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Glücklich ist, wer vergißt, was doch nicht zu ändern ist!
(Johann Strauss Sohn, Polka-Mazurka, op. 36)

Die Polka-Mazurka enthält Motive aus der Operette „Die Fledermaus“, nicht zuletzt das titelgebende Duett. Wahrscheinlich wurde die Polka Ende 1874 erstmals öffentlich aufgeführt, scheint aber im Titel eine Einsicht zu transportieren, die ganz gegenwärtig ist. Jedenfalls in Bezug auf die Politik in Gelsenkirchen, speziell die der GRÜNEN. Aktuell kann man das festmachen an der Auseinandersetzung um den „Masterplan Mobilität“. Das Verhalten der SPD und CDU im Kontext der Veröffentlichung des Plans durch die Verwaltung nennt Gordon Wüllner-Adomako in der WAZ in einem Kommentar treffend eine „demokratisch zweifelhafte Dreistigkeit und unkollegiale Zumutung“. Die Kritik der GRÜNEN an den Koalitionären von CDU und SPD ist insofern auch zutreffend. Allerdings müsste sie etwas dezenter vorgetragen werden, als es die GRÜNE lautsprecherisch tun. Etwa auf ihrer Webseite, wo es zu der Debatte um den „Masterplan“ u.a. heißt: „Das Klimakonzept und auch der Masterplan Mobilität machen deutlich, wie wichtig die Verkehrswende zum Erreichen der Klimaziele ist. Maßnahmen zur Infrastruktur, die den Radverkehr stärken und den Umstieg vom PKW erleichtern, liegen dabei im direkten Einflussbereich der Stadt und haben gleichzeitig eine hohe Wirkung. Deswegen müssten gerade diese priorisiert werden.“
Bei diesen schönen Ausführungen und der (berechtigten)Kritik an der Politik der CDU und SPD im Rat der Stadt, vor allem was die Alternativen zum Autoverkehr angeht, vergessen die GRÜNEN ganz gerne, dass sie vor noch nicht sehr langer Zeit gemeinsam mit der GroKO einen Bürgerantrag abgelehnt haben, der genau die Aspekte, deren Fehlen die GRÜNEN jetzt kritisieren, zum Gegenstand hatte – bezogen auf einen Kernbereich der Innenstadt. In einer kompakten Kurzform des Antrags hieß es z.B.: „Die Innenstadt von Gelsenkirchen wird im Geviert Florastraße bis zur Kreuzung mit der Ringstraße, Ringstraße bis zur Hiberniastraße, Hiberniastraße bis Husemannstraße und Husemannstraße bis Florastraße für Fußgänger, Radfahrer und andere nicht motorisierte Verkehrsteilnehmer aufgewertet. Die Aufenthaltsqualität soll angehoben werden. Dies geschieht in einem ersten Schritt durch ein Einfahrverbot für den (privaten) Autoverkehr in dieses Quartier. Ausgenommen von dieser Sperrung sollen u.a. sein:Anlieferungen zu bestimmten Zeiten und Krankenfahrten sowie die Zufahrt für Anlieger und Linienverkehr, Einsatzfahrzeuge u.ä.
Bei der damaligen Debatte haben die GRÜNEN nicht nur den Antrag als solchen pauschal abgelehnt, sondern noch nicht einmal vorgeschlagen, einzelne Teile aus dem Antrag zum Gegenstand einer intensiven Beratung im Ausschuss zu machen, also auf die Tagesordnung einer Sitzung zu setzen. Vielmehr haben sie auf ihrer Webseite versucht, ihre Ablehnung des Bürgerantrags verschwurbelt als Zustimmung zu verkaufen. Es heißt dort: „Wir begrüßen es, dass die Stadtverwaltung die Idee des Bürgerantrags aufgreifen und im Rahmen des Masterplans Mobilität ein Konzept zur Neuregelung des Innenstadtverkehrs erstellen will. Daher werden wir dem Beschlussvorschlag der Verwaltung zustimmen.“ Klingt gut, bedeutet aber Ablehnung des Antrags, denn der Beschlussvorschlag der Verwaltung lautete: Ablehnung des Bürgerantrags! Und das haben die GRÜNEN auch getan!

