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Anmerkungen zu einem Interview mit Ursula von der Leyen

Einleitung

Einige Tage nach dem EU-Gipfel und seinen Billionen-Beschlüssen gewährte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen der WAZ (Funke-Mediengruppe, WAZ v. 25.7.2020, Das erste Jahr war wirklich hart) ein Interview. Vor rund einem Jahr ist U. von der Leyen nach der „Europa-Wahl“, in der sie keine Rolle spielte,  von Merkel aus dem Hut (oder einer Sakko-Tasche) gezaubert und in einem Deal mit Frankreichs Macron zur Kommissionspräsidentin gemacht worden. Das Nachsehen hatte CSU-Mann Manfred Weber. Macron konnte seinerseits Christine Lagarde auf den Vorstandsposten der EZB setzen. Zwei, die aus unterschiedlichen Gründen für ihren Chef bzw. ihre Chefin zur Belastung hätten werden können, wurden so erfolgreich wegbefördert. Von der Leyen, auch als Flinten-Uschi bekannt, hatte fünf Jahre Zeit gehabt, der Bundeswehr zu schaden, was ihr mit Erfolg gelungen war und sie offensichtlich prädestinierte, Vorsitzende der Kommission zu werden.

Mittlerweile konnte sie unter Beweis stellen, dass sie die richtige Frau auf diesem Posten ist, denn sie zeigt, was nötig ist, um dieses Job ausfüllen zu können: Die Fähigkeit, skrupellos das Geld anderer Leute auszugeben, sich neue Steuern auszudenken  und von EUROPA zu brabbeln.

So taucht im Interview mit der WAZ über die Billionenprogramme der Europäischen Union (EU) natürlich auch bei von der Leyen  – wie generell von politischer Seite  und in besonderer Weise von staatstragenden und regierungsfreundlichen Medien – der Hinweis von der  Bedeutung der  getroffenen Entscheidungen für Europas Zukunft und Zusammenhalt auf. Anders: Natürlich erzählt uns auch die Kommissionspräsidentin das Märchen von Europa und der märchenhaften EU: „In einigen Jahren wird man sehen: Wir Europäer haben gemeinsam in diesen Tagen Historisches geleistet.“

Kleiner geht es nicht: Etwas Historisches wurde geleistet, darunter tut es Frau von der Leyen schon nicht mehr. Historisches, also in etwa so etwas wie der Frieden von Münster/Osnabrück, der den 30jährigen Krieg auf dem Kontinent beendete (1618-1648). Oder so etwas wie die „Reichsgründung“ 1871 oder die Verabschiedung des  Grundgesetzes der Bundesrepublik?

Wenn an diesem Gipfel etwas historisch war, dann die Unverfrorenheit, mit der  die Ausgabe von Milliarden und Abermilliarden in einer Zeitleiste bis 2058 (!)  beschlossen wurde, also zu Lasten zukünftiger Generationen, die diese Schulden abtragen müssen, und dies, ohne genau zu klären, wofür das Geld einzusetzen ist und wer die Vergabe und sachgemäße Verwendung kontrolliert. Fest steht nur, dass die Bundesrepublik den größten Teil der Lasten schultern muss!

Lassen wir also einfach mal den  politisch-propagandistischen Pulverdampf sich verflüchtigen, lüften wir doch einfach mal die Bettdecke, öffnen die Fenster  und lassen den miefig-muffig-säuerlichen Geruch abziehen, der sich seit Jahren in Brüssel angesammelt hat. Verstricken wir uns zunächst einmal nicht in die Frage, wer nun in den letzten Brüsseler Tagen mehr oder weniger als Sieger oder Verlierer vom politischen Feld gegangen ist. Die Antwort auf diese Frage ergibt sich nahezu von alleine, wenn man sich einigen grundsätzlichen Aspekten zuwendet.

Also – auf nach Europa:

EU oder Europa?

Die staatstragenden Parteien und ihre medialen Helfer haben es seit Jahren geschafft, uns ein Märchen von Europa zu erzählen (ich vermeide die Begriffe Narrativ und Framing). Der Kern dieses Märchens besteht darin,  uns vorzugaukeln, die EU sei Europa. Das ist aber bereits eine ideologisch verfertigte Unwahrheit, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Und zugleich ist es eine Anmaßung, eine Selbstüberschätzung, eine Hybris, wenn von der Leyen von den „Europäern“ spricht, aber über den Brüsseler Club redet!

Europa und seine Staaten sind nicht identisch mit der EU. Nach dem Austritt Englands, bis dahin zweitgrößter Netto-Zahler der EU nach Deutschland und von außerordentlich großer volkswirtschaftlicher Bedeutung,  besteht die EU noch aus 27 Mitgliedsstaaten. Europa ist aber größer! Es gibt nicht nur eine Reihe von Kandidaten, die der EU beitreten wollen (Albanien, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien und die Türkei), sondern eine ganze Reihe von Staaten (16, wenn man die Vatikanstadt mitzählt), die unzweifelhaft zu Europa, aber nicht zur EU gehören (wollen) – von Andorra über Georgien und Norwegen bis zu Weißrussland und der Schweiz. Für all diese Länder und ihre Völker spricht Frau von der Leyen überhaupt nicht, wenn sie von „Europa“ redet!

