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Falls Sie es noch nicht wissen sollten: „Bunter Haufen“ ist die Selbstbezeichnung, die die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Stadtverwaltung sich quasi selbst gegeben haben – im September 2020. Auf der Seite der Stadt zum „bunten Haufen“ heißt es u.a.: „Über eine interne Befragung waren die rund 6.400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadt an der Findung des Mottos beteiligt. Sie wurden aufgerufen zu skizzieren, was die Arbeit bei der Stadt für sie bedeutet und warum sie sich für die Stadt als Arbeitgeberin entschieden haben. ‚Bunt‘, ‚vielfältig‘, ‚abwechslungsreich‘, ‚sinnhaft‘ und ‚sicher’ waren die häufigsten Nennungen – und so war das Motto der Kampagne schnell gefunden.“***
Über die starke Rückmeldung des städtischen Personals freute sich (laut städtischer Webseite) auch Karin Welge, die damalige Personaldezernentin und heutige Oberbürgermeisterin der Stadt. Und freut sich wohl immer noch über diese Bezeichnung! Dass unter den „häufigsten Nennungen“ Begrifflichkeiten wie „Servicequalität“, „Bürgerorientierung“, „rasche und effiziente Erledigung von Bürgeranliegen“ oder „hohe sachliche und fachliche Standards“ nicht auftauchen, mag der eine oder andere Nörgler schmerzlich vermissen, muss sich aber dadurch trösten lassen, dass die Attribute „bunt“ und „vielfältig“ heutzutage auch in anderen Bereichen, z.B. im Bundestag,  schon als „Qualitätsmerkmale“ zu gelten haben und sozusagen als Ausweis gedeihlichen Lebens in der Stadt verstanden werden müssen.
Viel Freude macht der „bunte Haufen“ auch häufig dem Stadtvolk, sei es im Zusammenhang mit Kitaplätzen und Familienarbeit oder dem schlaglochbewehrten Zustand von Straßen, den Ampelschaltungen, der Park- und Verkehrssituation überhaupt, dem Müll auf den Straßen und Plätzen und anderen City-Highlights. Das Bewusstsein davon, dass hinter all dem ein „bunter Haufen“ steht, lässt Unbill und Ärger schnell verschwinden, so dass Dankbarkeit gegenüber der Verwaltung und besonders der Verwaltungsspitze sich immer wieder Bahn bricht.
Teile der Stadtverwaltung zeigen gelegentlich, was für eine Verwaltung andernorts überhaupt nicht als selbstverständlich gesehen werden kann, Züge von skurrilem Humor. Besonders das Kulturamt (pardon! das „Referat Kultur“) lässt offensichtlich gerne mal aufblitzen, dass auch ein gewisser Witz zur Farbpalette des „bunten Haufens“ gehört.

So hat der Schreiber dieser Zeilen jüngst gleich drei unterschiedliche Schreiben in ein und derselben Angelegenheit von der Kulturverwaltung bekommen – und das in einem Zeitraum von kaum mehr als einer Stunde. Hier kurz der Sachverhalt: Das Referat Kultur hatte ein dreimonatiges Stipendium als „writer in residence“ (andernorts „Stadtschreiber“ genannt) ausgeschrieben, zu verbringen in einer Wohnung der Bochumer Straße. Auftrag: das „Kreativquartier“ in Texten zu beschreiben und diese vorzutragen. Ich selbst (über)erfüllte alle Kriterien für den Wettbewerb bis auf eines: ich überschritt die willkürlich gezogene Altersgrenze (40) für den Wettbewerb beträchtlich (70). So ganz verwundert war ich deshalb nicht, als ich mitgeteilt bekam, dass die Jury nicht mich als Stipendiaten ausgewählt hatte. Verkündet wurde mir das in einer freundlichen Mail:

Erstes Schreiben
Am 15.4.22 Do 13.33 Uhr

„Sehr geehrter Herr Matzkowski,
wir bedanken uns, auch im Namen der Oberbürgermeisterin, ganz herzlich für Ihre Bewerbungsunterlagen und Ihr Interesse an unserem writer-in-residence Stipendium in Gelsenkirchen.
Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass die Jury sich für eine/n andere/n Autorin/Autoren entschieden hat.
Wir wünschen Ihnen alles Gute und weiterhin frohes Schaffen.
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag

Verena Hanhardt

Stadt Gelsenkirchen
Die Oberbürgermeisterin
Referat Kultur“

Nun gut: Immerhin war mir der „ganz herzliche“ Dank der Oberbürgermeisterin für mein Bemühen ausgesprochen worden. Und dass Teile des „bunten Haufens“ mir angesichts meines Lebensalters auch noch „weiterhin frohes Schaffen“ wünschten, war mir ein Herzensglück. Ich war noch voller Freude über diese freundlichen Worte, als mich eine zweite Mail erreichte. Keine ganze Stunde später:

