„Das Absurde kann jeden beliebigen Menschen an jeder beliebigen Straßenecke anspringen.“ Albert Camus
Nur noch Schreckensmeldungen in der waz-Lokalausgabe. Müllberge hier, verlassene Einkaufswagen dort. Und diese Ratten! Bösartige Nager, die nicht davor zurückschrecken, die Kanalisation zu verlassen und durch die Abwasserrohre bis in unsere Badezimmer oder Toiletten-Räume zu kriechen und dort die Kacheln zu beschädigen, die Blümchentapete von den Wänden zu knabbern, uns zu erschrecken, uns aus ihren listigen Äuglein hämisch anzugrinsen und dabei angeberisch mit ihrem nackten Schwanz zu wedeln, wobei sie keine Rücksicht auf unser Seelenheil nehmen.
Auch manche verzierte Gold-Armatur ist diesen grundbösen und völlig unnützen Aggressoren schon zum Opfer gefallen. Auch vor der Verwüstung der Toilettenschüssel schrecken sie nicht zurück, am Waschbecken lassen sie ihre überschüssige Kraft gerne aus, hinterlassen dort ihre Exkremente und manchen Unrat.
Sieht man einmal von dem jüngsten Artikel in der Lokalausgabe ab, wird den Ratten kaum einmal literarische Ehre zuteil. Zu nennen sind hier (im Bereich der deutschsprachigen) Literatur etwa Gerhart Hauptmanns fünfaktige Tragikomödie „DIE RATTEN“ (Uraufführung 1911) und „Nachts schlafen die Ratten doch“, eine Kurzgeschichte von Wolfgang Borchert.
Nicht zu vergessen: Gottfried Benns frühes Gedicht aus dem Band „Morgue“ (Leichenschauhaus), das der Mediziner Benn 1912 verfasste und uns mit seinem Titel „Schöne Jugend“ schon in die Irre führt, weil es unsere Erwartungen nicht nur enttäuscht, sondern auf brutale Weise mit diesen Erwartungen spielt und sie bricht.
Schöne Jugend
von Gottfried Benn
Der Mund eines Mädchens
sah so angeknabbert aus.
Als man die Brust aufbrach,
war die Speiseröhre so löcherig.
Schließlich in einer Laube unter dem Zwerchfell
fand man ein Nest von jungen Ratten.
Ein kleines Schwesterchen lag tot.
Die andern lebten von Leber und Niere,
tranken das kalte Blut und hatten
hier eine schöne Jugend verlebt.
Und schön und schnell kam auch ihr Tod:
Man warf sie allesamt ins Wasser.
Ach, wie die kleinen Schnauzen quietschten!
(1912)
Ein zynischeres Denkmal hat unseren ungeliebten Hausgenossen wohl niemand gewidmet!