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„Der  Wegfall der KAUE als Spielort reißt jedenfalls ein Loch in das Ensemble der Spielstätten in GE mit ihren unterschiedlichen Größen, Nutzungsmöglichkeiten und Atmosphären.“ (15.1.2011)

Diesen Satz zur KAUE habe ich am 15.1.2011, also vor etwas mehr als zehn Jahren,  auf den „Gelsenkirchener Geschichten“ in einem Beitrag zur KAUE geschrieben, die damals kurz vor der Versteigerung stand und deren Schicksal noch unklar war. Dem Satz ist, zur Rolle der Kaue als reinem Veranstaltungsort betrachtet, nichts hinzuzufügen. Und doch ist die Aussage heute verkürzt und reicht nicht mehr aus, um die Existenz der KAUE als Spielort der Emschertainment GmbH zu legitimieren. Denn die Kaue ist, als singulärer Standort für Kultur,  offensichtlich in die Rolle eines Schlachtopfers geraten. Oder anders gesagt: Die kulturelle Revolution frisst eines ihrer Kinder!

Die Standortthematik

Die KAUE hat, von der Größe her betrachtet, sozusagen die Einstiegskapazität der Gelsenkirchener Veranstaltungsorte in „städtischer“ Regie. Gut 300 Sitzplätze kann man dort aufbieten. Die KAUE hat einen Vorteil:  Aufgrund ihrer Lage und baulichen Gestaltung können hier auch lautstarke Konzerte zu späterer Stunde stattfinden, die in den anderen Spielstätten keinen Platz finden.

Etwas mehr Platz (Plätze) bietet das Foyer des Hans-Sachs-Hauses, das sozusagen die Funktion des alten Hans-Sachs-Haus-Saales als Veranstaltungsort übernommen hat (wenn auch ohne Walcker-Orgel!). Allerdings können dort wegen der Lage, der räumlichen Gegebenheiten und des Lärmschutzes  nicht alle Formen von Kultur (uhrzeitungebunden) dargeboten werden. 400 Stühle sind vor Ort, sie aufzustellen macht keine Probleme. Die Sitzplatzanzahl kann, je nach Bestuhlung, deutlich erhöht werden und reicht an die 1000 Plätze heran.  Das ist auch  ist die Kapazität, die der Große Saal des Musiktheaters anbietet, der wiederum gegenüber dem Foyer des Hans-Sachs-Hauses mit der Klangqualität des Saales und dem Ambiente des Hauses punkten kann. Rund 1300 Sitzplätze kann man in der Emscher-Lippe-Halle unterbringen; die Halle fasst aber deutlich mehr Publikum. Als neuer Spielort soll die Heilig-Kreuz-Kirche hinzukommen – von der Publikumsmenge zwischen KAUE und MiR, also eine ideale Ergänzung, sollte man meinen. Allerdings sind einige Veranstaltungsformate dort nicht möglich, wie es in der KAUE der Fall ist.

 Die Kirche wird fabelhaft restauriert und als im „Kreativquartier“ Bochumer Straße gelegenes „Highlight“  jetzt schon „vermarktet“ mit dem Slogan:

Die Heilig Kreuz Kirche – the best is yet to come  (1)

Und hier liegt nun offensichtlich ein Teil des Problems: die Spielstätte Heilig Kreuz ist eine Millionen-Investition, nicht nur, weil die Kirche selbst mit viel Aufwand hergerichtet und die beste Technik installiert wird, um die neue Kulturstätte auf ein High-End-Level zu heben. Die Kirche  soll auch zum Ankerpunkt des Entwicklungsprojekts „Kreativ-Quartier Bochumer Straße“ werden : Schrott- und Problemimmobilien werden von der Stadt aufgekauft und abgewickelt (abgerissen) oder modernisiert und umgestaltet. Und mit aller Kraft soll  sich dort eine urbane Szene aus Kunst, Kultur, Restaurants, Kneipen und einem hippen Publikum (Studenten, junge Familien, Betreiber von Start-Ups, Projektbüros und Galerien) entwickeln. Diesem Projekt steht die KAUE gegenüber: sozusagen die echte alte und abgewetzte Lederjacke gegen ein schickes Vintage-Designer-Teil, das Ruhrgebiets-Pils gegen ein „handcrafted“ Bio-Bier, der raue Charme der Stahl- und Kohlezeit gegen die Lebenswelt junger Familien, die ihren Nachwuchs mit Kinderwagen von Bugaboo, Cybax Priam oder Krausman (gerne auch im Retro-Style) in die neue Kindertagestätte bringen, direkt gelegen  neben Heilig Kreuz und nahe der „Trinkhalle am Flöz“ (120 Biersorten im Angebot).  Das Geld, das über die Vermarktung von Grundstücken im Buerschen Waldbogen generiert wird, fließt in die Entwicklung dieses Bereichs, so dass es heißt:

