das politische Siechtum der Koalition scheint ein Dauerzustand zu werden – auch wenn die Führungsmannschaft mit Scholz, Lindner und Habeck gelegentlich vor die Mikrophone tritt und das Lied von der großen Harmonie anstimmt:

Die Melodie mag süßlich klingen, aber der Text ist vergiftet!

Und die Pralinen in der Schachtel schmecken bitter!

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Heinz Niski

Insgesamt wollen alle Politiker nicht an das Problem heran, dass eine pazifizierte, postheroische Verhandlungsgesellschaft ungeeignet zum Säbelrasseln ist, dass sie ihre Stärken im Bereich Diplomatie nutzen muss, statt Söldner an die Front zu schicken. Es gibt keine Antworten auf die Probleme der Einwanderung, man verklärt es irreführend mit romantisierenden Leerformeln vom Asylrecht und verhindert eine realistische Bestandsaufnahme. Sarrazins Prognosen über die Talfahrt im Bildungssystem sind eingetroffen, auch hier keine Antworten. Ein „Ruck“ eine Debatte, wie die Zukunft aussehen soll, findet nicht wirklich statt. Man ist mehr denn je Appendix amerikanischer Interessen, hat aufgegeben, eigenständig die Gesellschaft gestalten zu wollen.

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Last edited 4 Monate zuvor by Heinz Niski
Ro.Bien.

Ohne die letzte drei Abschnitte noch gelesen zu haben:
Der Wähler und die Wählerin funktionieren immer noch menschlich – heisst z.B. für NRW: ALLE lieben Laumann!
Warum? Schön isser nich! Sicher auch nicht, weil er bei der CDU ist. ABER: Er hat Hauptschulabschluss, hat mal malocht, vermittelt glaubwürdig, dass ers ernst womit auch immer meint, ist empathisch, trägt das Herz auf der Zunge, und kommt aus der christlich sozialen Abeitnehmerbewegung.
Wo bleiben seine charakterstarken, charismatischen Nachfolger*? Sind die bei der veganen Ernährung im Entstehungsprozess genetisch ausgestorben?

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Som.Jo.Tien.

Der Beitrag lässt mich an die Theorie der verschiedenen Phasen der Parteien und Politiker im Verhältnis zu den Wählern denken. Seit den 1970iger Jahren seien die Parteien in Deutschland in die vierte Phase eingetreten. Ein Kritiker, der von Katz/Mair entwickelten Theorie, wonach Volks- oder Catch-All-Parteien ab der dritten Phase in der vierten Phase zu „Kartellparteien“ werden, führt mit seiner Studie (Klaus Detterbeck) neben einer empirischen Fundierung des theoretischen Konstrukts von Kartellparteien auch eine Weiterentwicklung ein: „Diese stellt die Hinwendung der Parteien zur staatlichen Sphäre sowie deren eigeninteressierte Kooperation ins Zentrum.“ Die Abwendung der Bürger von der Politik und den Politikern habe Ende der 90iger Jahre zur Abwendung der Politik(er) von den Bürgern und zur Hinwendung der Politik(er) zum Staat geführt.
https://de.wikipedia.org/wiki/Kartellpartei?fbclid=IwAR39A5_Iu-u2FGSVKKSU9DswgP9U-w7lnPhZj5zgLfFmcrjAJeYgXU93To0#Kartellparteithese_nach_Katz_und_Mair

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