Wir bedanken uns bei der Bundestagsabgeordneten Frau Dr. Irene Mihalic (Bündnis 90 / Die Grünen), die als zweite von vier angeschriebenen Abgeordneten unseren offenen Brief zum Ukrainekrieg beantwortet hat. Wir hoffen auf eine erkenntnisreiche Debatte und bitten auf personenbezogene Argumente (Ad-hominem-Argumente) zu verzichten.
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Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Niski, lieber Bernd,
vielen Dank für Ihren Brief.
Das Putins territorialer Eroberungsanspruch nach der Besetzung der Krim und den Auseinandersetzungen im Donbas noch weitaus kriegerische Ausmaße annehmen würde, wurde in den 2010ern von der damaligen Bundesregierung offensichtlich nicht vorhergesehen. Deutschland wollte eine andere Beziehung zu Russland. Lange setzte man auf wirtschaftlichen Austausch und auf das Prinzip Hoffnung. Aber Putins Politik, seine Aggression bedeutet nicht nur unendlich viel Leid in der Ukraine, sondern gefährdet auch Sicherheit und Frieden in ganz Europa. Daran besteht für uns als Regierungskoalition kein Zweifel.
Der Bundestag hat die Bundesregierung in verschiedensten Beschlüssen zur umfassenden Unterstützung der Ukraine aufgefordert – humanitär, finanziell, wirtschaftlich und militärisch. Dabei haben die regierungstragenden Fraktionen immer einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt. Daran halten wir fest, denn die Ukraine braucht weiterhin Unterstützung auf sämtlichen Ebenen. Solange der Kreml alle Verhandlungsbemühungen mit Bomben beantwortet und die Gewalt in den besetzten Gebieten für die Menschen nicht endet, müssen wir die Ukraine mit den Instrumenten und Ressourcen ausstatten, die sie braucht, um diesen Krieg zu gewinnen. Wenn Russland aufhören würde zu kämpfen, wäre der Krieg beendet, wenn die Ukraine aufhört zu kämpfen, wäre es das Ende der Ukraine.
Wir Grüne haben uns – solange ich denken kann – immer für Abrüstung, Demilitarisierung und eine deutliche Verringerung von Rüstungsgüterproduktion und -handel eingesetzt. Diese Ziele bleiben richtig und wir sollten sie nicht aus den Augen verlieren, auch wenn wir durch Putins Angriff auf ein souveränes Land in Europa gezwungen sind in unsere Verteidigung zu investieren. Denn derzeit scheint „Frieden schaffen ohne Waffen“ leider komplett unmöglich. Der Kreml setzt auf Aggression und darauf müssen wir uns in Europa einstellen und entsprechend reagieren. Es ist schlicht an der Zeit, mehr für unsere eigene Sicherheit zu tun – in der EU, in der NATO und in Deutschland. Auch wenn es schwerfällt, so müssen wir akzeptieren, dass die Stationierung amerikanischer Waffen eine notwendige Reaktion zu unserem Schutz ist gegen die Bedrohung, die von Russland ausgeht. Bei den geplanten US-Systemen handelt es sich im Übrigen um konventionelle Systeme. Hingegen rüstet Putin seit Jahren nuklear auf, hat den INF-Vertrag gebrochen und führt einen Angriffskrieg in Europa.
Selbstverständlich sind auch die Bemühungen um Verhandlungen ebenso wichtig. In diesem Zusammenhang muss ich Ihnen widersprechen, dass Verhandlungsansätze nur von Einzelpersonen kamen und kommen – wie Sie in Ihrem Brief schreiben. Wir können Ihnen versichern, dass die Bundesregierung, insbesondere unsere Außenministerin enorme Anstrengungen unternimmt, um endlich Verhandlungen herbeizuführen; endlich alle Beteiligten an einem Tisch zu bekommen – und zwar auf der Basis der Souveränität der Ukraine. Am 15. und 16.6.24 fand die jüngste Friedenskonferenz in der Schweiz statt, an der über 90 Staaten teilnahmen, Russland jedoch seine Teilnahme schon im Vorfeld abgesagt hatte.
Genau das ist das Problem. Putin lehnt Verhandlungen auf Augenhöhe ab. Er verbreitet seine „eigenen Wahrheiten” indem er den Angriffskrieg als „Militärische Sonderoperation“ bezeichnet, er erfindet einen Völkermord an der russischsprachigen Bevölkerung in der Ukraine und er scheut sich nicht, die demokratisch gewählten Vertreter*innen der ukrainischen Regierung als Nazis zu bezeichnen.
