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Was online-Magazine oder Blogs eher nicht kennen, sind sogenannte „Wochenendbeilagen“, ein Begriff, der mich an die „Sättigungsbeilage“ erinnert. Was bei den Hauptspeisen (Fisch oder Fleisch) Beilagen wie Kartoffeln, Nudeln oder Reis sind, sind bei den Printmedien „Extraseiten“ am Wochenende. Bei einigen Printmedien tauchen sie wöchentlich auf, bei anderen, dann zumeist höherwertig gestalteten, nur einmal im Monat.

Bei einer großen Regionalzeitung besteht die Wochenendbeilage aus zwei großen Teilen mit den Titeln „Wochenende“ und „Reise & Mobilität“. Der Titel „Reise und Mobilität“ spricht für sich. Themen   der Beilage „Wochenende “ sind Ratgeber-Tipps, Probleme des Alltags (Kita-Plätze, Erziehung), Essen und Trinken. Unter der Überschrift „Familienbande“ erzählt Redakteur G.W-A. Nettigkeiten aus seinem Familienleben rund ums Kind. Nettigkeiten, die Menschen mit Kindern (wie ich) schon selbst erlebt haben (mehrfach, wenn sie wie ich mehrere Kinder haben) und wahrscheinlich deswegen eher nicht interessant finden, wogen Menschen ohne Kinder diese Nettigkeiten nicht interessieren, weil sie froh sind, keine Kinder zu haben. Aber es muss eine Zielgruppe geben, denn vor G. W.-A. hat bereits jahrelang Redakteurin Julia Emmrich an eben der Stelle am Samstag unter dem Titel „Familienbande“ solcherart Nettigkeiten erzählt und daraus sogar Bücher gemacht. Immerhin: wenn man die „Beilagen“ nicht nur durchblättert, sondern einige der Beiträge liest, gibt es zusätzliches (manchmal durchaus nützliches) Futter für die Wochenendlektüre.

Von anderem Kaliber ist das einmal im Monat erscheinende Wochenendmagazin der guten alten Tante FAZ: überformatig (fast DIN A 3), bis zu 90 Seiten, Farbfotos, hochwertiges Papier. Mit Texten und Themen aus den Bereichen Mode, Design, Lifestyle. Letztlich alles aus einer Welt, die von dem Lebensalltag der meisten Menschen, die ich kenne, so weit entfernt ist wie die Erde vom Mars. Chanel, Cartier (z.B. Clash de Cartier Collier, Roségold, Diamanten, 75000 EURO), Dolce & Gabbana (kurzes Häkelkleid ohne Ärmel, 1450 EURO), Hermes (Paris), Max Mara (z. B. Oversized-Trenchcoat aus Kaschmir für 4.615,00 €) und Todds sind mit Anzeigen vertreten. Ebenso wie teure Uhren- und Schmuckmarken, etwa Bulgari, und Möbellinien (Bretz).

Hat man sich einmal klar gemacht, dass man hier durch eine Paralleluniversum blättert, kann man etliches, was da mit vollem Ernst und manchmal in euphorischer, überbordender Hochwertsprache vorgetragen wird, unterhaltsam finden. Ist die „Familienbande“- Welt von Windeln verweht, ist man hier in der gedruckten prosecco-aperoligen Welt und der Champagner-Liga.

Da ist dann manches unfreiwillig komisch: Wenn ich in der Rubrik „Mitarbeiter“ (S.17) lesen kann, dass Katharina Baresel-Bofinger, die Stylistin und Mutter einer Tochter ist, jetzt von Paris in die Nähe von Heilbronn gezogen ist, wo ihr Mann, der Kilian Graf von Benzel-Sturmfeder heißt, ein altes Weingut sein eigen nennt, dann sehe ich sofort Loriot und seine kongeniale Partnerin Evelyn Hamann auf dem Sofa sitzen. Wer, wenn nicht Loriot, hat sich diese Namen ausgedacht?

Unterhaltsam auch die Hotelkritik über eine Amsterdamer Unterkunft, deren Highlight ein „Hydro Massage Bed“ ist: „Unter einer Naturkautschuk-Liegefläche wabern rund 300 Liter warmes Wasser, die von zwei Düsen in gleichmäßigen Bewegungen auf die Unterseite gesprudelt werden und den Körper von Kopf bis Fuß massieren. Das Gefühl, das so erzeugt wird, ist eine Mischung aus Floating und Akkupunktur. Immer wenn die Düsen nach oben zum Nacken wandern, wird das vom wohltuenden Geräusch rauschender Wellen begleitet.“ (S.30) Die Aussicht, dass Düsen bei mir zum Nacken wandern, während unter mir 300Liter Wasser wabern, weckt in mir die komische Vorstellung einer Massage, durchgeführt durch Tamara Press, die über alle Maßen erfolgreiche Kugelstoßerin und Diskuswerferin der 1960er Jahre (Olympiasiege, mehrfach Welt- und Europameisterin).

Zum Schluss sei noch auf das Interview mit Psychologin Eva Hasselmann zum Thema „Me-Time“ (nein, nicht Tea-Time) verwiesen, die uns ihre „Easy-Relax-Technik“ ans Herz legt. Und das von ihr dazu verfasste Buch mit dem Titel „Easy Relax: Raus aus der Stressfalle in 20 Sekunden“. Weswegen sie im Interview nicht so genau erklärt, wie die Methode funktioniert. Das sollen wir doch wohl besser (in 20 Sekunden?) im Buch nachlesen. Ach ja, es geht halt (auf S. 72) nicht nur um Me-Time, sondern auch um Self-Care, Selflove und Self-Empowerment!

Zum Schluss dieser kleinen Rundschau ein gutes Stück Alltagsweisheit und Erkenntnis. Die Erkenntnis kommt von Karl Lagerfeld – und sie hat mich, weil sie so schrecklich realistisch ist, ein wenig erschrocken und traurig gemacht.

Lagerfeld, dieser große Selbstdarsteller, großartige Unterhaltungskünstler, begnadete Zeichner und kluge Kopf, hat am Ende seines Lebens, 2019 im Krankenhaus von Neuilly liegend, gesagt:

Wie bescheuert, drei Rolls Royce zu besitzen und in einem so heruntergekommen Zimmer zu enden.“ (S.69)

Wie wahr, wie schrecklich.

Auch wenn der Originalsatz im Französischen viel eleganter klingt!

***den Begriff „prosecco-aperolig“ habe ich der Schauspielerin Lisa Maria Potthoff zu verdanken. Er stammt aus einem Fragebogen des „FAZ Magazin“ (Mode Spezial, September 2023, , S.86; aus dieser Ausgabe auch die obigen Zitate und Beiträge))

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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