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Blicke auf ein zerrüttetes Land
Was ist los in diesem Land, in dem ein durchaus renommierter Verlag „Winnetou“- Bücher vom Verkaufstisch nimmt, weil „Aktivisten“ auf ihren anti-rassistischen Gäulen durch die Buchlandschaft galoppieren und die Keule des Vorwurfs der Verwendung von Stereotypen aus der Zeit der Kolonialisierung indigener Völker schwingen? Worin besteht die Kompetenz derjenigen aus der Welt der flüchtigen Empörungswellen, die im Stundentakt auf der Suche nach neuen Anlässen hysterischer Zensurkultur sind? Die gerne den intellektuellen Diskurs durch Labeling, durch die von ihnen verteilten Etiketten ersetzen und deren Hauptmerkmal die Selbstgerechtigkeit ist? Und die die Begrifflichkeit der „entarteten Kunst“ offensichtlich gewendet haben in den Vorwurf der kulturellen Aneignung, der Typisierung kolonialer Klischees und der „Romantisierung“ der Auslöschung indigener Völker. Und die übrigens gerne auch mal Fiktion mit Sachbuch verwechseln! Einfach gesprochen: Aus meiner eigenen Kindheit erinnere ich, dass beim Cowboy- und Indianerspielen die Indianer immer die Guten waren und die Weißen die Bösen. Dass die Indianer(-stämme) durchaus auch grausame Rituale kannten, wurde dabei vergessen oder war nicht im Bewusstsein. Ein Marterpfahl war eher ein spielerisches Objekt. Was auch eine Form der Romantisierung war!
Die Winnetou-Entscheidung des Ravensburger Verlages, die nicht nur von großen Teilen des Lesepublikums bedauert, sondern auch von Fachwissenschaftlern kritisiert worden ist, ist aber nur ein Mosaiksteinchen der geistigen Zerrüttung, die dieses Land seit geraumer Zeit erlebt. Eine Ursache dieser aufgekommenen Hypermoral, dieser Zersetzung und Ersetzung einer lange gepflegten Debattenkultur, deren Wesenskern im Aushalten und fairen Streit unterschiedlicher Standpunkte und Ansicht bestand, durch eine Art Empörungsmaschinerie, ist natürlich die Last der deutschen Vergangenheit. Diese wird allerdings nur instrumentalisiert, um den eigenen Standpunkt durchzusetzen, nicht aber um Gemeinsamkeit zu stiften. Diese wird vielmehr zersetzt – an ihre Stelle tritt eine Hyper-Individualisierung! Das immer wieder in Politikerreden auftauchende WIR ist längst verschlissen auf dem Weg eines Landes, das in die Zerrüttung torkelt – orientierungslos, gespalten, letztlich kraftlos!

