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Am 11. März 2010 besuchte unsere Kanzlerin Dr. Merkel die Niederlande und unser Bundespräsident Dr. Gauk tat am 6. Mai 2012 ebenso. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein, dass Staatsoffizielle sich quasi über den Gartenzaun hinweg besuchen und unterhalten.

Die Liste der Staatsbesuche Deutscher Wichtigmenschen im Königreich nebenan spricht eine andere Sprache.

Ich habe das Glück, in meiner zweiten Heimat in einer Grenzstadt an der Deutsch-Niederländischen Grenze zu wohnen, noch dazu auf einem „Grenzweg“. Das Interessante an diesem Umstand ist, dass mein nächster und übernächster Nachbar Niederländer sind, aber noch in Deutschland wohnen. Sogar hier gebaut haben, hier Steuern zahlen und in den Niederlanden arbeiten. Europa von seiner kuriosen Seite: Man fährt zum Feierabend ins Ausland um hier zu wohnen.

Sobald man „in Kontakt“ kommt, durch Verwandtschaft oder Verschwägerung oder beides, wird die Neugier an dem Nachbarland geweckt. Folgerichtig begann ich mich für die Geschichte dieses gar nicht so kleinen Landes zu interessieren. Und kam vom Staunen in Hochachtung und Bewunderung. Die Menschen in diesem Land, die sich nicht gern als „Holländer“ bezeichnen lassen, wenn sie nicht welche sind (dass Noord- und Suedholland lediglich Provinzen an der Küste sind, dürfte bekannt sein), haben unter den Nachbarn in Osten wirklich gelitten, das ist das erste, was bei der Betrachtung der jüngeren Historie auffällt.

Das Land ist auch nicht so putzig, wie es in Jahrhunderten dargestellt wurde und sich jetzt, in der Tourismusbranche selber darstellt. Das Land der Windmühlen gibt es nicht. Die Windmühlen sind Wasserpumpen, mit denen das anfallende Regen- und Flusswasser von Polder zu Polder hocheleviert wird um in Meer abfließen zu können. Weite Teile des Landes liegen unterhalb des Meeresspiegels. Die Niederländer, Nachfahren der Westfriesen und Bataver (von denen stammt der Nickname „Pattjacken“, der hat nichts mit Jacken zu tun) und, nun ja, in den östlichen Reichsteilen, auch der Chamaver und Brukterer, also der Westfalen, haben sich ihr Land nicht erobert, wie die Angeln und Sachsen in Britannien, sondern dem Wortsinne nach, geschaffen. Im Laufe der Jahrhunderte entstand ein hochkompliziertes System mit Deichen, Sielen und Poldern, das eine Landwirtschaft ermöglichte.

Wird das System ge- oder gar zerstört, geht das Land verloren und das Volk verhungert.

Einmal haben die „Geuzen“, die „Bettler“, die Deichschleusen geöffnet. Das war im Befreiungskrieg gegen Spanien. „Das Land wird Meer, doch es wird frei!“

Man braucht nicht lange zu raten, wer dieses Werk noch zweimal vollbrachte. Das Deutsche Kaiserreich und die Nazis.

Die Niederländer sind großartige Städtebauer. Statt des im Ruhrgebiet üblichen Samstagtrips nach Winterwijk (auch dort gibt es schöne Ecken) sollten die Menschen ruhig einmal die großen Städte besuchen. Eigentlich liegt ja alles in tolerierbarer Grenznähe. Wer durch „Holland Stadt“ fährt, das Dreieck Amsterdam, Rotterdam, Utrecht, bekommt langsam Respekt vor dem Industrieland Niederlande. Allein schon die gantischen Industrieanlagen der „Hoogovens BV“ lassen Erinnerungen an eine einst prosperierende Vergangenheit im Ruhrgebiet hochkommen.

Aber zurück zur Geschichte des Landes. Durch Erbe waren die niederländischen Provinzen in den Besitz der spanischen Habsburger gelangt. Die quetschen ihre „Kronkolonie“ aus bis zum Weißbluten. Das wollten die Bürger abwehren und es kam zum Krieg mit Spanien. Völkerrechtlich kann man es komplizierter ausdrücken, aber es wurde gekämpft und gestorben und das sollte man beim Namen nennen. Zum googeln sollte man die Namen Herzog von Alba, Lamoral van Egmont, Wilhelm von Nassau kennen.

 

Wobei letzerer DER niederländische Pater Patrie war. Und noch ist.

Denn er, der hessische Graf, erbte das französiche Herzogtum Orange. War damit Prinz von Oranien und wurde vom spanischen König zum Statthalter der Niederlande ernannt.

Wilhelm nahm die Ernennung unter der Bedingung an, dass der König die „Nieder Landen“ nicht länger wie eine Kolonie sondern als gleichberechtigten Landesteil Spaniens behandelte.

Der König gab dieses Versprechen und halste sich damit den Krieg gegen einen unterschätzten Gegner auf, denn er plünderte mehr denn je.