„Rückruf: writer in residence
Von Hanhardt Verena

Datum 15.4.22 Do 14:23

Hanhardt Verena möchte die Nachricht „writer in residence“ zurückrufen.“

Mehr nicht! Keine Begründung, keine Erläuterung, kein warmes Wort und vor allem: Kein Dank der Oberbürgermeisterin! Der Satz „ Karin, Karin- warum hast du mich verlassen?“ blitzte kurz in mir auf. Aber wirklich übel nahm ich den Bunthäuflingen, dass ihnen mein weiteres Schaffen, auch in durchaus frohem Zustand, nun offensichtlich völlig egal war! Das fand ich allerdings unhöflich, bestürzend, nahezu als ein Ausdruck der Verachtung! Doch bevor der Zorn in mir richtig aufwallen konnte, flatterte, zwanzig Minuten nach dem zweiten Schreiben, die dritte Mail in meinen elektronischen Briefkasten:

Drittes Schreiben 15.4.22 Do 14.43 Uhr

„Sehr geehrter Herr Matzkowski,
wir bedanken uns ganz herzlich für Ihre Bewerbungsunterlagen und Ihr Interesse an unserem writer-in-residence Stipendium in Gelsenkirchen.
Die Jury hat alle Unterlagen sorgfältig gesichtet. Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass die Jury sich für einen anderen Autoren entschieden hat.
Wir würden uns über Ihr weiteres Interesse an einem Stipendienaufenthalt in Gelsenkirchen sehr freuen. Voraussichtlich wird im November 2022 die nächste Ausschreibung erfolgen.
Ich wünsche Ihnen alles Gute.
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag

Verena Hanhardt

Stadt Gelsenkirchen“

Sehen wir einmal darüber hinweg, dass mir in der ersten Mail der Dank der Oberbürgermeisterin ausgesprochen wird und dieser Dank in der dritten Mail fehlt (was mich sehr betrübt), erweckt die dritte Mail den Eindruck, es gäbe bei der nächsten Ausschreibung keine Altersobergrenze für eine Bewerbung, denn ich werde ja aufgefordert, an einer kommenden Ausschreibung im November 2022 teilzunehmen. Zudem wird in der ersten Mail noch neben die männliche Form „Autor“ die weibliche Form „Autorin“ gestellt, wogegen in der dritten Mail nur noch von einem „Autoren“ als Stipendiat gesprochen wird.

Im dritten Schreiben wird festgestellt, dass „die Jury (…) alle Unterlagen sorgfältig gesichtet“ hat. Nun, das setze ich einmal als selbstverständlich voraus, so dass es eigentlich nicht betont werden muss. Genau deshalb frage ich mich und „den bunten Haufen“:
Hat die Jury auch meine Unterlagen gründlich geprüft hat? Anders: Hat die Jury mich wegen des Alterskriteriums von vornherein von dem Wettbewerb ausgeschlossen oder mich doch in den Wettbewerb aufgenommen, also auch meine Unterlagen „gründlich geprüft“?
Aber ganz unabhängig von diesen Fragen: Die drei Mails, innerhalb etwas mehr als einer Stunde verschickt, also drei schriftliche Bürgerkontakte in etwas über 60 Minuten, zeigen überdeutlich die Leistungskraft und die Einsatzbereitschaft des „bunten Haufens“ und sind ein Beleg dafür, dass die Verwaltung sozusagen „proaktiv“ (wie man heute sagt) die Nähe zum Bürger sucht.
Und das ist eine gute Nachricht! Ja mehr: Eine frohe Botschaft!
Zu ergänzen ist, dass die Oberbürgermeisterin mir heute in einer vierten Mail (als Antwort auf ein Schreiben meinerseits) hat mitteilen lassen, dass der „bunte Haufen“ der Angelegenheit nachgehen wolle. Und das stimmt doch positiv, oder?

Fortsetzung folgt (vielleicht!)

Quelle:*** https://www.gelsenkirchen.de/de/_meta/aktuelles/artikel/46841-wir-sind-ein-bunter-haufen

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Heinz Niski

Ich vermute, dass die Ausschreibung wiederholt werden muss, weil nicht stringent gegendert wurde. Ich wüsste auch schon, wie du deine Chancen vergrößern könntest. Du solltest die Minderheitenkarte ziehen, Rentner….. mehr verrate ich erst einmal nicht.

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Di.Niew.