NO COUNTRY FOR OLD MAN
Wann hat das eigentlichen angefangen, diese ganze schräge Entwicklung? Man wird keinen Tag festlegen können, vielleicht noch nicht einmal ein Jahr, denn die Entwicklung begann schleichend, entwickelte aber allmählich eine fast unaufhaltsam scheinende Dynamik. Ich glaube, es hat in den 90ern angefangen, als man begann, Kinder nicht mehr Kinder zu nennen, sondern kids. Eine Akzentverschiebung: Kinder werden erzogen, lernen Regeln und sollen so gesellschaftliche Normen internalisieren. Sie gehen in die Schule und sind Teil einer Klassengemeinschaft, in der man lernen muss, mit unterschiedlichen Temperamenten, Verhaltensweisen und Auslegungen der Regeln und Normen klar zu kommen. Man wächst – an sich, seinen Frustrationen und den Herausforderungen der Gemeinschaft.
Bei Kids ist das anders, denn die sind cool, die Erwachsenen dagegen schon eher „Oldschool“! Kids sind „allwright“ – und können deshalb mit der verkehrt herum aufgesetzten Kappe nicht nur im Unterricht und im Gottesdienst, so sie denn mal einen aufsuchen, sitzen, sondern auch zu Bett gehen! Kids sind autonome Wesen, die Erwachsenen laufen nebenher mit! Sie sind Servicepersonal für die Kids, die alle so schrecklich individuell sind, was man an den Labels ihrer Kleidung sehen kann! Das ist ein Unterschied gegenüber früheren Zeiten, in denen die Alten (die Eltern) immer über die Jungen (die Kinder) und ihr schlechtes Benehmen geklagt haben. Heute wird eben nicht geklagt, sondern schlechtes Benehmen als Ausdruck der entwickelten oder sich entwickelnden Individualität uminterpretiert und zur neuen Norm erhoben. Erziehung ist an ihr Ende gekommen!
Aus der Klassengemeinschaft ist allmählich eine Lerngruppe geworden, aus der Lerngruppe ein individuell Lernender hervorgegangen, der darüber entscheidet, was und wie er lernt! Die Balance zwischen Individuum und Gesellschaft, in der der Einzelnen sich als Einzelner und zugleich als soziales Wesen und Teil der Gemeinschaft versteht, geht verloren. Der Einzelne sieht sich singulär, einzigartig. Er ist der Herrscher auf seinem Thron, und die Welt besteht aus tausenden von Königreichen!
Waren die Menschen einst Teil einer Horde, eines Familienclans, eines Stammes, später Untertanen eines Herrschers oder Teil einer Nation und noch später Mitglied eines Standes, einer Klasse, einer (soziologisch bestimmten) Schicht, repräsentieren sie heute nichts außer sich selbst, sie sind ein Über-Individuum, ein um sich selbst tanzender Stern ohne Zentralgestirn. Seine Existenz ist an die Entfaltung des größtmöglichen Ich gebunden – keine Entfaltung des Ich bedeutet: keine Existenz als Ich. Wie aber entfalten in einer Welt der vorgegebenen Klischees, in einer Welt, in der medial vermittelt wird, jeder könne im Prinzip alles werden? Dies geht nur durch die größtmögliche Abgrenzung von den anderen. Und dies kann wiederum nur auf der Ebene der gestalteten Identität gelingen! Die alte Ich-Identität der Passung zwischen dem Individuum als seiner selbst und als Teil der Gesellschaft, die Gewissheit, einzigartig und doch Teil eines Ganzen zu sein, ist ersetzt durch die Verabsolutierung des Ich. Da eine Grenzziehung durch Kleidung, Geld, Ansehen kaum mehr möglich ist, weil alle alles können, bleibt nur der Rückzug auf die Person selbst und hier wiederum auf die „Geschlechtsidentität“ und „Geschlechtsorientierung“. Die Differenzierung erfolgt über die (im weitesten Sinne) sexuelle Selbstzuschreibung. Ich „lese“ mich selbst als ein anderer gegenüber den andern! Und weil das so ist, muss ans Ende der Reihe mit den Buchstaben LGBTQ noch ein PLUSZEICHEN (oder ein Sternchen) gesetzt werde, damit deutlich wird, dass neben den durch die Buchstaben angeführten Geschlechtsidentitäten Raum gegeben ist für eine Vielzahl anderer Identitäten, diemeinem Ich zur Verfügung stehen.*** Denn nur so habe ich heute noch die Möglichkeit, mein Ich zu inszenieren und es vor mir selbst als einzigartig zu empfinden und diese Einzigartigkeit zugleich der Welt zu zeigen.

Dieses modellierte Ich benötigt aber zur Selbstbestätigung auch noch einen Widerpart, von dem es sich abgrenzen kann: Der Widerpart ist das „Normale“, genauer die Heteros – und unter denen wiederum die alten weißen Männer, die sozusagen den Fixpunkt des Negativen bilden. Beispiel gefällig dafür, wie die LGBTQ+Gemeinde unter Heteros leidet? Ein Problem scheint es zu sein, wenn Heteros auf einer (öffentlichen!) Queer-Party anwesend sind: „Relativ zentral im Raum fangen Paare, die sich auf den ersten und zweiten und dritten Blick als Cismann und Cisfrau einordnen lassen, an, ihr Paarsein zu zelebrieren, meist durch intensives Rumknutschen. In diesem Fall durch Rumknutschen nichttanzend auf der Tanzfläche, also auch noch als Hindernis für alle, die tanzen wollten. Die Frage ist: Warum auf der Queer-Party? Und warum so sichtbar, mitten im Raum? Und warum eventuell auch noch nichttanzend einen Tanzplatz einnehmend? (…) Dies ist ein queerer, ein lesbischer, ein schwuler, ein bi, manchmal ein trans*, manchmal ein inter, ein bisschen ein poly, jedenfalls ein subkultureller Raum. (…)Eine Regel in einem queeren Raum ist beispielsweise, dass sich Leute hier erholen können von den heteronormativen Zumutungen, denen sie täglich ausgesetzt sind.“****
„Heteronormativität“ als tägliche Zumutung – und dann auch noch Platz auf der Tanzfläche wegnehmen durch intensives Knutschen – sichtbar im Raum! Ist diese Empfindung einer „heteronormativen Zumutung“ nur frech, arrogant und voller Vorurteile, unter denen man selbst meint gelitten zu haben, oder einfach nur ein Zeugnis geistiger und seelischer Armut und einer Jammerlappenhaltung? Es ist zunächst mal nichts anderes als Ausgrenzung – und an deren Ende wartet, bildlich gesprochen, immer der Scheiterhaufen! Die einst selbst Ausgegrenzten werden zu Ausgrenzern und richten niedergerissene Zäune wieder auf. Unter der Fahne der Ideologie des Genderns, zu der der französische Literaturwissenschaftler Éric Marty sagt: „Gender ist die letzte große ideologische Botschaft des Westens an den Rest der Welt.“
Und das meinte er nicht positiv!

