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JOY-RIDE

Ich hatte gedacht: Gehst du mal gucken. Ich bin schon in dem Alter, wo die Einschläge links und rechts immer näherkommen. Jetzt bin ich noch einigermaßen klar in der Birne – aber man weiß nicht, wann sich der Schalter im Kopf umlegt und man nur noch „gagga“ sagen kann und wieder in der Pampers-Liga spielen muss. Und bevor ich nicht mehr alle Latten am Zaun habe oder den Löffel abgebe oder die Schlappen in die Luft werfe, habe ich eben gedacht: Gehst Du mal gucken und informierst dich – sarg- und beerdigungstechnisch gesehen.

Früher stand über dem Laden „Bestattungsinstitut Seelenfrieden“ /Inhaber Heiner Müller. Aber jetzt stand da: „Müllers Eternity Shop. Design-Möbel für einen starken Abgang“.

Und statt des alten Müller in seinem ewig grauen Anzug, bei dem man den Eindruck hatte, Mann und Anzug hatten schon die Leichenstarre der Klienten angenommen und rochen auch so, jetzt: Müller Junior. Backpfeifengesicht, aber mit Maßanzug für um die 2000 EURO, mit Schuhen aus Krokoleder (rahmengenäht), mit einer Uhr zum Preis eines Mittelklassewagens und mit einem Lächeln, so süß, dass Diabetiker Augenschoner tragen mussten.

Ich: Ich wollte mal nach Särgen sehen!

Er: Särge? Wir verkaufen doch keine Särge. Die Zeit der Särge ist vorbei. Särge war gestern. Heute ist: Joy-Rides!

Ich: Hmmm?

Er: Das Motto heißt: Coolness. Spaß auch beim Ritt auf den letzten paar Metern über der Erde. Fun im Leben – noch mehr Fun im Grab. Joy-Rides eben!

Ich: Aaaaha!

Er: Heute geht es nicht mehr um eine Bestattung, sondern um einen starken Abgang. Wir sind keine simplen Bestatter mehr, sondern diplomierte Death-Style-Berater, Eternity-Designer, Requisiteure auf dem Weg zum Endlos-Rave!

Ich überlegte, ob ich ihm diesen alten Bestatter-Witz erzählen sollte: Ein Manta-Fahrer ist gestorben. Sein bester Freund kommt zum Bestatter, gibt ihm einen Hunderter und sagt dann: Kannste ihn dafür tiefer legen?

Stattdessen fragte ich: Und was heißt das jetzt für mich?

Er: Wir checken zunächst die Design-Präferenz und Ihre Life-Style-Attitudes und schauen dann, welcher Transzendenz-Typ Sie sind. Auf dieser Grundlage  machen wir Vorschläge für ihr Personal Eternity Event, also Ihren persönlichen Abgang ins Jenseits!

Ich: Hmmmh?

Er: Wenn Sie auf Glamour stehen, also noch als Toter gerne auf die Sahne hauen und ganz dick auftragen wollen, dann nehmen Sie unser Modell „Pomp and Circumstances“: Mahagoni im Jacht-Design, im Inneren Leopardenfell mit Applikationen aus Blattgold. Und einer Reling aus mattiertem Edelstahl von Colani!Wenn Sie es lieber etwas rebellisch, aber doch funky mögen, dann kommt unser Modell „Woodstock“ infrage: Ein dem legendären 2 CV von Citroen nachempfundenes Bestattungsmodell. Aus Polypropyläen-Hartschaum geformt mit Bluetooth-Anschluss und Streaming-Option, so dass Sie noch im jenseits Ihre Lieblingsmusik hören können. Farblich natürlich alles im Retro-Look der 60er und 70er Jahre, also marihuana-froher Hippie-Touch der Woodstock-Generation. Als besonderer Gag: Sechs Pril-Enten-Aufkleber, die ihre Freunde und Verwandten nach Wunsch selbst anbringen können.

Ich wollte ihn ausbremsen und sagte deshalb: Ich bin eher der Fußball-Fan-Typ! Da gibt es doch bestimmt nichts, oder?

Er: Klare Ansage. Da nehmen Sie unser Modell „Soccer“. Eine dem aktuellen FIFA-Ball nachempfundene Kugelform aus Bison-Leder! Im Prägedruck sind auf der Innenseite alle deutschen Fußballmeister verewigt. Ich kann ihnen den im Bayern-Look oder auch im Borussen-Schwarz-Gelb anbieten!

Ich: Muss nicht sein! Ich will mich wohl fühlen in der Ewigkeit. Also: Blau-Weiß muss es schon sein!

Er: Das ist die richtige Einstellung zum Tod – wohl fühlen, Wellness. Das ist Ihr Ereignis, und das ist Ihre Ewigkeit. Ich gebe Ihnen mal unseren Hauptkatalog mit. Blättern Sie den in Ruhe durch, beraten Sie sich mit Freunden und Verwandten. Gehen Sie dann online! Klicken Sie an. Und füllen Sie den Warenkorb, wenn Sie sich entschieden haben!

Ich trat auf die Straße und blickte auf den Katalog: Memento Mori! Für die Stunden, wenn Ihre Zeit gekommen ist! Ich blätterte ein wenig die Seiten durch und blieb für einen Moment auf der Seite 112 hängen: „Modell Six-Pack! Wie im Leben – so im Sterben. Totensack, aus alten Bundeswehrparkas genäht, zur senkrechten Beerdigung in Kleingruppen bis sechs Personen geeignet. Inklusive 6 Dosen Heineken-Pils“. Ich warf den Katalog in einen Mülleimer.

Mir fiel ein, dass ich kürzlich einen Prospekt gesehen hatte : Eine intelligente Toilette – Sie wissen schon: KI. Die Toilette analysiert anhand der Körperausscheidungen alle wichtigen Parameter zum Gesundheitszustand und druckt eine schriftliche Expertise aus – mit Vorschlägen zur Ernährungsumstellung und Veränderung von Lebensgewohnheiten. Die Toilette hieß, glaube ich: Gnothi seauton.

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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