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HEUTE: …im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Eine Stadt auf verlorenem Posten.

Seit einiger Zeit bekommen wir im Lokalteil der WAZ in loser Abfolge Baustellen der Gelsenkirchener Erziehungs- und Bildungslandschaft präsentiert. Die unaufgeregten, sachlich mit Zahlenmaterial unterfütterten Beiträge geben einen Einblick in das, was man in Gelsenkirchen ohne Polemik und ohne Übertreibung als Elemente einer Bildungskatastrophe bezeichnen kann, die ganze Teile der jüngeren Generationen im Griff hat. Wobei anzumerken ist, dass die Stadt selbst für diesen Zustand kaum oder in nur geringem Maße verantwortlich ist und auf der anderen Seite „im Rahmen ihrer Möglichkeiten“ versucht, Defizite abzubauen. Aber die Möglichkeiten sind eben begrenzt – nicht nur die finanziellen. *

Kann man die Tatsache, dass Gelsenkirchen hinsichtlich der Abiturienten mit Einser-Abitur (1,4 oder besser) im Land den letzten Platz einnimmt, noch abhaken, indem man darauf verweist, dass in Gelsenkirchen trotz zahlreicher sozialer Probleme überhaupt viele Schülerinnen und Schüler zum Abitur geführt werden, was ein großer Erfolg ist, ist schon allein die Tatsache, dass hier überaus viele Schülerinnen und Schüler, wie es heißt , „abgeschult“ werden, also das Gymnasium in Richtung Realschule und die Realschule in Richtung Hauptschule verlassen müssen, nicht mit einem gleichgültigen Achselzucken zur Kenntnis zu nehmen. Diese Entwicklung bedeutet nicht nur, dass formale Abschlüsse verpasst werden, die einen Zugang zu weiteren Bildungswegen und damit einer „Bildungskarriere“ ermöglichen, hier kommt es auch zu sozialen Brüchen (Klassenkameraden, Freundeskreis, soziale Kontakt) und Knicken in der Bildungsbiografie (Versagenserfahrung, Frustration, Demotivierung, Gefühl der Abstufung). Dass es zu einer so großen Zahl an Abschulungen kommt, ist auch im Kontext der bis zum Eintritt in die Schullaufbahn angesammelten Defizite zu sehen. Diese Defizite zeigen sich in aller Deutlichkeit im Bereich der Sprache. Laut Stadt, so meldet die WAZ, * haben 57,3% der bei der Einschulungsuntersuchung hinsichtlich ihrer Eingangsvoraussetzungen überprüften Kinder eine andere Muttersprache als Deutsch. Von diesen Kindern wiederum haben 66,5 % keine ausreichenden Deutschkenntnisse. Das heißt, dass bereits die Eingangsvoraussetzungen defizitär sind, denn der Mangel an Deutschkenntnissen wirkt sich quer über alle in der Grundschule unterrichteten Fächer hinweg negativ aus. Die mangelhaften Deutschkenntnisse sind selbst bei 42, 1% der Kinder vorhanden, die drei Jahre und mehr eine KITA besucht haben, aber Deutsch nicht als Muttersprache sprechen.

Man muss kein Bildungsexperte sein, um sich vorstellen zu können, dass diese Defizite im Laufe der Grundschulzeit nicht (vollständig) abgebaut werden können. Vielmehr ist es so, dass auch die Anzahl derjenigen wächst, die die Mindestanforderungen im Grundschulbereich nicht oder nur teilweise erfüllen, und auch die Gruppe derjenigen größer wird, die mit einem schlechten oder keinem Abschluss ihre Schullaufbahn beenden.

Was der Stadt bleibt, sind Reparaturmaßnahmen im System (Eltern-Kind-Gruppen, Bildungs- und Sprachförderung) mit denen man versucht, diejenigen anzusprechen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist.

Es ist mit dem Schulerfolg, unabhängig von Fehlern im System und sozio-kulturellen Faktoren (bildungsbürgerliches Elternhaus versus sozial schwache Familie) so, dass als Voraussetzung für einen erfolgreichen Bildungsgang die Beherrschung der deutschen Sprache als Ziel- und Verständigungssprache unabdingbar ist. Jegliche Anstrengungen des engagierten Lehrpersonals und engagierter Mitarbeiter der Verwaltung müssen an der Wirklichkeit des Alltags zerschellen. Und in diesem Alltag sitzen eben zu viele Kinder aus zu vielen unterschiedlichen Sprachräumen in einer Klasse, denen das wesentliche Verständigungs- und Lernmittel als gemeinsames Element nicht zur Verfügung steht: die Sprache. Die Kraft der großen Zahl und die Kraft der großen Defizite verhindern Lernerfolge. Und wenn auch Kinder in großem Maße Defizite aufweisen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, zeigt sich ein weiterer Trend: Auch die Zahl  der Schüler , die „eklatante Sprachdefizite“* aufweisen und deren Erstsprache Deutsch ist, wächst!

*Zitat: Sinan Sat, Viele Erstklässler haben Sprachdefizite, WAZ, Lokalteil GE, Papierausgabe v. 22.Juli 2024

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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6 Kommentare
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Sieg.Tini.

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Heinz Niski
Last edited 1 Monat zuvor by Heinz Niski
cle.gedoen.

bled

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Ro.Bien.

Bildung auch.

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Norbert Melcher

Den Umschwung von der „Abschulung“ und damit angeblichem Verlust weiterer Karrierechancen zu den offensichtlich statistisch nachweisbaren Problemen mit mangelnden Deutschkenntnissen kann ich irgendwie nicht nachvollziehen! Ich bin wie Herr Kules Jahrgang 1952. Die 3 Kandidaten auf meinem Einschulungsbild in der Ludgerie Volksschule, die noch im ersten Schuljahr zur damals sogenannten „Hilfsschule“ abgeschult wurden erkenne ich heute noch. Auch im weiteren Verlauf meiner schulischen Laufbahn kam es jährlich in Einzelfällen zur „Abschulung“. War das nicht nur ein ganz normaler Akt der Auslese, wer die Anforderungen der Realschule in den 60ger Jahren nicht erfüllen konnte ging eben wieder zurück zur „Volksschule“?

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