A WALK AMONG THE TOMBSTONES
In einem Artikel in der WAZ-Lokalausgabe von heute geht es um ein Projekt gegen Antisemitismus. Anlass für dieses Projekt war die antisemitische Hass-Demonstration vor der Neuen Synagoge im Mai 2021. Unter wüsten anti-israelischen und anti-jüdischen Parolen formierte sich damals eine Demo, getragen von Männern und Frauen mit Migrationsgeschichte und moslemischem Glauben, was an den Parolen und den mitgeführten Fahnen und Transparenten unschwer zu erkennen war. Es waren eben nicht stiernackige und glatzköpfige Neo-Nazis, die ihre dumpfen Hass-Parolen grölten, sondern Mitbürger und Mitbürgerinnen, deren Wurzeln im arabischen Raum, im Libanon und in der Türkei lagen, wie die mitgeführten Fahnen zeigen (Palästina, Türkei, Algerien usw.) und deren Glaubensrichtung der Islam war.***** Des Spiegel-Gründers Rudolf Augsteins Satz „Sagen was ist“ hat aber in diesem Artikel schon seine Kraft verloren, denn die Gruppe der Ober-Schreier wird nicht klar benannt, sondern umschrieben mit der Formulierung „jene Gruppe von jungen Männern“, die „vor der Synagoge besonders negativ aufgefallen waren“. Und an anderer Stelle mit einer Umschreibung, wenn von jener „Personengruppe, die bei der antijüdischen Demo aufgetaucht“ war, die Rede ist. Da hat die Schere im Kopf zugeschnappt, legitimiert damit, dass man keine Vorurteile schüren will. Aber mit dieser Exkulpierungsstrategie lügt man sich selbst etwas vor, denn man will nicht wahrhaben und aussprechen, dass es neben dem „rechts“ zu verortenden Antisemitismus auch einen im Islam verwurzelten Antisemitismus gibt.
Diese im Blick „eingeschränkte“ Berichterstattung im WAZ-Artikel ist kein individueller Fehler des Redakteurs, sondern vielmehr Ausdruck einer Haltung und einer Kultur des Verschweigens, die Platz gegriffen hat. Unsere gerechten, vor allem aber selbstgerechten Aktivisten blicken am liebsten sowohl geographisch als auch politisch-historisch weit weg, der eigenen Hinterhof ist uninteressant. Meint: die Ravensburger Entscheidung und der WAZ-Artikel sind dafür typisch. Man schaut in ein fernes Land und eine ferne Zeit und eine andere Kultur – und schon ist man bei einer Jetzt-Zeit-Entkolonialisierung und steht auf der richtigen Seite, weil man sich gegen eine (vermeintlich) klischeehafte Darstellung der Indianer richtet, die als Opfer gesehen werden. Die Verbrechen der Kolonialzeit werden gesühnt, so scheint es wohl, wenn man in Foren zensierend in Kinderbücher eingreift und sich zum Sprecher indigener Völker erklärt und über kulturelle Aneignung lamentiert! Dass man in dem Moment, in dem man seinen Post in den sozialen Medien absetzt, als Profiteur der Globalisierung mit einem Gerät kommuniziert, das nur deshalb so preiswert ist , weil es auf der Ausbeutung von Rohstoffen und der Arbeit von Kindern in Lateinamerika und Afrika beruht (Rohstoffe für die Akkus etwa), spielt keine Rolle. Was ist das JETZT gegen die Toten, denen man sich zuwendet? Das Wandeln zwischen Grabsteinen, in der Geschichte aufgestellt und in anderen Ländern und Kontinenten, ist viel einfacher und entlastet das Gewissen. Hier vor Ort Täter konkret zu nennen, ist da schon komplizierter, macht Stress, könnte einem selbst ja einen shit-storm der Ultra-Gerechten einbringen, kulminierend im Vorwurf des Rassismus und der Islamophobie. Da greift man dann zum Begriff „Gruppe junge Männer“, als befände man sich auf der Sauftour eines Kegelclubs, bei der die „jungen Männer“ vom Balkon ihres Mallorca-Hotels uriniert haben und dadurch „besonders negativ aufgefallen“ sind. Araber, Algerier, Türken: Sie sind eben nicht nur „besonders aufgefallen“ vor der Synagoge, sondern haben antisemitische Hetze, Todesdrohungen und antijüdischen Hass verbreitet – Straftaten, keine Ordnungswidrigkeiten allemal!
Eine ähnliche Struktur des „einseitigen Blicks“ zeigt sich auch in anderen Bereichen: Der Kampf der amerikanischen „MeToo-Bewegung“ (ab 2006) fand auch in Deutschland Unterstützung, ohne aber auch nur ansatzweise die strukturelle Unterdrückung von Frauen in patriarchalisch organisierten und häufig dem Islam anhängenden Familien und Lebenszusammenhängen bei uns in den Blick zu nehmen, weil die Gefahr bestand, sich den Vorwurf der „Ausländerfeindlichkeit oder „Islamfeindlichkeit“ einzufangen.
Der Begriff „woke“(im Wortsinn abgeleitet von to wake im Englischen, also erwachen, aufwachen), dessen ursprüngliche Bedeutung in der Verwendung durch die afroamerikanische Bevölkerung in den USA ( v.a. im Kontext des Rassismus stehend) mittlerweile ausgeweitet worden ist auf Bereiche wie Sexismus, Homophobie, kulturelle Aneignung und Triggern, ist sicher einer der am schnellsten expandierenden Begriffe unserer Gegenwart. Vom Rand der Gesellschaft hat er sich in deren Mitte, in den Mainstream bewegt. Wer nicht woke ist, ist von gestern, ein Auslaufmodell, vielleicht sogar ein übles Subjekt! „Es geht“, wie Éric Marty sagt, „um Anschuldigung, Einschüchterung, Ausschließung, öffentliche Hinrichtung“ – und das, so nennt er es, „mit den Methoden des intellektuellen Terrors.“
Mit dem „Woke-Sein“ ist, wie oben skizziert, Teil einer Kultur des Wegsehens, der Nicht-Benennung, des Schweigens und damit der Doppelmoral verbunden. Dass etwa islamkritische Publizisten wie Hamed Abdel-Samad oder Seyran Ates, die Gründerin der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin Moabit, Morddrohungen ausgesetzt sind und sich nur unter Polizeischutz bewegen können, ist unseren woken Aktivisten kaum ein Wort wert, denn dann müsste man sich in einem Umfeld positionieren, das sich nicht unbedingt an die demokratischen Spielregeln hält, wenn es um Glaubensfragen und die Glaubenspraxis geht. Es herrschen Doppelstandards vor im woken Umfeld!
Viel leichter ist es da, das Gesicht von der schmutzigen Gegenwart auf der anderen Straßenseite abzuwenden und die (vermeintlich) falsche Darstellung der Welt der „Indianer“ in Kinderbüchern zu monieren. Aber natürlich kann man sich auch wohl dabei fühlen, ein totes Pferd zu reiten. Auch wenn ein weiser Spruch des Dakota-Stammes lautet: Wenn Du entdeckst, dass Du ein totes Pferd reitest, steig ab. Was allerdings voraussetzt, dass man merken will, dass das Pferd tot ist!

