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Der Verfolg der Wissenschaft scheint mir diesbezüglich besondere Tapferkeit zu erheischen. Sie handelt mit Wissen, gewonnen durch Zweifel. Wissen verschaffend über alles für alle, trachtet sie, Zweifler zu machen aus allen.“(Brecht, Leben des Galilei, 14.Bild)

Diese Ausführungen zum Fundament der Wissenschaften jenseits ihres konkreten Gegenstandes sind Teil der Selbstanklage Galileis gegenüber seinem Schüler Andrea, nachdem er unter der Folterandrohung der Inquisition seine Erkenntnisse (die Erde kreist um die Sonne, nicht umgekehrt, und der Mond ist ein Trabant der Erde) widerrufen hat.

Galilei bestimmt den Zweifel als Kern, gleichsam als Antriebskraft der Wissenschaft. Wissenschaftlicher Fortschritt, also Erkenntnis,  entsteht durch Zweifel, durch Auseinandersetzung mit dem bisher Gültigen, durch Disput, durch Auseinandersetzung von Meinungen und Debatte über die Ergebnisse der Forschung, durch Abgleich von Hypothesen, durch Meinungs-STREIT. Wissenschaft ist folglich nicht unbedingt eine Frage der Mehrheit – Galilei befand sich mit seinen Erkenntnissen in der Minderheit- und lag doch richtig, wie wir heute wissen.

An Galileis Wissenschaftsauffassung im Verständnis Brechts habe ich  jüngst wieder denken müssen – im Zusammenhang mit der „Vendée Globe“, der 28000 Seemeilen langen Regatta für Solo-Segler (gemeinhin: Einhand-Segler genannt), bei der Boris Herrmann „nur“ den fünften Platz belegt hat, weil er 90 Meilen vor dem Ziel mit einem Fischerboot kollidierte. Boris Herrmann, zu dessen Hauptsponsoren der „Yacht Club de Monaco“ und der weltweit operierende Bremer Logistiker „Kühne und Nagel“ gehören, zu den Sponsoren in der zweiten Reihe u.a. Hapag-Lloyd und dessen „Official Supplier“ die Edel-Uhren-Manufaktur „Glashütte Original“ ist, deren Uhren gerne ganz locker die 10 000-Euro-Marke überspringen (ja, da werde ich neidisch!), ist vor dem Rennen schon dadurch bekannt geworden, dass er Greta aus Schölefrö zur Klimakonferenz übers Meer gebracht hat. Und die ist bekanntlich nicht nur durch ihren Satz „How dare you?“ auffällig geworden, sondern auch durch ihre Forderung: „Folgt der Wissenschaft!“

Und damit waren natürlich die Wissenschaftler gemeint, die von einem durch Menschen gemachten und wesentlich durch den Co2-Ausstoß bedingten Wandel des Klimas ausgehen. Gretas Forderung hat Herrmann während seines Segelausflugs  um die Welt getragen, denn eines seiner Segel zierte in Großbuchstaben der Imperativ: UNITE BEHIND THE SCIENCE! Kombiniert (auf einem zweiten Segel) mit der Mahnung: A race we must win! Climate action now!

Nein, ich will hier nicht die Frage aufwerfen, wie derlei Klimapostulate zu Sponsoren passen wie Kühne und Nagel oder Hapag-Lloyd, deren Geschäftsaktivitäten an LKW-Kolonnen, an Container-Schiffs-Verkehr und Luftfracht gebunden sind (Diesel, Schweröl, Kerosin), ich will auch nicht die Frage stellen, inwieweit all die „Klimaforscher“, „Klimainstitute“ und „Klimaexperten“ von öffentlichen Geldern, dem Eintreiben von Drittmitteln (bei universitären Einrichtungen) oder direkt von „Sponsoren“ abhängig sind.

Sondern ich will den Galileischen „Zweifel“ auf den aktuellen Corona-Diskussionsstand beziehen. Unite behind the science! Folgt der Wissenschaft! Aber welcher?