Sehr geehrte Damen und Herren, der russische Präsident Wladimir Putin hat schon vor Jahren mit Abrüstungsverträgen gebrochen. Er will Angst machen und spalten. Unsere Politik zielt darauf ab, die Ukraine so vollumfänglich wie möglich in ihrem Verteidigungskampf zu unterstützen und Deutschland und Europa vor Eskalation zu schützen. Hierfür müssen wir uns und die europäische demokratische Gemeinschaft stärken, auch indem wir uns mit Waffensystemen ausstatten, über die Russland seit Jahren verfügt.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Irene Mihalic
Mitglied des Deutschen Bundestages
Erste Parlamentarische Geschäftsführerin Fraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
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Antwort 1/4 von Markus Töns (SPD) auf den offenen Brief zum Russland-Ukraine Krieg
Antwort 3/4 von Dr. Marco Buschmann (FDP) auf den offenen Brief zum Russland-Ukraine Krieg
Offener Brief an die Gelsenkirchener Bundestagsabgeordneten zum Thema Russlandkrieg
Sehr geehrte Frau Dr. Mihalic,
ohne zu werten, wer der größere Massenmörder, Kriegsverbrecher, Psychopath war oder ist, ohne Zuschreibung, wer sich Verhandlungen entziehen wollte, wer nicht verhandlungsbereit war oder ist, eine kleine Aufzählung:
Adenauer verhandelte mit Chruschtschow / Bulganin.
Lê Đức Thọ (hat den Friedensnobelpreis abgelehnt) verhandelte mit Kissinger (hat den Friedensnobelpreis angenommen)
Kissinger / Nixon verhandelten mit Mao Tse-tung
Jimmi Carter verhandelte mit Begin/Sadat
Rabin/Clinton verhandelten mit König Hussein von Jordanien
Abbas verhandelte mit Scharon (Intifada)
usw. usw. usw. – wenn man will und wenn man fähige Diplomaten hat, kann man sich auch mit dem Teufel an einen Tisch setzen. Überlistet man den Teufel allerdings mehrmals, zieht ihn über den Tisch, haut ihn übers Ohr, wird er irgendwann sagen: dann eben anders.
Ein diplomatisches Kunststück ohne Gleichen ist natürlich, eine Partei (Ukraine) an den Verhandlungstisch zu bekommen, die per Dekret verboten hat, mit der anderen Partei (Russland) zu verhandeln, zumal die Unterstützer der Ukraine, sie vom Rande aus anfeuern, den Krieg bis zum Sieg fortzuführen.
Sie konkretisieren Ihr strategisches Ziel (Sieg der Ukraine) nicht, ich leite aus Aussagen Ihrer Außenministerin und anderen Grünen allerdings ab, dass “Sieg” für Sie bedeutet, die Russische Föderation zu zerschlagen, Putin zu stürzen, die Erstschlagfähigkeit zu nehmen.
Militärisch mag das eine innere Logik haben, politisch ist es schlicht Imperialismus.
Ich bin zu alt, um mich noch vor solchen Vabanquespielen zu fürchten, noch nicht alt genug, um nicht zu sagen, dass es der falsche Weg ist.
Sie schreiben, dass die Grünen sich immer für “Frieden schaffen ohne Waffen” eingesetzt hätten, was so nicht stimmt, wie ich aus meiner Zeit als aktives Mitglied der Grünen weiß. Es war bei den einen immer eine taktische Zeitgeistformel, bei den anderen Eskapismus in ein politideologisches Traumschlaraffenland, wo man sich ohne Verantwortung für sein Tun wohlfühlen konnte.
Insgesamt fällt es mir schwer, auf einzelne Punkte Ihrer Antwort einzugehen, da Sie differenzierte oder unterschiedliche Schlussfolgerungen mit dem Bann überziehen, dass man Putins Desinformationskampagne aufgesessen sei.
Das verhindert unterschiedliche Blickwinkel, unterschiedliche Lösungsansätze und klingt wie eine Durchhalteparole, obwohl längst schon alles durch die Finger rieselt.
Deshalb nur kurz und als Widerspruch:
Ich muss und werde nicht akzeptieren, dass die Stationierung von Tomahawk Raketen der Friedenssicherung dient.
Wettrüsten ohne Ausstiegsoption führt zur Vernichtung Deutschlands, Europas, möglicherweise der Welt.
Abrüstungsverträge wurden aufgehoben, gebrochen. Früher hätte die deutsche Politik alles daran gesetzt, neue Verträge aufzusetzen, neue Regeln auszuhandeln, heute gefällt sie sich in der Rolle des Handlungsunfähigen und glaubt an die Option “Tot rüsten”.
Ich hatte Herrn Töns schon geschrieben, dass mich beunruhigt, wie wenig öffentliche Debatte es zum Russland-Ukraine Krieg gibt. In Ihrem Ortsverband findet der Krieg nicht statt, jedenfalls nicht auf den öffentlich zugänglichen Seiten. Auf den Privat-Auftritten Ihrer lokalen Funktionäre ist der Krieg auch kein Thema. Meine Schlussfolgerung daraus: Man hält die Füße still aus Parteidisziplin, nicht weil man Ihre Position unterstützt.
