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Im April 2008, also vor 13 Jahren, stellte das Referat Kultur im damaligen Kulturausschuss verschiedene Modelle zur Förderungspraxis der freien Kulturarbeit und zur Weiterentwicklung des kulturellen Lebens in Gelsenkirchen vor. Auch die Inangriffnahme eines Kulturentwicklungsplans war damals bereits Thema der kulturpolitischen Debatte. Neben dem „Beiratsmodell“ nach Essener Vorbild und dem Düsseldorfer „Kuratoriumsmodell“ stellte die Verwaltung das Konzept „Verwaltungsentscheidung“ (in Anlehnung an die damalige Verfahrensweise in Bochum) sowie ein „Dortmunder Modell“ vor, das der damals gültigen Praxis in Gelsenkirchen nahe kam, nämlich die Vergabe von Mitteln durch ein „Vertrauensleutegremium“ zu organisieren, das in einer „Vollversammlung der freien Kultur“ gewählt wurde. Dieses Modell war in Gelsenkirchen aber bereits ein Auslaufmodell, denn nur wenige Tage vor der anberaumten Sitzung des Ausschusses hatte die Gelsenkirchener „Vollversammlung der freien Kultur“ getagt – mit lediglich 32 Anwesenden aus allen Bereichen der sog. Freien Kultur.
Zwar war ein „Vertrauensleutegremium“ gewählt worden, aber dieses Gremium war sich über sein Selbstverständnis und seine Aufgaben nicht einig und „verschwand“ letztlich im kulturpolitische Nirwana. Im Grunde wurde das „Vertrauensleutemodell“ durch eine Verfahrensweise ersetzt, die man als „Verwaltungsentscheidung“ bezeichnen kann: die Verwaltung machte seither Vorschläge zur Förderung der „freien Kultur“ auf der Basis von Anträgen, der Kulturausschuss segnete die Vorschläge politisch ab. Das von den GRÜNEN favorisierte Beiratsmodell setzte sich nicht durch. In der WAZ vom 1.4.2008 schrieb Redakteur Hans-Jörg Loskill unter der Überschrift „Beiratsmodell favorisiert“ u.a.:
„Von Bernd Matzkowski ausgelöste Diskussion über die Mittelvergabe bei der „freien Kultur“ führt zu inhaltlichen Bewertungen demnächst im Ausschuss. (…) Erst kürzlich wählte die Vollversammlung der „freien Kultur“ (32 Anwesende) in der „flora“ das neue Gremium – die WAZ berichtete. Doch die Tage für dieses Modell scheinen gezählt. Bernd Matzkowski, Kultursprecher von Grüne/Bündnis 90, stieß eine Diskussion über Vergabepraxis und Fördermittel an. Die Verwaltung stellt in der Ausschuss-Sitzung am 9. April mehrere Möglichkeiten für die Zukunft vor. Grüne/Bündnis 90 legen sich bereits aus dem Fenster für das sogenannte Beiratsmodell, wie es beispielsweise in Essen seit Jahren praktiziert wird.“ *
Unabhängig davon, wie man die damals vorgestellten Modelle aus heutiger Sicht bewerten kann und ungeachtet der Tatsache, dass über Jahre das „Verwaltungsmodell“ praktiziert worden ist, feiert das „Beiratsmodell“ in gewisser Weise eine Auferstehung im Kontext der auch aus der Versenkung auftauchenden Konzeption eines „Kulturentwicklungsplans“. Dessen Entwicklung wird nun aber „ausgelagert“ , indem man, was heutzutage fast schon üblich ist, die Gestaltung des Prozesses an eine Fremdfirma übergibt, also nicht durch hausinterne Kräfte machen lässt, sondern durch externe Berater, die in diesem Fall „startklar a + b GmbH“ heißen und nicht aus Gelsenkirchen kommen.** In diesem Zusammenhang schreibt die waz von heute, indem sie die Fraktionsvorsitzende der GRÜNEN zu Wort kommen lässt: „Begleitet soll der Entwicklungsprozess von einem Kulturgremium, das auch künftig als eine Art Kulturbeirat fungieren könne, sagt Gorczyk. Noch offen sei, wie groß das Gremium werden soll, wie es besetzt wird – und wer darüber entscheidet.“ ***
Fassen wir also einmal zusammen:
1) Es hat 13 Jahre gedauert, bis ein Beiratsmodell zur Entwicklung der Kultur wieder auftaucht, ohne dass allerdings dessen Konturen bezüglich der Zusammensetzung, der Größe des Gremiums und seiner Legitimation schon erkennbar sind. Und auch die Aufgabenstellung, die 2008 relativ klar umrissen war, bleibt sehr vage. Am Beginn steht jedenfalls die Schaffung eines „Kulturgremiums“, also einer Einrichtung, die zunächst einmal nur eine neue Wirkungsstätte für Politiker bietet.
2) Auch die Idee des „Kulturentwicklungsplans“ erlebt eine Neu- oder Wiedergeburt, für dessen Ausarbeitung aber externe Kräfte verantwortlich zeichnen. „Erste Ergebnisse“, so die waz, des auf 18 Monate angelegten Prozesses sollen 2022 ins Haus stehen. In den Prozess eingebunden werden sollen „Kunst- und Kulturszene, Initiativen, Politik, Verwaltung und Stadtgesellschaft“ (waz), was und wer auch immer jeweils darunter gefasst wird. Schon alleine die Antwort auf die Frage, wer und was denn genau zur Kunst- und Kulturszene zu rechnen ist, dürfte interessant werden. Und wer hier als Repräsentant der „Stadtgesellschaft“ zu betrachten ist, ist sicherlich auch nicht einfach zu beantworten.
Grundsätzlich taucht die Frage auf, ob die Begriffe Kulturentwicklung und Plan nicht einen inhärenten Widerspruch enthalten. Natürlich kann Kulturpolitik Anstöße geben, Projekte fördern, Kultur – im Rahmen des Haushaltsrechts – absichern helfen und Akzente setzen. Letztlich ist ein Plan, wenn man denn den Begriff ernst nimmt, aber auch immer etwas Statisches, das zur Fessel werden kann, denn Kultur ist letztlich dynamisch, anarchisch, Grenzen überschreitend, überraschend, planlos! Und hängt wesentlich von denen ab, die Kultur machen, die Kunst – im weitesten Sinne – verlebendigen und Fesseln sprengen.

