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In einem kurzfristig vom Bundeskanzleramt einberufenen Zoom-Call tauschten sich die Fachministerien mit wenigen Experten am Wochenende über aktuelle Probleme in der Chemischen Industrie aus. Ein paar NGOs, darunter HerrKules als Vertreter des Emschertals, durften teilnehmen. Hier der Bericht.

Der Sprecher des Bundeskanzleramtes begrüßte die Anwesenden und bat um Entschuldigung, dass der Chef des Hauses noch nicht da sei. Er verlaufe sich manchmal in dem Gebäudekomplex an der Spree. Der Kanzler werde wie immer nachträglich informiert. Dann wurde der Vertreter der Chemischen Industrie gebeten, die Lage zu schildern, was er tat: In Deutschland sei die Energie zu teuer geworden. Die auf Erdgas angewiesene Ammoniakproduktion werde in Deutschland darum weitgehend eingestellt. Als Folge davon fehle das Nebenprodukt Kohlenstoffdioxid nun für andere Produktionsprozesse in der gesamten Wirtschaft. Eine katastrophale Entwicklung in drei Phasen komme auf uns zu, sollten die Energiepreise nicht schnell fallen:

  1. Produktionseinstellungen und Werksschließungen in den nächsten 2 bis 12 Monaten.
  2. Verlagerung der Produktion in Regionen außerhalb Europas innerhalb von 6 Monaten bis 3 Jahren.
  3. Deindustrialisierung Deutschlands.

Weil die Chemische Industrie die Basisstoffe für alle anderen Wirtschaftsbereiche liefere, werden in allen Branchen Arbeitsplätze verschwinden. Es entstünden neue Abhängigkeiten von anderen Staaten, ähnlich wie sie derzeit beim Erdgas vorliegen. Eine spätere Rückkehr der Produktion nach Deutschland sei ausgeschlossen. Was weg ist und woanders neu aufgebaut wurde, ist für immer weg. In China, Indien und den USA seien die Produktionskosten wegen der dort eingesetzten, billigen fossilen Energieträger konkurrenzlos günstiger. Die Auswirkung der deutschen Energiewende auf das Weltklima sei damit gleich Null. Auf diese Entwicklungen hätten Gewerkschaften und Unternehmen bereits seit 2018 immer wieder hingewiesen. Kurz: Immer mehr Energieträger auszuschalten führt zwangsläufig zu Inflation und Abwanderung ganzer Industrien. Deutschland fahre eine dämliche Industriepolitik. (bto 2.0 ab ca. 30:00 bis 58:00)

Diese Nachricht wurde im Bundesministerium für Wirtschaft, Kneipen, Antriebslosigkeit und Klimaerzählungen mit großer Freude aufgenommen. Man könne das nicht mehr erzeugte technische Kohlenstoffdioxid nun direkt mit dem CO2-Emmissions-Budget der alten Steinkohlekraftwerke (z. B. Uniper Scholven Block B und C) verrechnen, sagte der Minister. „Megageil!“, rief der ebenfalls zugeschaltete diensthabende Barkeeper aus der Kantine des Ministeriums und fragte die dort versammelte Führungsriege: „Für die Herren einen Gin-Tonic und für die Herrinnen einen Prosecco? Oder sind wir schon bei den Sangria-Eimern angelangt?“ Aus dem Hintergrund hörte man ein vielstimmiges: „Einer geht noch! Einer geht noch rein!“

Der Finanzminister wandte sich mit ernstem Gesichtsausdruck an den Vertreter der Chemischen Industrie und sagte, er tue alles, damit das 5. Rettungspaket für die beim 3. und 4. Rettungspaket durchs Raster gefallenen Unternehmen da ankomme, wo es treffsicher benötigt werde. Dann fragte er: „Wofür braucht man überhaupt Kohlenstoffdioxid?“

Der Landwirtschaftsminister ergriff das Wort und meinte, die Getränkehersteller klagten, sie könnten derzeit keine Flaschen abfüllen. Sein Lösungsvorschlag: Neue Hanfanbauflächen im Schwäbischen oder zur Not in Afghanistan, die noch vor dem Wintereinbruch erstmalig abgeerntet werden sollen, um die Apotheken zu beliefern, falls zu wenig „belebende Getränke“ für die hier Lebenden im Winter verfügbar wären.