MATRIX
Was die Doppelstandards im woken Umfeld angeht, finden sie ihre Entsprechung im Bereich der „großen Politik“. Das fängt an mit Begriffen, die etwas anderes suggerieren als sie tatsächlich verkörpern (ein „Sondervermögen“, das Schulden generiert, eine Gasumlage, die – im Kern – nichts anderes ist als eine Steuer, weswegen auch Mehrwertsteuer staatlicherseits erhoben wird). Aber diese Doppelstandards herrschen auch in größeren politischen Zusammenhängen. Wir leisten uns seit Wochen eine quälende Debatte über die Verlängerung von AKW-Laufzeiten, beziehen aber, ohne mit der Wimper zu zucken, Atomstrom aus Frankreich (wenn die französischen Meiler denn liefern können). Im vergangenen Jahr hat Deutschland 10 Milliarden Kilowatt Strom aus Frankreich bezogen, das seinen Strom zu zwei Dritteln aus Atomkraft gewinnt.
Riesige Investitionen stehen an, um Flüssiggasterminals zu bauen, die den teuren Stoff aus den USA aufnehmen sollen. Wir selbst lehnen aber eine Erschließung der eigenen Schiefergasfelder ab. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften schätzt die Vorkommen auf 13 Billionen Kubikmeter, von denen etwa 10 % gefördert werden könnten. Diese Menge würde – rechnerisch – ausreichen, um Deutschland für 14 Jahre aus eigenen Quellen mit Gas zu versorgen – auf der Basis der zuletzt 90 Milliarden Kubikmeter an jährlichem Gasverbrauch. Aber Deutschland verbietet im eigenen Land die Technik, die man in den USA selbstverständlich billigt, um Deutschland zu bedienen.
Das Gas des Kriegstreibers Russland, das durch Nordstream 2 fließen könnte, will man nicht mehr – es ist wohl böse. Die Menge, die durch Nordstream 1 und auf anderen Wegen aus Russland zu uns kommt, nimmt man Putin ab – es ist wohl gutes Gas. Und es wird sogar gejammert über Putin, wenn der noch weniger (gutes?) Gas zu uns fließen lässt. Und was das Verhältnis zu Diktaturen angeht? China, sicher keine lupenreine Demokratie, das seine Macht aggressiv ausbaut, liefert uns jährlich mehrere hundert Millionen Lithiumakkus. Sind das alles moralisch einwandfreie Akkus? Sicher – jedenfalls wenn man über Zensur, politische Unterdrückung gegenüber Minderheiten und Oppositionelle, die Aggressionen gegenüber Taiwan, die militärische Hochrüstung, die Drohgebärden und den generellen Machtanspruch hinweg sieht. Da bleibt natürlich nur noch die Frage, was das echte Leben im Falschen ist, wer ein Programm in der Matrix ist und wer die Matrix programmiert, in der wir leben!

