Komm geh mich doch weg.
In meiner Kindheit und Jugend gab es gefühlt alle 20 Meter eine Kneipe und alle 50 Meter eine Eckkneipe im Viertel.
Heute heißt das ja Quartier. Dafür aber ohne Kneipen.
Ich war immer nur Zaungast, ohne Zugehörigkeitsgefühl. Aber mit Neugier.
Die Kneipen verschwanden, mit ihnen die knorrigen Bewohner, die Flipper- und Spardosenkönige, die Billard Virtuosen, Skat-Champions, Frühschoppen-Versunkenen. Polit-Raufbolde umarmten frömmelnde Beicht-Bleichgesichtige und nach ein paar Buletten und Herrengedecken war man wieder eingestimmt auf die kommende Woche.
War nicht schlecht, mal spießig-überladen, mal rot-revoltierend, mal schwarz-konservierend, aber irgendwie eine Notgemeinschaft. Die wussten, dass ihre Vergangenheit sie schwer beladen zusammen schweißte und die nächste Woche verlangte, unter und über Tage wieder miteinander klarzukommen.
Heute hatte ich an Holgers Erzbahn Bude Erinnerungen an diese Zeit.
Kneipenluft im Freien.
Kerle, die sich treffen, um zu schnacken, palavern, nur so. Mit Humor inne Jacke, nen Fiege Pils aufm Tisch, das Rad daneben.
Hallo hier, hallo da, was hast du gemacht, ach erzähl doch keinen Quatsch, wo warst du die letzten Tage, was macht der, die, komm an den Tisch an Holgers Bude.
Grundstimmung: entspannt, friedlich.
Hat man ja nicht mehr so oft.
Ich habe es genossen.
Wo sind all die Flipper und Kickertische hin? Ersetzt durch Smartphone Ladebuchsen.
Ich gebe ein Königreich für eine nikotingelbe Flipperbude!
Du meinst: Ein Altherrenteff wie früher bei Pils und Korn? Stimmt – bei Holger treffen sie sich noch! Unter freiem Himmel. Da wirds schwer, den Flipper oder Kickertisch immer wieder auf- und abzubauen. Keine Ahnung, ob Holger auch Korn ausschenkt. Die schönsten Rentner-Exemplare in hautenger, quietschbunter Radfahrer-Sportskleidung, über die Bierpocke gepellt! Eine Augenweide! Aber sonst: empfehlenswertes Ausfugsziel!
Sind denn dort auch wahre Damen, wie Du z.B., willkommen?
Ich bin da selten. Und wenn, mit mir hat da noch niemand gesprochen – außer Holger. scheint ein eingeschworener Kreis zu sein, wo fremde Fraue wahrsheinlich erst gewisse Traditionen erfüllen müssen. besonders dann, wenn sie alleine unterwegs sind.
Es gab sofort einen Flirtangriff auf meine Tochter. Hätten wir nicht ein anderes Ziel gehabt, wäre es ein Einstieg in diesen Kreis gewesen. Es gab noch andere Gruppen, mit und ohne Frauen.
Eben. Je oller, je doller. Trifft hier auch zu.
Ich sach ma so: es hatte den herben Ruhri-Charme, war aber keinesfalls übergriffig, unangenehm, platt-plump, einfach nur ein freundlich-nettes Gesprächsangebot mit einer winzigen Prise Geschlechterrollenspiel. Ich musste mein Messer nicht zücken, um die Ehre meiner Tochter zu verteidigen. Sie fand es nett und griff den Faden auf. Sie ist allerdings auch so erzogen worden, dass sie nicht sofort ohnmächtig wird, wenn sie jemand freundlich anspricht. Ein Ruhrgebietskind.
Du denkst immer sofort an Sex. Nein, besonders im Alter kann ein Flirtangriff ein Angebot für ein gehaltvolles Gespräch sein.
Wie bitte? Wer spricht von Sex? Fakt ist, Frauen im ähnlichen Alter sind Luft. Ich kenne mich aus!
ich hoffe dann doch “heiße Luft”
Kommt aufs selbe raus.
So bin ich aufgewachsen. Mein Urgroßvater hat unsere Kneipe ca. 1866 aufgemacht. 1986 wurde sie geschlossen!