 

In der Bundespressekonferenz am 21.1.2021 fragte der Hauptstadtjournalist Boris Reitschuster nach der Auswahl der Wissenschaftler, die das Kabinett zu Rate zöge, und ergänzte, ob die Auswahl nicht recht einseitig sei hinsichtlich der Beteiligung von solchen Wissenschaftlern, die den Regierungskurs (LOCKDOWN) stützten. Kanzlerin Merkel führte zunächst aus, sie beschäftige sich umfassend mit der Thematik, läse etliche wissenschaftliche Artikel. Um dann zu sagen: „Es gibt politische Grundentscheidungen. Die haben mit Wissenschaft nichts zu tun.“ (siehe  ab 1 Stunde, 04 Minuten hier: https://www.youtube.com/watch?v=OqCZgrcjDuU)

Merkel gab auf Reitschusters Frage nicht unbedingt die vielleicht erwartete Antwort, aber – fast nebenbei – doch die entscheidende. Es geht in der gegenwärtigen Corona-Lage also überhaupt nicht (mehr) um Wissenschaft(en), sondern um einmal getroffene Festlegungen, die man nicht revidieren oder gar als Fehler benennen will. Und für diese Festlegungen muss man dann (politisch entscheidend), die passenden Wissenschaftler aussuchen. Deshalb sind Virologen wie Prof. Hendrik Streeck oder Prof. Kekulé (Virologen hin oder her) auch außen vor, weil sie der politischen Linie der Kanzlerin und ihrer Höflinge gegenüber skeptisch sind.



Da gegenwärtig die bisher als Kriterium für den Lockdown geltenden Inzidenz-Werte ebenso sinken wie die Zahl der wegen Corona belegten Intensivbetten, müssen nun die Mutanten herhalten, um die politisch gewollte, nicht aber medizinisch gestützte Verlängerung des Lockdowns zu begründen, begleitet natürlich von dem Super-Hysteriker Lauterbach, der (auf „twitter“) sogar eine Verschärfung des Lockdowns befürwortet, was der „stern“  in die Überschrift presste: „Lauterbach gegen Lockerungen: Sonst dritte Welle mit ´Turbo-Virus`.“ Dass Stakkatohafte dieser Überschrift, die ganz ohne Prädikat auskommt und den Klang eines Einsatzbefehls hat, macht deutlich, dass es eben nicht um eine wissenschaftliche Auseinandersetzung geht, sondern um simple Botschaften, die den Eindruck des Alternativlosen bestärken sollen. Demgegenüber steht Kekulés Position, die dann doch etwas anders klingt. Kekulé warnt davor, die Mutanten als Vorwand für schlechtes Corona-Management zu benutzen: „Die typische Argumentation lautet dann: Die verheerenden Zahlen haben nichts mit meinem Corona-Management zu tun, das war die dritte Welle, die Pandemie in der Pandemie. Für mich erklären sich, grob gesagt, diese Ausbrüche zu 90% mit schlechtem Corona-Management und zu 10 Prozent mit den neuen Varianten.“(WAZ, 10.2.21, S. WRP_1). Dass Kekule´mit einer solchen Auffassung keinen Platz am Tisch der Kanzlerin bekommt – wen wundert das? Mich nicht!

Zwei Wissenschaftler (nehmen wir Lauterbach, der Mediziner ist, mal als einen solchen), zwei sich widersprechende Auffassungen: der eine twittert die „Mutanten“ bereits zu einer Turbo-Variante hoch, die eine dritte Welle auslöst, Kekulé dagegen hält die Bedeutung der Virus-Varianten für eher gering und stellt schlechtes Corona-Management – also im Grunde die Fehler und Versäumnisse der Regierung – in den Vordergrund.

Folgt der Wissenschaft? Und welchem Wissenschaftler: Lauterbach oder Kekulé?

Diese Frage hat Ulrich Reitz im „Focus“ ebenfalls gestellt:

„Lockdown oder Lockerungen? Einen Tag vor dem Treffen der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin ist die Corona-Lage so verworren wie nie. Folgt der Wissenschaft, ruft Angela Merkel, und betont die Gefahr durch Virus-Mutationen. Das Problem: Es gibt sie einfach nicht, DIE Wissenschaft.