Ich bedanke mich jedenfalls dafür, dass Sie auf unseren Brief reagiert haben und hoffe nach wie vor, dass es jenseits von Fensterreden, Meinungs-Erregungs-Haltungs-Polittalkshows, nach der Schockstarre, in der Gesellschaft zu einer neuen Bewertung unserer politischen Möglichkeiten kommt.
Mit freundlichen Grüßen
Heinz Niski
Sehr geehrte Frau Dr. Mihalic,
ich möchte Sie noch zu einem Aspekt befragen, der bisher nur am Rande mitschwingt. Ihre Regierungskoalition wirbt in der Bevölkerung für mehr Kriegstüchtigkeit Deutschlands mit dem Argument, dass Russland spätestens 2029 in Natoländer einmarschieren könnte oder wird.
Ich sehe unsere postheroische Gesellschaft auch bis 2029 weder militärisch, physisch noch mental tüchtig zum Krieg und frage mich, welches ethische Prinzip dahinter steckt, wenn man die Bürger eines fremden Landes für seine Sicherheit kämpfen und sterben lässt.
Es gab einen Namen dafür: Es sind Söldner. Heute nennt man sie Helden, die ihr Blut, ihr Leben für unsere Freiheit geben, wir im Gegenzug finanzieren den Krieg. Es hat da anscheinend einen Übergang von der Gesinnungsethik zur Verantwortungsethik gegeben, ohne es zu kommunizieren. Diese neue Ethik trägt Elemente des Rassismus, Zynismus in sich und wird zu meinem Erstaunen stillschweigend von den Medien, Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, Verbänden ohne Abwägung des Für & Wider getragen.
So wie es im Bundestag keine nennenswerte mir bekannte Beleuchtung dieser Aspekte gegeben hat, wird die Bevölkerung ihrerseits im Falle des Falles sicher sagen: Krieg? Ohne mich!
Aber kurz zu mir:
Ich bin anerkannter Kriegsdienstverweigerer und habe meinen Zivildienst abgeleistet, übrigens 3 Monate länger als die Wehrpflichtigen, weil man damals für sein Gewissen auch Nachteile in Kauf nehmen musste.
In meiner Jugend habe ich mich viel mit Alternativen zu militärischen Auseinandersetzungen beschäftigt, mit gewaltfreiem, zivilen Widerstand, Theodor Ebert, Gandhi, Huxley etc. und wundere mich deshalb, dass die Bundesregierung die Aspekte des Schutzes der Zivilbevölkerung völlig außen vor lässt.
Trotz meines Alters wäre ich gerne bereit, zivilen Widerstand gegen einen Einmarsch der Russen zu leisten und würde organisatorische, informatorische, helfende, heilende Aufgaben oder Partisanentätigkeiten übernehmen.
Ich könnte mich z. B. um organisatorische Abläufe in den Schutzräumen für die Bevölkerung kümmern. Gibt es Pläne, bis 2029 Bunker, bombensichere U-Bahnen zu bauen, welche bereitzustellen? Wie viele Atombombensichere Bunker wird es in 5 Jahren geben?
Ich könnte bei der Verteilung von Lebensmittelrationen, Wasser, Medikamenten, Jodtabletten helfen. Gibt es bis 2029 einen flächendeckenden Katastrophenschutz mit Ausgabestellen und Depots für die Zivilbevölkerung?
Plant die Regierung kleine, dezentrale Kraftwerke zur Energiesicherung, da unsere großen Kraftwerke das erste Ziel der Russen sein werden. Werden es Windräder und Solarkraftwerke sein oder mit fossiler Energie betriebene? Werden wir Transporte mit E-Autos durchführen, trotz des absehbaren Zusammenbruchs der Energieversorgung?
Ich bin bereit, allerdings fehlen mir Hinweise der Regierung, wo ich mich schon heute zur Ausbildung, zum Training für den Zivilschutz, den Partisanenkampf melden könnte, in welchen Listen ich mich eintragen lassen könnte.
Ich würde mich jedenfalls freuen, wenn meine Regierung statt “Waffen Waffen Waffen” Forderungen auch Vorsorge für den Schutz der Bevölkerung in den Blick nehmen würde, sofern das bei den taktischen und strategischen militärischen Plänen der Nato und der Russischen Föderation überhaupt erforderlich ist.
In früheren Planspielen wurde Deutschland ja militärisch geopfert, sollte den Vormarsch der Russen nur etwas verlangsamen, um dann atomar zerstört zu werden.
Sollte diese Strategie immer noch maßgeblich sein, verstehe ich die gewisse Unbefangenheit den Zivilschutz und zivilen Widerstand betreffend.
Mit freundlichen Grüßen
Heinz Niski