Der Gesundheitsminister stellte klar, dass also es richtig sei, dass also es wichtig sei, dass ausreichend Narkotika für die Gesamtbevölkerung in diesem Winter zur Verfügung stünden. Am besten auf Hopfen- und Gerstenbasis, weil sozusagen Rotwein kurzfristig nur auf Ministerebene verfügbar wäre. Er hätte also trotzdem auf dem Weltmarkt etliche Hektoliter aus Italien, Frankreich und Südafrika vorbestellt. Er arbeite an einer Verordnung für die Verteilung über die Gesundheitskassen und die Apotheken mit einer App …. – dann brach der Ton ab, während der Minister sein Smartphone ins Bild hielt.

Eine Sprecherin des Bundesumweltministerium rief dazwischen, die chemische Industrie sei nur den geplanten Umweltgesetzen zuvorgekommen. Sämtliche „chemische Reaktionen“ werden nach den neuen Gesetzesentwürfen ab 2025 in Deutschland grundsätzlich verboten sein. „Wir sind sehr erfreut darüber, dass die Umweltzerstörung durch Chemie damit bereits zwei Jahre früher als geplant aufhört. Generation*innen auf der ganzen Welt werden es uns danken“, sagte die kinderlose ehemalige Journalistin.

Aus dem Landwirtschaftsministerium vernahm man den Ton einer Klangschale. Dann fuhr der in einer Rauchwolke verhüllte Minister lachend fort: „Die für die Getränkeabfüllung von Bio-Flüssigbrot fehlende Kohlensäure aus technischem, also schädlichen Kohlenstoffdioxid, wird ab sofort durch Bio-Kohlensäure aus hochwertigem Bio-Kohlenstoffdioxid ersetzt, das bei der Bio-Ethanol-Erzeugung als Nebenprodukt anfällt.“

Es knackte laut und einige eingenickte Teilnehmer wurden schlagartig wieder wach. „Genauso machewe daas! Oangzapft is!“, hörte man den Sprecher des Bayrischen Brauereiverbandes, live vom Oktoberfest zugeschaltet, verlalltbaren.

Der Vorstandssprecher des Bundesverbands der deutschen Bioethanolwirtschaft (BDBe) sagte, dass ein entsprechendes Gesetz für das Ministerium längst erarbeitet bzw. fachlich begleitet wurde. Alle Anbauflächen würden zu artenreichen Bio-Zuckerrohrplantagen umgestaltet. Bio-Rum als Abfallprodukt der Bio-Ethanol-Produktion könne ab nächster Woche bereits hergestellt werden und so die Menge des für die Bevölkerung benötigten Winter-Narkotikums auf Bio-Gersten- und Bio-Hopfenbasis deutlich reduzieren.

Der Gesundheitsminister warf kurz ein, also mit reinstem Bio-Wasser verdünnt sei Bio-Ethanol auch als Bio-Winter-Narkotikum verwendbar. Er werde noch heute Nacht an einer Verordnung zur also intravenösen Verabreichung im Rahmen des jährlichen Impfprogramms arbeiten.

In ihren Abschluss-Statements begrüßten sämtliche Gesprächspartner, mit Ausnahme des vorsorglich stummgeschalteten Vertreters der Chemielobby, die Beschlüsse. Das Problem sei damit gelöst. Der plötzlich eingeblendete Bundeskanzler – er konnte sich an den Termin nicht erinnern und hatte ihn irgendwie vergessen – nickte kurz in die Runde und sagte: „You‘ll never walk alone!“

Dann brach der Zoom-Call zusammen. Stromausfall.

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Von Ali-Emilia Podstawa

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Di.Niew.

Schöne Zustandsbeschreibung.

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