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Ich mag das Leben in der Innenstadt, vor allem im Sommer, wenn durch die geöffneten Fenster die Geräusche der Straße mein Zimmer fluten. Das Pfeifkonzert des kroatischen katholischen Street-Work-Pfarrers beruhigt mich. Er redet gerne. Auch über Gott. Zuhören ist nicht seine Stärke. Ein Klüngelskerl, unterwegs in Auftrag des Herrn. Wenn er ein, zwei Tage nicht pfeift, mache ich mir Gedanken über die Vergänglichkeit.

Ich mag die tobenden Wasser-Kinder vor dem Hans Sachs Haus. Sie planschen, kreischen, johlen, überbieten in ihrer Ausdauer die Länge der Fragen von Herrn Akyol während der Ratssitzungen im HSH. Sie sind um Klassen emotionaler als Dr. Klante, wenn er über Empörendes am Stehpult des Ratssaales referiert.

Ich liebe die Autofahrer, die einen Rückstau von der Mitte der von Oven Straße bis zur Overwegstrasse verursachen, weil sie im festen Glauben sind, dass irgendjemand gleich aus einer Parkbucht heraus fährt. Die Hupkonzerte sind grandiose Klangteppiche, die zwischen den Häuserfronten gemächlich gen Himmel wabern und dabei Oktaven und Rhythmen ändern. Klasse.

Fahren Talahons auch Autos? Jedenfalls blubbern die arabischen Bässe linear in ungewohnten Schritten die Fassaden hoch, getrieben und gepeitscht durch Schmerz-Gesang. Ich mag das und stelle mir dann immer vor, dass gerade eine Kolonne weißer Märchenautos mit Brautjungfern, Schleiern, Blumengebinden und natürlich einem Brautpaar in noch weißerem Weiß, durch die kleine Straße cruised. Hupend. Geldscheine aus dem Fenster werfend.

Ich mag die Männer und Frauen, die in der Straße brabbeln, kreischen, schimpfen, dozieren, ich mag die Anwohner und Passanten, die mit den psychischen Ausnahmezuständen dieser Menschen gelassen und souverän umgehen.

Was ich nicht mag, sind die Crack-Freaks, die ihre Bleche rauchen. Eigentlich sind die mir egal, aber bei denen weiß man nie genau, wann deren Kopf so verwackelt ist, dass man ihnen ausweichen muss.

Die Alkis sind in der Regel friedlich, spucken vor allem keine Sonnenblumenkernschalen herum.

Nervig sind die Leute, die in meinem Nahumfeld kacken und pissen. Damit die Gebildeten es auch verstehen: die vor meiner Tür, vor meinem Auto koten und urinieren.

Nun haben mich mehrfach kluge Menschen darauf hingewiesen, dass mein Alleinstellungsmerkmal die Klage über Unrat und Dissoziales Verhalten wäre, dass ich nichts Schönes & Gutes & Wahres zu dieser Welt beitragen würde.

Mag sein. Mag aber auch sein, dass manche Kritiker sich verloren haben in ihrer Beschäftigung mit ihrer Selbstüberhöhung.

Was mich zerreißt, sind die Situationen, in denen ich Verbote und Verweise erteilen muss.

Ich hätte kein Problem, die obdachlose Frau im letzten Jahr weiter in meinem Hausflur schlafen zu lassen… wenn ich nicht wüsste, dass es auf Dauer einen Rattenschwanz von Folgeproblemen mit sich bringen würde. Also bitte ich sie, zu gehen. Und denke.. du bist der, der du nie werden wolltest.

Heute habe ich wieder eine obdachlose Dame gebeten, weiterzugehen. Sie ging.

Sie war sehr klar, sehr freundlich, sehr höflich und hat mich beschämt.

Ich wünschte, ich wäre katholisch und könnte mich durch eine Beichte erleichtern.

 

 

 

 

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Von Heinz Niski

Handwerker, nach 47 Jahren lohnabhängiger Arbeit nun Rentner. Meine Helden: Buster Keaton, Harpo Marx, Leonard Zelig.

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