PULP FICTION
Die bundesrepublikanische Gesellschaft der Gegenwart ist im Zustand der Zerrüttung, die wohl der Agonie vorausgeht. Das Land ist in vielerlei Hinsicht gespalten, in Gruppen und Grüppchen segmentiert, ideologisch ausgelaugt oder verwässert, blass und geschmacklos. Es täuscht sich selbst etwas vor, nämlich eine Größe, die es nicht mehr hat. Denn die Größe eines Landes besteht nicht allein in wirtschaftlichen Kennziffern, sondern in der Kraft seiner Bevölkerung, in dem Mut der Menschen, die hier leben, arbeiten, Steuern zahlen, an gesellschaftlichen Prozessen teilnehmen und einen Blick haben, der über den Rand des eignen Bauchnabels hinausgeht. Die Auseinandersetzungen nicht scheuen, aber sie mit der Absicht führen, dass das Wohl aller das Ziel ist!
Christian Woop überschreibt in der heutigen WAZ (Sport) seinen Beitrag über die Krise des VfL Bochum so: „Auf der Suche nach Identität. Zusammenhalt, Kampfgeist, Spielidee – der VfL Bochum lässt seine Grundtugenden vermissen.“ Immerhin: Grundtugenden werden benannt und nach der Identität wird gesucht. Aber das tut Deutschland (im Gegensatz zum VfL) ja nicht mehr: Deutschland ist identitätslos geworden, zersplittert in marginalisierte Klein-und Kleinstgruppen. Geschweige denn, dass dieses Land noch eine Spielidee hätte. Wo sollte sie herkommen? Die christlichen Kirchen können diese Grundidee nicht mehr liefern. Die Parteien sind gesichtslos geworden – eine programmatische Vorstellung davon, wo Deutschland am Ende des Jahrzehnts oder in der Mitte des Jahrhunderts stehen könnte, gibt es nicht. Es scheint nur noch um die Frage zu gehen, wer mit wem eine Regierungs-Mehrheit zustande bekommt – bei verblassenden Inhalten.
Das Land hat sich in sich selbst verhakt!
Es kann nicht vor.
Und nicht zurück!
Wir reiten auf einem toten Pferd!