Den Titel „Statthalter(in)“ trägt die Nachfahrin Wilhelms, die Königin Beatrix von Oranien, Statthalterin der Niederlande noch heute. Nur eben, dass sie sich als Statthalterin des Niederländischen Volkes versteht und auch so von ihren Untertanen verstanden wird.

 

Von all den Geschehnissen im ausgehenden Mittelalter berichtet die älteste Nationalhymmne der Welt, der „Wilhelmus van Nassouwe“. Der Text wurde ursprünglich auf deutsch geschrieben und dann ins Niederländische übersetzt. Allein schon diese Tatsache zeigt, dass sie umstrittene Verszeile „von deutschem Blut“ genau das meint, was sie sagt. Wilhelm war Deutscher.

 

Original:

Wilhelmus von Nassawe
bin ich von teutschem blut,
dem vaterland getrawe
bleib ich bis in den todt;
ein printze von Uranien
bin ich frey unverfehrt,
den könig von Hispanien
hab ich allzeit geehrt.

 

Die Hymmne:

Wilhelmus van Nassouwe
ben ik, van Duitsen bloed,
den vaderland getrouwe
blijf ik tot in den dood.
Een Prinse van Oranje
ben ik, vrij, onverveerd,
den Koning van Hispanje
heb ik altijd geëerd.

 

Das Lied hat 15 Strophen. Jede beginnt mit einem Buchstaben des Namens.

 

Während sie ihr Vaterland befreiten, errichteten die Niederländer noch eine weltumspannende Kolonialmacht. Im Wettstreit mit England. Auch wenn es heute makaber erscheint, so war es doch eine große Anstrengung. Nach dem zweiten Weltkrieg entließen die Niederländer den größten Teil der Kolonien in die Freiheit der Selbstverwaltung. Surinam lehnte die Befreung ab und wollte beim Mutterland bleiben.

 

Von der unerreichbaren Wasserbaukunst der niederländischen Ingenieure zeugen das Ijsselmeer und die Sperrwerke an der Schelde. 1953 führte die totbringende Springflut zum Deltaplan, der Erhöhung deer Deiche und Sicherung Flussmündungen.

 

Fast jedem Kinogänger und Fernseher ist das Codewort „Market-Garden“ ein Begriff. Sir Richard Attenborough drehte nach den Vorkommnissen damals seinen Riesenfilm. Es ging um die Besetzung der Niederrheinbrücke bei Arnheim, durch die den Aliierten 1944 ein Weg ins Ruhrgebiet geschaffen werden sollte. Das Unternehmen endete in einem Desaster am Widerstand der Wehrmacht und der Waffen-SS. Für die Niederländer im weiterhin besetzten Teil ihres Landes war das eine Katastrophe. Deutschland war von allen Beuteländern abgeschnitten und die eigene Ernte auf den Feldern verbrannt. Also wurde aus dem noch besetzten Teil Europas alles, bis auf die letzte Kartoffel, „ins Reich“ verbracht.

Das kostete im letzten Kriegshalbjahr 20.000 Menschen in Gelderland, Overijssel und Twente das Leben, sie verhungerten. Die Brücke, die durch einen Bombenvolltreffer aus den Lagern gerissen wurde, aber sonst unversehrt blieb, ist noch heute ein wichtiger Teil des ostniederländischen Straßennetzes.

Das muss man wissen, wenn man meint, im Urlaub oder auf dem Tagestrip von den Leuten „drüben“ scheel angeschaut zu werden. Bevor man in Klagelieder a lá „Unser Geld wollnse haben“ verfällt, sollte man sich vor Augen halten, was dieses Volk unter uns Nachbarn gelitten hat.

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Von Friedhelm Möllmann

Friedhelm wurde im Februar 1950 in Gladbeck Zweckel geboren, zog im Alter von einem Monat nach Scholven um und wurde damit zum überzeugten Bueraner. Er ist bekennender Christ und wohl auch bekennender, weil kritischer Katholik. Schriftsetzer mit allen Gutenbergschen Würden. Gelernt hat er bei der damals besten “Bude” der Welt, K+B auf der Hagenstraße in Buer. Er ist ohne Probleme durch die Zwiespältigkeit der Jugend, hie DPSG, dort Rock’n'roll, gekommen. Er hat kein Abitur. Seit 1980 ist er verheiratet, mit mittlerweile zwei erwachsenen Nachfahren, nach 3 Herzinfarkten und einem Stammhirnapoplex ist er seit 2011 berentet und nicht mehr ganz fit – aber nur körperlich!! Er gehört keiner Partei an, wobei er den Unionsparteien, der FDP, den Piraten, den Grünen und den Linken ganz besonders nicht angehört. Nach IG Druck und Papier, nachmals IG Medien, jetzt bei IG ver.Di nur noch zum Rentnerbeitrag Mitglied. Friedhelm Möllmann verstarb im Oktober 2015.

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