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Heute: Woran ich gemerkt habe, dass ich ein alter Sack bin

Natürlich weiß ich, dass ich, geboren 1952, ein alter Sack bin. Und natürlich merke ich das an den  Zipperlein, die in meinem Alter üblich sind: eingerostete Gelenke, Mangel an Geschmeidigkeit, Verlust an Geschwindigkeit, senile Bettflucht. Bei mir kommt aber noch etwas hinzu, was eher ungewöhnlich für meine Altersklasse ist: ich  habe  noch zwei Söhne zu Hause wohnen, 18 und 13 Jahre alt, also mit der „Gnade der späten Geburt“ (H. Kohl) Beschenkte. Ich könnte ihr Opa sein!

Unter normalen Umständen hätte ich zumindest vormittags vor ihnen weitgehend Ruhe, aber jetzt haben sie ja home schooling und hocken tatsächlich häufig schon morgens gegen 7.45 Uhr an ihren Rechnern und vor ihren Bildschirmen. Und ich muss mir gelegentlich notgedrungen das Gezwitscher von Mitschülerinnen mit Heidi-Klum-Quietschestimmen und das Gestammel  von Lehrpersonen (ähm, ja, oh, äh;  beschönigend „Diskurspartikel“) anhören, wobei das Lieblingswort, besonders von Lehrerinnen so um die 30, ein häufig wiederholtes „genau“ ist, also eine Art selbstreferentielle Bestätigung des verbal Abgesonderten.

Selbstverständlich bin ich manchmal erschrocken und zugleich voller Bewunderung, wenn ich sehe, mit welcher Selbstverständlichkeit diese beiden Buben mit all dem elektronischen Zeugs von Computern bis Spielkonsolen umgehen. Ihnen scheint zuzufliegen, was mir ein Buch mit sieben Siegeln ist. Sie arbeiten kaum noch mit Papier, sondern erledigen nahezu alles auf ihren Tablets. Andererseits: ISBN, was soll das sein? Na gut, braucht man auch nicht zu wissen, wenn man kaum noch mal ein Buch in die Hand nehmen muss!

Nun gut: Auf den Boden der Tatsachen, also meiner Existenzform als alter Sack, wurde ich vor gut zwei Wochen schlagartig gezogen, als der ältere der beiden Jungen in fast „jammervoll“ zu nennendem Tonfall lauthals aus dem Stand ausrief: „Ich will endlich wieder in die Schule und zum Friseur!“



Und natürlich fiel mir da augenblicklich ein, dass ich in seinem Alter auch noch Schüler war, aber bereits Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze und gegen den Vietnamkrieg hinter mir hatte, vor allem aber eine Matte bis zu den Schultern mein eigen nannte, so dass mir meine Eltern komplett das monatliche Taschengeld gestrichen hatten, um mich unter Druck zu setzen, zum Friseur zu gehen. Was ich aber nicht tat!

Und nun das!

Kurz überlegte ich, ob ich diesem Frisurfetischisten das Taschengeld streichen sollte, weil er aus freiem Willen und ganz ohne Zwang, aus eigenem Antrieb und von ganz alleine zum Friseur wollte. Aber ich wusste insgeheim, dass ich den Kampf verlieren würde.

Und zu allem Überfluss dürfen ab dem 1.3. 21 jetzt auch noch die  Friseure tatsächlich wieder ihre Läden öffnen. Und dass der Bursche – natürlich per Rechner – bereits für den 3.3. einen Termin gebucht hat, versteht sich nahezu von selbst. Wo? Bei einem Friseur.

In Düsseldorf!

 

 

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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3 Kommentare
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Fra.Prez.

Köstlich!

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Cle.Gedö.

oh, dieses zusammenhanglos-phrasenhafte „genau“, es ist das neue „äähhh, tja ähm“, bedeutet soviel wie „Himmels Willi, ich brauche Zeit, muss aber weitersprechen weil ich einmal damit angefangen habe, ohne zu wissen wovon“ und macht mir augenblicklich Hautausschlag und übles Magengrimmen 🤮

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Di.Kli.

genau genau 😉

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