*Teil des Titels von: Heiner Müller, Germania 3. Gespenster am toten Mann
***diese Differenzierung erfordert neue Zuordnungen und Begrifflichkeiten; ein Überblick findet sich hier: https://queer-lexikon.net/glossar/. Als Beispiel möge „Libragender“ dienen : „Libragender ist ein (nicht-binäres) Geschlecht. Als libragender können sich Menschen bezeichnen, die hauptsächlich agender sind, aber sich teilweise mit einem bestimmten Geschlecht verbunden fühlen. Folgende Mikrolabels existieren für libragender: Librafeminin: so können sich Menschen bezeichnen, die hauptsächlich agender sind, aber sich teilweise mit Weiblichkeit verbunden fühlen. Libramaskulin: so können sich Menschen bezeichnen, die hauptsächlich agender sind, aber sich teilweise mit Männlichkeit verbunden fühlen.“
**** http://laufmoos.de/?p=120
***** im Video unschwer zu erkennen (https://www.youtube.com/watch?v=i3_r5F6CPxc)

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geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Heinz Niski

Passend zu der Ich-Stilisierung der westlichen „Wertegemeinschaft“ findet neben einem ideologischen Krieg ein heißer, echter, blutiger Stellvertreterkrieg zwischen USA und China (Russland) statt. Neben den imperialen (multilateralen) ökonomischen Aspekten tobt der Kampf zwischen West (Freiheit, Individualisierung) und Ost (staatlich gelenkter Kapitalismus mit Kotau vor dem Überwachungsstaat) wobei Russland zusätzlich wohl auf so etwas wie Seele, Spiritualität setzt. Würde nicht Blut fließen, wäre es spannend, diesen Wettstreit dieser gegensätzlichen Entwürfe zu verfolgen.
Was im kleinen (maximale Entfaltung des Ich) angelegt ist, wird im großen eine tödliche Gefahr für alle. Die Selbstüberschätzung der Ichlinge führt wohl auch dazu, dass sie nicht erkennen, dass wir alle schon mit einem Fuß über dem Abgrund schweben.

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Di.Niew.

Uff. Ich lese doch sonst nur Schlagzeilen. Ist ja wie in der Schule.
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Ho.Ke.Ad.