Einige Cafés und Kunstschaffende haben sich auch schon angesiedelt. Es ist ein richtig „kleiner Kiez“ mit Kultur- und Gastronomieszene und einem Biergarten im gemeinsam genutzten Hinterhof entstanden.“( 2)

Das ist positiv, das ist begrüßenswert, das ist ein Gewinn für diesen Teil der Stadt Gelsenkirchen. Aber da kann die  KAUE mit ihrem nicht so hippen Umfeld in GE- Heßler nicht mehr mithalten! Etwas zugespitzt: Die Zeitläufte stehen auf der Seite des woken Dorfs, nicht auf der Seite der alten Zechensiedlung!



Die Finanzthematik

Wenn Harald Förster, Ulrich Köllmanns Nachfolger als Geschäftsführer der Stadtwerke, meint sagen zu müssen, die KAUE erhalten zu wollen,  aber nachschiebt, nur wenn das ginge, „ohne das Defizit der Emschertainment GmbH zu vergrößern“ , dann folgt er der Methode „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“ Gleichzeitig lenkt er vom Kernproblem ab, denn das ist nicht allein das Defizit der Emschertainment GmbH. Es ist das Defizit der Stadtwerke insgesamt! ***

Die Stadtwerke haben den Zoom, das Sportparadies, die Bäder, die Emschertainment GmbH,  Gelsen-NET und Gelsen-LOG unter ihrem Dach. Von Gelsen-LOG und Gelsen-NET abgesehen, sind alle anderen Bereiche hochgradig defizitär. Zudem ist die Problematik der Bäder noch ungelöst, besonders die Rolle des Sportparadieses ist unklar: erfolgt die Umwandlung in ein überwiegend für Schul- und Vereinssport fungierendes Bad, wenn die Fläche des jetzigen Zentralbades  und der alten – schon niedergelegten – Polizeizentrale als Fläche für die Verwaltungsakademie benötigt wird, ohne dass dort ein Schwimmbad erhalten bleibt? Dann stünde das Sportparadies als Freizeit-Schwimmbad, das Eintrittsgelder generiert, nur am Wochenende zur Verfügung! (3)

Dass die Heilig-Kreuz-Kirche sozusagen eine Ersatzspielstätte für die Kaue sein und deren Funktion mit übernehmen könne (siehe den WAZ-Artikel ***), ist, wie bereits oben ausgeführt, aufgrund der gegebenen baulichen und räumlichen Voraussetzungen, ein völlig sachfremdes, der Unkenntnis der Gegebenheiten geschuldetes Argument. Bestimmte Kulturangebote, die in der Kaue möglich sind,  können in der Heilig Kreuz Kirche nicht gemacht werden! (4)

Es geht also letztlich nicht um das Thema, ob die KAUE weiterhin ein Platz im Gelsenkirchener Kultur- bzw. Veranstaltungsangebot einnehmen kann – das kann sie sicherlich -, sondern um die ökonomische Schieflage der Stadtwerke, deren Sanierung die Hauptaufgabe des neuen Geschäftsführers sein soll und der dies  auch wohl deutlich vor Mitarbeitern geäußert haben soll. Und da ist aus der Torte Emschertainment mit ihren Spielstätten eben am leichtesten das Kaue-Stück herauszuschneiden, weil die anderen Veranstaltungsorte (Hans-Sachs-Haus, MiR, EL-Halle, Heilig Kreuz) dafür überhaupt nicht infrage kommen, denn diese Objekte sind nicht angemietet.