Wo ist die Wahrheit? Hat sie sich zwischen Christian Lindner und Karl Lauterbach versteckt? Oder bei einem von beiden? Ist sie bei Herrn Stöhr aus Hamburg untergekommen, oder bei Frau Brinkmann aus Braunschweig? Bei Herrn Streeck oder Frau Priesemann? Herrn Kekule oder Herrn Wieler? Das Problem mit der Wahrheit ist: Wir kennen sie nicht. Vielleicht gibt es sie aber auch gar nicht.“

(https://www.focus.de/politik/deutschland/analyse-von-ulrich-reitz-die-wissenschaft-ist-fuer-merkel-co-keine-hilfe-mehr-sondern-ein-ausbeutungsobjekt_id_12961621.html)

Reitz macht einen gedanklichen Fehler. Er verknüpft die richtige Frage mit einer falschen Schlussfolgerung, nämlich der Überlegung nach der einen Wahrheit, anstatt, wie Galilei, den Zweifel als Kern der Wissenschaft zu sehen, die Auseinandersetzung als Motor zu nehmen. Und er übersieht, dass es hier letztlich nicht um Wahrheit geht, sondern um eine politische Entscheidung, die längst gefallen ist, wie die Kanzlerin auf der Bundespressekonferenz festgestellt hat (s.o.). Eine Entscheidung, für die dann eben Wissenschaftler als Beglaubigungsapostel passend ausgesucht werden!

Die Corona-Maßnahmen werden sich nicht auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse verändern, sondern wenn es Verschiebungen bei den politischen Mehrheiten gibt. Wir werden nach der heutigen „Corona-Runde“ sehen können, ob und in welchen Bereichen sich etwa die Landesregierungen in Stellung gegen die Bundesregierung bringen.

Brecht lässt Andrea am Ende des „Galilei“ zu dem Jungen Guiseppe, der an auf Besen fliegende Hexen glaubt,  sagen: „Auf einem Stock kann man nicht durch die Luft fliegen. Er müsste zumindest eine Maschine dran haben. Aber eine solche Maschine gibt es noch nicht. Vielleicht wird es sie nie geben, da der Mensch zu schwer ist. Aber natürlich, man kann es nicht wissen. Wir wissen bei weitem nicht genug, Guiseppe. Wir stehen wirklich erst am Beginn.“ (Galilei, 15. Bild)

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Mi.Rob.

Da Politikern wohl oft die Bildung fehlt, benötigen sie Berater, um eine Entscheidung fällen zu können.
Diese Berater aus dem akademischen Umfeld rieten zu Beginn zu „14 days to flatten the curve“.
Als diese Begründung hinfällig wurde, kam der „Inzidenzwert“ dazu. „Positive Tests“ / 100.000 Einwohner (nicht pro Tests), so hiess es, sei die Richtschur für das Handeln (bzw. Verbieten)
Nun sinkt dieser Wert z.zt. kontinuierlich. Als wurde als Hauptrisiko eine „Mutation“ ausgelobt mit allerlei Spekulation bezüglich der gesundheitlichen Gefahren.
Nun werden die Szenarien der Gefahr nun von der Situation abgelöst, dass man den Menschen zunächst jeweils ein Präparat verabreichen möchte, bevor man ihnen ihre Grundrechte wieder gewähren möchte.
In der Zwischenzeit „möchte man den Vorsprung nicht verspielen“ oder „die Arbeit aus den vergangenen Monaten nicht leichfertig aufgeben“ usw.
Und wenn man die Gemeinplätze schon alle kennt, braucht man bei solchen Verlautbarungen auch gar nicht mehr zuhören und zusehen.
Das hingegen mag ein grosser Schritt in Richtung Wohlbefinden und Sellenhygiene sein – bei gleichzeitiger Stärkung des Immunsystems. Ein Augen- und Ohrenschutz (AOS) vor allen Politikerreden quasi. 🙈🙉🥰
In diesem Sinne: Einen entspannten Tag in verschneiter Landschaft wünsche ich euch allen. ☃️

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Di.Niew.

Ich empfehle passend dazu folgendes Buch: Peter Schneider – Follow the science. EDITION Tiamat. Aus der Reihe „Critica Diabolis“.
Habe ich gerade in Arbeit und ergänzt Euren Text hier und da.

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Oli.Kru.

@Di.Niew.
uffpasse, LESEN gefährdet die DUMMHEIT! 💙

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Ax.Str.

Jetzt hab‘ ich mindestens zweimal zu oft „Bild“ gelesen. Zack! Analphabet!

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