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10. Tag, später Nachmittag

„Dummerchen, mein Dummerchen. Hält Vorträge über Präpositionen.“

Kuss.

„Und legt sich mit den Wachhabenden an!“

Kuss.

„Und klatscht Beifall für Skulpturen mit unbedeckten Frauenbrüsten.“

Kuss – mit Zunge.

 

„Noch dazu Brüste, die, wie ich gehört habe, das Qualitätsmerkmal ´Super-Hupen´ bekommen haben. Von einem Auto-Experten für Beulen und Lackierungen.“

Kein Kuss. Keine Zunge.

„Mit solchen Hupen kann ich nicht dienen!“

„Ist mir noch nicht aufgefallen“, entgegnete ich, „habe aber auch bisher nicht so genau hingeschaut.“

„Ach!“

Gespielte Enttäuschung! Sie drehte sich in fingierter Verzweiflung von mir weg.

„Ist aber vielleicht auch besser so, sonst wäre es ja noch enger auf diesem Himmelbett.“

Sie wandte sich mir wieder zu.

„Wird ja immer schöner.“

Kuss.

„ Jetzt ist dem feinen Herrn Umfaller auch noch meine Liege zu eng. Ich könnte ja mal Qualle fragen, ob er nicht mal mit mir zur Probe liegen will.“

Ganz langer Kuss.

„Wenn du willst, dass dieser Therapeutenspielplatz in seine Einzelteile zerlegt wird, bitte sehr!“

„Mein Etat für Mobiliaranschaffungen ist für dieses Jahr ausgeschöpft, leider. Sonst würde ich es mit ihm probieren.“

„Ich verstehe den Mann nicht.“

„Den Mann? Ich manchmal auch nicht.“

„Qualle. Ich bin fest davon ausgegangen, dass ich mir die Papiere holen kann und ab in den Knast muss. Bewährungsprobe verschissen. Zumindest mit ein paar Tagen Einzelarrest habe ich gerechnet. Und da stellt der mich von jeglicher Arbeit frei.“

„Gut, dass er die Therapiesitzungen nicht gestrichen hat. Was sollte ich sonst mit meiner Zeit anfangen.“

Kuss.

Zweimal!

Quallefikation„Und erst die anderen drei. Tauscht einfach nur die Arbeitszuweisungen aus und schickt den Gratzek in die Küche. Wenn der anfängt, am Herd zu panschen, dann sind die einzig Bestraften die, die das nachher essen müssen.“

„Nicht alles sieht man auf den ersten Blick. Da steht – nur als Beispiel gemeint, hat nichts mit dir zu tun – ein ziemlich abgerissener Typ vor einem, der gegen Gesetze und Regeln verstoßen hat, faselt herum, erzählt was von Unterwäsche, die er gar nicht trägt, fällt um. Und beim zweiten Blick ist es auf einmal Liebe.“

„Vielleicht hast du beim zweiten Blick nicht richtig hingeschaut. Liebe macht blind“, entgegnete ich.

„Ja, aber Liebe macht auch sehend. Man sieht den anderen anders.“

„Und was sehe ich bei Qualle – ohne Liebe?“ fragte ich.

„Dass er nicht der ist, der er auf den ersten Blick zu sein scheint. Ein Bürokrat, ein Vollstrecker von Anordnungen, ein willfähriger Gehilfe der Oberen. Jedenfalls spielt er ein gewagtes Spiel, wenn er den Vorfall glatt bügelt.“

„Und warum?“

„Vielleicht weil man ihn ausgebremst hat. Statt einer Hochschulprofessur dieses Amt hier, auf das man ihn abgeschoben hat, weil man die Stelle an der Uni mit einem 100prozentigen Parteigänger besetzt hat.“

Ich sah ihr in die Augen. Das Gespräch nahm eine überraschende Wende. Eigentlich war es jetzt an der Zeit, sie zu fragen, was sie hierhin verschlagen hatte.

„Und du?“ setzte ich an.

Ein Kuss. Sehr lang. Sehr intensiv.

„Ein anders Mal vielleicht eine Antwort“, sagte sie.

Ihre Hand fuhr langsam meinen Oberkörper hinab, nestelte die Knöpfe meiner Hose auf und fuhr weiter zwischen meine Beine.

„Interessantes Phänomen“, sagte sie.

„Was?“

„Na das!“

„Wie?“

„Ich dachte, es wäre weg.“

„Was wäre weg?“

„Dein Einhorn.“

„Aber?“

„Es ist nur gewandert: von der Stirn zwischen die Beine.“

„Vielleicht will es noch weiterwandern“, brummte ich.

„Wohin?“

„Ins Tal der Glückseligkeit!“

„Dann soll es sich mal langsam auf den Weg machen, sonst ist die Therapiestunde gleich um.“

Das Einhorn gehorchte. Und machte sich auf den Weg ins Tal der Glückseligkeit. Und von dort aus trabte es weiter: ins Himmelreich.

 

Heute, gegen 19. 10 Uhr

Ich bin zum Nichtstun verdammt. Da Silva hat mich mit der Anweisung „Wait!“ zurück gelassen und ist wieder in sein Fahrzeug gestiegen. Vielleicht um das Fahrwerk der Maschine zu kontrollieren. Oder um ein Schwein zu verfrachten. Ich habe ihn nicht gefragt.

Ich sitze im Aufenthaltsraum der Mechaniker. Jedenfalls deutet eine Reihe von Spinden darauf hin. Auf einem reichlich zerkratzten Metalltisch liegt eine aufgeschlagene Zeitung neben einer Butterbrotdose und einer Flasche Mineralwasser. Die Zeitungseiten sind voller Bilder mit wenig Text darunter, in einer Sprache, die ich nicht lesen kann. Was zumindest bei einem großformatigen Farbfoto auch nicht nötig ist, das eine barbusige Frau zeigt, die mich dumm angrinst und begeistert über ihre riesigen Brüste und ihre Schlauchboot-Lippen zu sein scheint.

Der Raum riecht nach Arbeit, nach Werkzeugen und Schmierstoffen und wird von zwei grellen Neonröhren ausgeleuchtet, von denen eine in einem unregelmäßigen Zucken aufblinkt.

In einer Ecke des Raums steht auf einer ausrangierten Werkbank ein kleines portables Fernsehgeräte. Ein Modell aus der Steinzeit.

Um überhaupt etwas zu tun und um meine Anspannung abzubauen, drückte ich auf die Power-Taste, ohne Hoffnung, dass das Gerät überhaupt funktioniert. Ein leichtes Rauschen. Der Bildschirm hellt sich auf. Ein kriseliges Bild in schwarz-weiß, das aber nach ein paar Sekunden etwas schärfer wird. Wahrscheinlich muss die alte Kiste sich erst ein wenig warm laufen. Eine Nachrichtensendung, ein Bildbericht. Den Kommentar des Reporters verstehe ich nicht. Aber die Bilder kann ich jetzt klar erkennen. Mit stockt der Atem.{jcomments on}

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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