Diese Gemengelage macht den oben zitierten Satz aus dem Jahre 2011 eben richtig und falsch zugleich: das (mögliche) Aus der Kaue ist ein „Kulturschock“, aber IT´S ECONOMY, STUPID!

Und die Kulturprotagonisten  selbst?

Dies alles gilt unabhängig davon, dass die Intransparenz des Gesamtvorgangs der Vertragskündigung für die Kaue kein guter Einstieg für Herrn Förster ist (auch wenn U. Köllmann noch den Vertrag gekündigt hat). Dies gilt in besonderer Weise  aber erst recht  für die Stadtverwaltung sowie die politische Führung der Stadt  gegenüber dem Rat und seinen Ausschüssen sowie der Öffentlichkeit. Und gegenüber einer offensichtlich in dieser Problematik bisher  verschnarchten Riege von Kulturpolitikern und Kulturpolitikerinnen, die schon mal gerne fixiert sind auf die neue Kulturmeile und „Altes“ dabei aus dem Blick verlieren.

Natürlich werden jetzt die Rufe aufbranden, dass die KAUE bleiben soll. Aber welche Stimmen werden zu hören sein? Die anderen Veranstalter, etwa das Consoltheater, gar vielleicht das MiR? All die Künstlerinnen und Künstler, die Stipendien, Zuschüsse oder Projektfinanzierungen erhalten? Werden von dieser Seite Vorschläge zur Rettung der Kaue kommen, etwa die Gründung eines Fördervereins oder ein virtuelles Solidaritätskonzert? Oder wendet man sich achselzuckend ab, weil „Emschertainment“ in der Kaue nichts anders macht als „Kommerzkultur“?

Meine Prognose: ein wenig Empörung, ein solidarisches Hüsteln und der Blick nach vorne: Bei der Eröffnungsveranstaltung in Heilig Kreuz – da möchte man schon gerne dabei sein!

(1) https://www.emschertainment.de/veranstaltungsorte/heilig-kreuz-kirche/

(2)https://www.nrw-urban.de/projekte/gelsenkichen-buer-waldbogen/

(3) „Die Fachhochschule würde auf dem Areal der ehemaligen Polizeiinspektion und des Zentralbades an der Overwegstraße gebaut. Dort kann eine Netto-Geschossfläche von knapp 20.000 Quadratmetern vorgehalten werden, brutto rund 30.000. Ein Schwimmbad mit einer 50-Meter-Bahn, teilbar in zwei 25-Meter-Flächen, ist im ersten Vorentwurf enthalten.“ (Quelle:

https://www.waz.de/staedte/gelsenkirchen/gelsenkirchen-will-die-neue-akademie-im-revier-schaffen-id230163646.html)

(4)siehe dazu auch die Ausführungen von Emschertainment-Geschäftsführer Prof. H. Hasenkox im waz-Artikel

*** https://www.waz.de/staedte/gelsenkirchen/traditions-spielstaette-kaue-in-gelsenkirchen-droht-das-aus-id232199749.html

 

 

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Heinz Niski

Potenzielle Kundschaft für den Laden gibt es genug. Die vielen versteckten Hinterhof Veranstaltungsräume für Bürger mit internationaler Geschichte gehörten der Vergangenheit an, wenn jemand aus Stadt, Kunst- und Kulturkreisen sich der Sache annehmen würde.
Wer es ernst meint mit „kultureller Teilhabe“ und Vielfalt, kann gar nicht anders, als die Kaue zu einem Hochzeitsfeier Palast und Spielort für südosteuropäische, orientalische Kultur und Musikszene aufzupimpen.
Dann hätte GE neben der bürgerlichen Heiligen Kirche Strahlkraft endlich einen echten Ankerpunkt für kulturelle Bedürfnisse eines sehr, sehr großen Teiles der Gelsenkirchener Bürgerschaft.

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Ro.Bie.

Ich bin eher für Hippie-Baby-Boomer-Disko jedes Wochenende, die jetzt in Scharen in Rente gehen – oder von mir aus auch beides.

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Heinz Niski

ich dachte die wären im Wohnzimmer aktiv? 😎😎

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Ro.Bie.

nicht groß genug.

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