Aber es kann ja schon mal vorkommen, dass sich in der hitzigen Debatte des politischen Tagesgeschäfts Erinnerungslücken auftun, was das eigene (Abstimmungs-)Verhalten angeht. Zum Problem wird das nur, wenn solche Lücken häufiger auftreten. So ist es z.B. im Zusammenhang mit dem Thema „Jugendbanden“, Jugendkriminalität und aggressives Auftreten von Jugendlichen am Heinrich-König-Platz. Zunächst wurden von Seiten der GRÜNEN die ersten Beschwerden aus der Bürgerschaft und von ortsansässigen Kaufleuten nicht ernst genommen, sondern es wurde abgewiegelt, indem man alle wohlfeilen Erzählungen aufbot, die uns zeigen sollten, wie schwer es doch Jugendliche heutzutage und besonders unter Corona-Bedingungen hätten. Gipfelpunkt war eine  Stellungnahme aus dem Kreis der GRÜNEN Funktionsträger, die indirekt unterstellte, einer der Beschwerdeführer, ein Kaufmann am HKP, würde die Probleme aufbauschen, um die Ladenmiete zu drücken.

Inzwischen hat die Polizei, laut WAZ, rund 50 Teenager im Blick, die für Raubüberfälle, Schlägereien und diverse Angriffe in BUER und GE-City verantwortlich sind. Selbst im Landtag NRW, wo bekanntlich seit der letzten Wahl eine GRÜNE Landtagsabgeordnete aus GE sitzt, wurde die Lage in Gelsenkirchen thematisiert. Hier vor Ort blieben die GRÜNEN insgesamt aber eher kleinlaut, eine aktuelle Stellungnahme ist – zumindest bis heute – auf der Webseite nicht zu finden. Da schweigt des Sängers Höflichkeit.
Aber gut! Die beiden genannten Beispiele sind vielleicht Lappalien, unwichtige Politikpetitessen in einer unbedeutenden Stadt mit einem unbedeutenden Rat, in dem unbedeutende Stadtverordnete mit Meinungen sitzen, die unbedeutend sind. Aber es gibt in diesen Tagen auch wirklich wichtige Themen – z.B. das Thema Krieg und Frieden, Waffen, Waffenexporte. Das Thema ist von einem anderen Kaliber, um das mal so zu sagen. Und da haben wir an anderer Stelle in diesem Magazin schon daran erinnert, dass die GRÜNEN in Gelsenkirchen, ganz anders als die GRÜNEN jetzt, mal gegen Waffenlieferungen waren und das auch auf ihrer Webseite laut und deutlich verkündet haben. Nämlich am 21.März 2018:
GRÜNE fordern sofortigen Stopp von Rüstungsexporten
(Quelle: GRUENEGE.DE)

Nun ist es natürlich durchaus legitim, seine Meinung zu ändern. Das steht auch einer Partei zu. Aber wenn man eine 180 Grad -Wende vollzieht, könnte man auf die Idee kommen, sie zu begründen, vor allem wenn man sich nun besonders laut für Waffenlieferungen aller Art ausspricht.

Könnte man, muss man aber nicht!

Aber vielleicht haben die GRÜNEN, ganz im Sinne der Operettenweisheit, auch nur vergessen, dass da mal was war. Nämlich eine ganz andere Position!
Wie gesagt: Vergessen kann man natürlich im Laufe der Zeit schon mal was!
Und dann lebt es sich vielleicht auch glücklicher!

*hollow (Adj.): hohl, leer, dumpf, bedeutungslos

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Heinz Niski

Ich meine mich erinnern zu können, dass der Bürgerantrag der Verwaltung nicht weitgehend genug war, dass sie viel radikalere, einschneidendere Änderungen wollten. Also Revolution, statt Evolution.
In der mündlichen Begründung der Grünen zur Ablehnung des Antrages schwang auch so etwas subtil mit. Wir sind dafür, aber die Verwaltung will noch eins drauf setzen und es noch besser machen, weshalb wir den Antrag ablehnen. Da war der Vertreter des allgemeinen Deutschen Fahrradclubs weiser. Er begründete sein Schweigen zum Antrag damit, dass der doch eh keine Chance hatte, ernsthaft diskutiert zu werden oder in den Masterplan aufgenommen zu werden.

Die Stadt als Linie wird kommen. In GE!

https://www.philomag.de/artikel/die-stadt-als-linie

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