In den weit zurückliegenden Zeiten, in denen die Menschen sich abends im Gemeinschaftszelt versammelten, wo der Rat der weisen Alten die Angelegenheiten des Dorfes verhandelte, die Frauen von den dunklen Tagen erzählten, als Nahrung knapp war und die Kälte schmerzhaft auf der Haut brannte, die Kinder wie selbstverständlich an den Zusammenkünften teilnahmen und in der Geschichte ihres Volkes unterwiesen wurden, lebten in grauer Vorzeit zwei Männer.
Der eine war seit seiner Geburt blind, der zweite Mann war im Alter von 13 Jahren in der Winterzeit in den eiskalten Fluss Lao Tse Kiang gesprungen, um ein Lamm vor dem Ertrinken zu retten. Die Dorfbewohner hatten dem Rettungsversuch mit großer Anspannung zugesehen, hatten den jungen Mann angefeuert, hatten das Lämmchen aufgemuntert, hatten den Mut des Jungen gepriesen und hatten, als er das rettende Ufer erreicht hatte, Freudenfeuer angezündet. In die Freude der Dorfbewohner mischte sich aber alsbald der bittere Beigeschmack der Verzweiflung, der disharmonische Unterton der Trauer, das Klagen der Alten, als man feststellen musste, dass der Junge dem Eiswasser blind entstiegen war. Der Rat der Dorfältesten ordnete sieben Tage der Trauer an.
In jener Zeit also, als der Mond noch blau über dem Wasser des Lao Tse Kiang aufging, erreichte ein Mann jenes abgelegene Dorf, der sich selbst Otogushi Katajawa nannte und den seine Kleidung als Jäger und Sammler auswies. Die Dorfbewohner – Alte, Junge, Kinder – bestaunten den Fremden, der auf einer kleinen Trage Häute, Salben und Tinkturen hinter sich herzog und dessen Kleidung übersät war mit Dutzenden Flicken aus Tierfellen. Seltsamerweise war niemand darüber verwundert, dass der Fremde die Sprache der Dörfler sprechen konnte, obwohl doch kaum jemand einmal die Grenzen ihres Tales überschritten hatte und man in selbstzufriedener Bescheidenheit schon lange dort lebte. Es war vielmehr so, dass man den Fremden mit aller Herzlichkeit in der Dorfgemeinschaft aufnahm, seine Fertigkeiten in der Jagd, dem Fischfang, der Fallenstellerei und der Abrichtung von Hunden zur Bewachung der kleinen Herden freundlich begrüßte.
Die beiden jungen Männer, blind seit der Geburt der eine und der zweite blind seit der Rettung des Lamms, legten zunächst eine gewisse Scheu an den Tag, bis sie sich eines Tages ein Herz fassten und den Mann aufsuchten, der sich mittlerweile eine eigene Hütte gebaut hatte und zum Ratgeber der Dorfgemeinschaft geworden war, die von seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten profitierte. In seiner bescheidenen Behausung herrschte wohlige Wärme, die von einem kleinen Feuer ausging. „Unterweise uns! Zeige uns, wie wir die wilden Tiere fangen und zähmen können!“ „Wie soll ich euch helfen, wo ihr doch beide blind seid? Wie wollt ihr das Reh erjagen und den Falken vom Himmel schießen, das mächtige Wildschwein in eine Falle locken?“ Betretenes Schweigen herrschte in der Hütte, denn die beiden jungen Männer wussten keine Antwort zu geben auf die Fragen des Fremden. „Ich mache euch einen Vorschlag“, sagte der Jäger. „Ich gebe euch drei Monate Zeit, um euren Nachteil zum Vorteil zu wenden. Am Ende der drei Monate solltet ihr in der Lage sein, den Falken vom Himmel zu schießen, das Reh zu erjagen und das Wildschwein in eine Falle zu locken!“ Der Jäger wandte sich seinem Feuer zu, ohne aber Holz nachzulegen. „Alles ist gesagt! Ihr dürft jetzt gehen!“
Die beiden jungen Männer verließen die Hütte des Jägers ratlos und verzweifelt. Ihre Anstrengungen, das Augenlicht wiederzuerlangen, blieben erfolglos, was auch immer sie unternahmen. Kräuter aus dem nahen Wald, die sie in warmem Wasser aufkochten und dann auf ihre Augen legten, waren ebenso erfolglos wie Steine, die sie im Feuer erhitzten. Geschälte Rinde junger Birken zeigte keine Ergebnisse. Selbst das Herz frisch geschlachteter Ziegenböcke blieb wirkungslos. Und das Seltsame war: Der Jäger war immer seltener in der Hütte anzutreffen, bis er in den letzten Stunden vor der Entscheidung kaum noch dort, sondern oft tagelang verschwunden war.
Am Tag der Entscheidung suchten die beiden jungen Männer seine Hütte auf. Es war kalt und dunkel darin, das Feuer war erloschen. Als sie die Hütte verließen, empfing sie das warme Licht der Sonne.
Und der Himmel war von dem schönsten Blau!
Wie schön, von dir zu lesen, lieber Bernd.
Und wie gut, wenn die Blinden im Dorf einen Jäger als Ratgeber haben.