Und was Pläne angeht, gilt generell immer noch der olle BB:
Ja mach nur einen Plan
Sei nur ein großesLicht
Und mach dann noch nen zweiten Plan
Gehen tun sie beide nicht.
(Bertolt Brecht, Das Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens, Die Dreigroschenoper, III. Akt)

*Siehe hier: https://www.waz.de/staedte/gelsenkirchen/beiratsmodell-favorisiert-id1696065.html#community-anchor
**https://startklar-ab.de/gelsenkirchens-kulturlandschaft-unter-der-lupe/
*** waz, Lokalteil GE, S.3, 1.12.2021 oder https://www.waz.de/staedte/gelsenkirchen/kulturentwicklung-mit-plan-und-prioritaeten-fuer-gelsenkirchen-id233974955.html

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Mi.Robi.

Toll, dass die Stadt GE mit der Beraterfirma in Köln noch Kompetenzen gefunden hat, um den überlasteten Gelsenkichener Kulturbetrieb und die in dieser Stadt sehr begrenzten intellektuellen Recourccen zu entlasten.
Darüber hinaus wäre ich dafür das Gremium derart zu besetzen, dass alle in Gelsenkirchen durch die Stadtveraltung monetär geförderten Kulturprojekte gleichzeitig auch die Ziele und Programme der Regierenden vermitteln.
So verhindert man Missverständnisse und beugt Verunsicherung der Menschen vor.

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Heinz Niski

Die Selbstvermarktung in der Kunst ist professionalisierter als früher, folgerichtig wird die lästige Seilschafterei und das Netzwerkeln, andienen an Parteien, zivilgesellschaftliche Meinungsmacher- und Führer, in Teilen outgesourct. An Kulturberater, Kulturentwickler, Kulturmanager, Kulturverwalter und und und.

Passt schon. Kunst geht nach Brot. Egal unter welchem Selbstverwaltungsmodell oder verbeamteter institutionalisierten Revolution die Selbstvermarktung stattfindet.

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