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125 ist (wäre) Bertolt Brecht vor vier Wochen in diesem Jahr geworden, geboren am 10.2.1898 als Eugen Berthold Friedrich Brecht in Augsburg. Und 1923, also vor hundert Jahren, hatte Brechts Stück BAAL Premiere in Leipzig. Geschrieben hat Brecht die erste Fassung, der weitere folgen sollten, bereits 1918. Das Stück ist ein Faustschlag in die intellektuelle Magengrube und in die Selbstgefälligkeit der bourgeoisen Schickeria und nicht zuletzt eine parodistische Abrechnung mit dem einen oder anderen Schwulst und Pathos des Expressionismus und unmittelbar mit dem Drama „Der Einsame“ (1917) von Hanns Johst über den Dichter Christian Dietrich Grabbe.
BAAL ist weit entfernt von den späteren Dramen Brechts, die ihn zu dem großen Theaterschriftsteller gemacht haben (Mutter Courage und ihre Kinder, Das Leben des Galileo Galilei u.a.), und erst recht von den „Lehrstücken“ (Die Ausnahme und die Regel, Die Maßnahme). BAAL ist völlig frei von der Hoffnung auf eine Veränderung der Gesellschaft, wie sie die späteren Dramen durchzieht, und auch von den Versatzstücken marxistischen Gedankenguts bis hin zum Lob der kommunistischen Agitation. Brecht hat in der DDR, um deren (kultur-)politischer Grundierung gefällig zu sein, das Frühwerk ein wenig „umgedeutet“ und auch zurückgenommen. So etwa dadurch, dass er den asozialen Baal als Produkt einer asozialen Gesellschaft „verkauft“ hat und auch einmal meinte, dem BAAL fehle es an „Weisheit“. Das sind dialektische Taschenspielertricks Brechts, um (sich und) sein Werk vor den sozialistischen Kultur-Apparatschiks der DDR in Schutz zu nehmen.
Brechts BAAL zeigt eine lose Szenenfolge, in denen der Menschen, besonders aber Frauen ver- und missbrauchende Lyriker Baal durch die Welt zieht, wie ein Tier lebt, hurt, frisst, säuft, sich prügelt und schließlich einsam stirbt – nur den Himmel über sich. Baal ist ein radikaler Glückssucher und Menschenverächter zugleich. Und er ist der Protagonist eines radikalen Nihilismus. Es gibt in diesem Drama keine Perspektive, wie sie Brecht später in seinen „großen“ Dramen verkünden wird, in denen gesellschaftliche Veränderungen Hoffnung bereithalten. Baals Lebensweg ist eine Fahrt ins Nichts – nur dem momentanen Genuss folgend. Ein Mann, der gefräßig alles verschlingt (feinstes Essen, Champagner, Menschen), was ihm vors Maul kommt oder die Natur, die er in seinen Gesängen ebenso feiert wie den Geschlechtsakt, ihm zu bieten hat: „Und die Liebe ist, wie wenn man seinen nackten Arm in kühlem Teichwasser schwimmen lässt, mit Tang zwischen den Fingern, wie die süße Qual, vor der der Baum trunken, klagend zu singen anhebt, auf dem der wilde Wind reitet, wie ein schlürfendes Ertrinken im Wein an einem heißen Tag, und ihr Leib rinnt einem wie sehr kühler Wein in alle Lücken und Falten (…).“ (Fassung 1918, Szene: Baals Dachkammer). Baal verachtet die bürgerliche Gesellschaft und ihr oberflächliches Interesse an Kultur (Szene „Soiree“), trägt seine obszönen, sexuell konnotierten Gesänge aber gerne in zwielichtigen Kneipen und Nacht-Cafés oder Hinterzimmer-Kabarett-Buden vor. Oder in seiner Dachkammer, in der zahlreiche Szenen spielen. Dort singt er Sophie Dechant vor: „Den Abendhimmel macht das Saufen/sehr dunkel, manchmal violett/dazu dein Leib im Hemd zum Raufen/in einem breiten, weißen Bett.“
Am Ende liegt er nicht mit einer Frau in einem weißen Bett, sondern allein in einer Bretterbude von Waldarbeitern in einem schmutzigen Bett. Er hat sein Leben gelebt – amoralisch, zynisch, lustvoll, bösartig, trunken, ohne Selbstbeschränkung. Was bleibt ist: die Natur, die Größe des Alls über ihm. Mit letzter Kraft schleppt sich der sterbende Baal aus dem Bett zur Türschwelle, schaut zum Himmel hoch, kriecht aus der Hütte und sagt: „Sterne…Hm.“

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Heinz Niski

Hmmm….Bahlsen.

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We.Mont.

Brecht hat sicher nicht den Ansprüchen genügt,die er in seinen späteren Werken beschreibt. Aber wohin der real existierende Kapitalismus führt, hat er glänzend analysiert.

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