Doppelmoral, Nicht-Benennung und Schweigen waren aber doch die Kernbausteine der kleinbürgerlichen Hölle. Die selbsternannten besseren Menschen verlassen eben ihre Strukturen nicht und trumpfen auf, weil sie das als befreiend empfinden. Die Einordnung als Person und gleichzeitig Teil einer Gruppe war ja in vielen Fällen gerade dort, wo man zu Hause sein sollte, eher unbehauste Unterwerfung. Ich sehe die Zukunft nicht so pessimistisch. Das ist zwar jetzt gerade sehr unerfreulich zu erleben, aber jede Revolution frisst ihre Kinder, weil sie eine tiefe Zustimmung zu den Verhältnissen ist, gegen die sie sich vorgibt zu richten. Die werden also irgendwann auch mit ihren Lebenslügen konfrontiert und vor Scham im Boden versinken. Es sind eben die Boomer von morgen. Das reguliert sich schon, die Jugend war ja schon in der Antike Scheiße. Rom und Athen haben es zwar nicht so überlebt, wie sie waren, allerdings ist das heute doch gar nicht so schlecht. Man darf eben nicht so viel auf die sozialen Netzwerke geben und sollte im Falle eines Shitstorms lieber so einen Text lesen und nicht selbst zur Nachricht werden. In Bezug auf Shitstorms bin ich schwarzer Pädagoge: man muss sie von Anfang an schreien lassen, damit sie merken, dass ihnen das nichts nützt und sie frustriert aufgeben. Klar, man müsste sich nicht so um die scheinbar Erwachsenen kümmern, wenn man es mehr mit den Bedürfnissen der Kinder gehabt hätte, aber man muss sich ja auch selbst vergegenwärtigen, dass alles erlaubt ist, was nicht strafrechtlich verboten ist. Mir ist kein Fall bekannt, in dem das Ignorieren von Ichlingen und Aussitzen geifernder Möchtegern-Jakobiner irgendwelche Konsequenzen gehabt hätte. Ich habe auch nie verstanden, warum die Politik in Berlin solche Angst vor der Bildzeitung hatte. Leser der Bildzeitung interpretieren ja vor dem Hintergrund ihrer eigenen Lebensrealität und der Art, wie bestimmte Sachverhalte in ihrem Alltag zum Tragen kommen und schätzen den Sportteil. Es ist doch unplausibel anzunehmen, dass manche bezweifeln, dass die Erde eine Kugel ist, aber Leser der Bildzeitung nicht einmal ansatzweise von der Bildzeitung abweichen könnten. Und so ist wohl auch egal, ob ein Geiferer aus dem Internet noch was von Ravensburger kauft, weil Ravensburger ja nicht objektiv das Herz der Finsternis ist, intelligente Menschen sich ja vermehrt aus dieser Netzöffentlichkeit zurückziehen (und als Kunden zur Verfügung stehen) und ohnehin viele Gemäßigte nie kommentieren, weil ihnen ihre Zeit zu schade ist (weil sie was von Ravensburger lesen) und einfach ein paar sehr Laute, wie nachts auch hier auf der Straße üblich, am Rad drehen, weil sie mit einer Droge oder ihrer eigenen Vergangenheit nicht klarkommen. Ist ganz einfach – Handy für sechs Stunden nicht beachten. Man denkt dann fast, dass das alles nur eine mäßig realistische Serie gewesen wäre, die bei Alterserscheinungen der Laienspielschaar ohnehin gegen was anderes Beklopptes eingetauscht wird, bis die Toleranz für Unordnung höher geworden ist als die Toleranz für Unrecht, die ja immer mit dem Gedanken zu tun hat, es würde einem zustehen, nur im sich selbst zu kreisen. Jeder kommt irgendwann in ein Alter, in dem sich zeigt, ob er ein Boomer gewesen sein wird. Man könnte eine Fernsehshow daraus machen, die Zurechnungsfähigen kriegen Abwrackprämie und man könnte das Ganze „Die Demontage“ nennen, als Heilmittel für den Konstruktivismus als Ermächtigungsphantasie im Grundstudium. „Ist das Dunst oder Mann als Schreck?“, dann können die Zuschauer voten.comment image

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Heinz Niski

Wer fragt, wer antwortet? Sprachrätsel im Deutschlandfunk ab Minute 6

https://www.deutschlandfunk.de/mein-name-ist-mensch-claudia-roth-zur-eroeffnung-des-rio-reiser-platzes-dlf-62dada34-100.html

Frage:
Stichwort Rassismus, Sie haben es gerade erwähnt, der Ravensburger Verlag hat jetzt angekündigt, zwei Winnetou Bücher aus dem Programm zu nehmen, nicht mehr zu veröffentlichen, weil die Bücher Rassismus und kulturelle Stereotypen… ja.. verbreiten, dagegen wird natürlich sofort opponiert, und das Schlagwort „Woke Wahnsinn“ fällt, ist so etwas für Sie „Woke Wahnsinn“?
Antwort:
Ich finde wir sollten uns damit wirklich auseinandersetzen und wir sollten es sehr sehr ernst nehmen, wenn black people, people of colour sagen, wir fühlen uns angegriffen, wir fühlen uns gedemütigt, wir fühlen uns nicht in unserer Würde, in unserer Identität wahrgenommen, dann muss das (der) entscheidende Punkt sein und da sollten wir runter kommen, sag ich mal, die weißen Frauen und die weißen Männer vor allem vom hohen Ross und sollten sich sich mal überlegen ja wie wir unser Denken, unsere Sprache Dekoloniarisieren und uns auch tatsächlich damit auseinandersetzen wie Sprache, wie Bildzuschriften, Bildzeichen .. Bildsprache dazu beiträgt, Klischees und Reduzierungen von Menschen zu produzieren.

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