Du bist ja ohnehin ganz nah am Ort des Geschehens. Schreib doch einfach auch und bring das immer wieder Samstags bei uns zum Vortrage. Für die Beschallungsanlage und die Verköstigung sorge ich.
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Ro.Bien.

Vor grauer Vorzeit veranlasste ich dazu bei der am längsten und tapfersten Kämpferin Hanne Schweitzer gegen Altersdiskriminierung folgenden Artikel – der im bunten Haufen wahrscheinlich intern – aber wohl kaum extern zur Kenntnis genommen wurde. Allein für den Titel, mit Möglichkeit zum Verteilen, hat sichs schon gelohnt.
Wird Zeit, eine Talentschmeide fürs Altern aufzubauen – jedenfalls mit denen, die noch können. Am besten in der Kaue. 

https://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=12566

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Ro.Bien.

Man sollte Frau Schweitzer vielleicht nochmal drauf hinweisen, dass die Stadt so weitermacht. Oder jemand hat Lust das ganze kommunale Altersbashing an die regierende Altersdiskriminierungsstelle zuschicken…von denen hört man ja sonst so nix…ich hab gerad keine Lust, das zu machencomment image.

https://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/ueber-diskriminierung/diskriminierungsmerkmale/alter/alter-node.html

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So.Jo.Tien.

Im Benchmark-Vergleich mit anderen Städten verliert Gelsenkirchen. In Bonn z.B. ist das Mindestalter 18 Jahre. Auch die Beschränkung auf eine Kandidatin, die ihren Wohnsitz in Deutschland hat, ist diskriminierend – und findet in Bonn und andernorts nicht statt.
In Gelsenkirchen wäre eine „Stadtschreiberin Ruhr“ Gila Lustiger, die seit dreißig Jahren in Paris lebt, oder eine Metropolenschreiberin Raphaela Edelbauer 2021/22 der Brost-Stiftung in Mülheim/Ruhr, die in Wien lebt, nicht möglich.
Mir scheint, Gelsenkirchen, möchte mit seinen Alters- und Wohnsitz-Diskriminierungen nur deutlich machen, dass Diskriminierungen geopolitisch immer noch provinziell verortet sind, und dass das, zumindest für Gelsenkirchen stimmig ist, und auch so bleiben soll.
Angesichts dieser beiden Diskriminierungen erscheint es mir angemessen, dass bei wikipedia Gelsenkirchen nicht als eine der vielen Stadtschreiber-Städte unter „Stadtschreiber_(Literaturpreis)“ aufgeführt wird. Dagegen sehr wohl Bonn, Halle, Hausach, Otterndorf, Ranis oder Unna etc. . Als Höchststrafe dürfte insofern zu vermerken sein, dass eine Stadtschreiber-Stelle in wiki unter „Gelsenkirchen“ nicht erwähnt wird.
Um Stadtschreiber-Ruhr Lucas Vogelsangs (2019) Zitat aus Schalke aufzunehmen – „Vor ein paar Wochen, so erzählt es einer der Männer, haben die Kinder der Rumänen hier Steine geschmissen. Seitdem haben sie Hausverbot bei Teutonia. Die Rumänen, sagt er, machen vieles kaputt.“ – auch andere können Vieles in Richtung einer hoffnungsvollen Zukunft kaputt machen. Zum Beispiel, weil sie sich bezüglich des Alters nicht an das Anti-Diskriminierungsgesetz halten. Sachlich bezieht sich das Gesetz nach § 2 Abs. 1 AGG auf die Bedingungen für den Zugang zu Erwerbstätigkeit sowie für den beruflichen Aufstieg, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen.
Die europarechtswidrige Aufenthaltsbestimmung setzt dem Alters-Verstoß die Krone auf. Dass der Sponsor Gelsenwasser-Stiftung bei so einer Ausrichtung mitmacht, obwohl der Konzern sich doch eigentlich aus den Fesseln der traditionellen örtlichen Geschäftsbindung befreit hat, in dem er von überörtlichen Versorgern übernommen wurde, überrascht hingegen. Eine Europa unfreundliche, um nicht sogar zu sagen feindliche Grundhaltung steht einem Konzern jedenfalls dann nicht gut zu Gesicht, wenn sich das Geschäftsfeld im Bereich Energie über den Tellerrand von Gelsenkirchen hinaus zukünftig in Richtung Europa expansiv freundlich entwickeln soll. Vor allem in Bezug auf Bewerbungen aus deutschsprachigen europäischen Länder sollten die Grenzen in den Köpfen der Entscheider sich wirklich nicht von einer Seite zeigen, die so verstaubt daherkommt, als hätte man sie aus der historischen Mottenkiste hervorgeholt.

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[…] Skurrile Schriftstücke vom „bunten Haufen“ […]

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