Zudem sollte man sich vor Augen halten, dass auch die EU selbst nicht einheitlich (verfasst)  ist: Nur in 19 Ländern ist der EURO die Währung, jedes der 27 EU- Länder hat ein eigenes Rechtssystem, ein nach eigenen Regeln zu wählendes Parlament, eigene staatliche Strukturen, eine eigene Geschichte und Kultur, durchaus auch eigene Mentalitäten der Bürgerinnen und Bürger, eigene Traditionen, eine eigene Geistesgeschichte und Sprache oder Sprachvariante mit einem gemeinsamen Kern (etwa wie die Staaten des ehemaligen Jugoslawien das Serbo-Kroatische). Die Lautsprecher in Brüssel wollen aber immer wieder den Eindruck erwecken, sie sprächen für EUROPA, also jenen Teil der Welt, der rund 750  Millionen Einwohner und gut 50 Staaten umfasst.

Besonders der Brexit hat deutlich gemacht, dass dieser Anspruch nichts anderes ist als eine den Verstand beleidigende Zumutung sich selbst überschätzender Politiker und Bürokraten, die es – das kommt strafverschärfend hinzu – während der Corona-Phase noch nicht einmal geschafft haben, ein einheitliches Handeln der Gruppe der 27 zu organisieren.

Während der Verhandlungen in Brüssel und nach den Beschlüssen wurden die  sog. „Sparsamen Fünf“  (mit den Niederlanden und Österreich an der Spitze) kritisiert, ebenso die ungarische und auch die polnische Regierung, die den wunderbaren Merkel-Macron-Plan torpediert hätten.

Die Regierungschefs dieser Staaten (man mag zu ihnen jeweils stehen, wie man will) haben aber nichts anderes gemacht, als die Interessen ihres Landes und der Bürger, denen sie verpflichtet sind, zu vertreten und einen höchstmöglichen Nutzen ihrer Länder zu verfolgen. Das haben andere Länder übrigens auch getan, so etwa Frankreich, Griechenland, Portugal, Italien und Spanien, die unmittelbar von den geplanten Zahlungen profitiert hätten. Und selbst Deutschland hat seine Interessen verfolgt – diese haben allerdings nichts mit hehren europäischen Idealen zu tun, sondern mit merkantilen Interessen. Das gibt Frau von der Leyen auch unumwunden zu, wenn die Journalisten der WAZ darauf hinweisen, dass Deutschland für rund 100 Milliarden Zuschüsse an die EU geradestehen muss  und zudem der jährliche Zahlungsbetrag an den EU-Haushalt um 10 Milliarden Euro auf mittlerweile 40 Milliarden Euro steigt. Von der Leyen: „Wenn es ein Land gibt, das genau weiß, wie viel Nutzen es aus dem Binnenmarkt zieht, dann ist es Deutschland.(…) Die außergewöhnliche Stärke Deutschlands ist bewundernswert, aber sie basiert auch auf einem funktionierenden europäischen Binnenmarkt.“ Letztlich, so von der Leyen, machten sich die Beiträge Deutschlands „doppelt und dreifach bezahlt“.

Dass diese „Beiträge“ nicht vom Staatsgebilde „Deutschland“ aufgebracht werden müssen, sondern von seinen Steuerzahlern, scheint keine Rolle zu spielen. Geld, das man nicht hat, auszugeben, ist für den Normalbürger, problematisch – für die Kommissionspräsidentin ist es aber selbstverständlich, das Geld anderer Leute auszugeben, die man noch nicht einmal nach ihrer Meinung gefragt hat und die man dann gerne (zur Belohnung?) auch mit neuen Steuern belegt  – Digitalsteuer, Plastiksteuer, CO2-Steuer – und dies einmal ganz unabhängig von der rechtlichen Frage, ob eine Erhebung von Steuern durch die EU selbst noch vertragskonform zu nennen ist!

EU – ein aufgeblasenes Null-Parlament

Die Entscheidungen in Brüssel haben noch einmal deutlich gemacht, dass die EU letztlich eine undemokratische Veranstaltung ist, in der die Macht bei der EU-Kommission bzw. dem Rat der Regierungschefs liegt. Die Wahlen zum EU-Parlament sollen den Eindruck erwecken, die Bürgerinnen und Bürger der EU könnten auf Entscheidungen durch die Wahlen zum EU-Parlament direkt Einfluss nehmen. Dem ist aber nicht so! Wesentliche Rechte, die ein Parlament hat, fehlen dem EU-Parlament, das in den meisten Fällen nur im Kombi-Pack seine sowieso eingeschränkten Rechte wahrnehmen kann. Die Gesetzgebungsfunktion, ein wesentliches Merkmal eines Parlaments, ist zwischen Parlament und Rat aufgeteilt. Das Parlament selbst hat noch nicht einmal ein Initiativrecht, es darf aber Legislativvorschläge der Kommission annehmen. Das Haushaltsrecht, ebenfalls ein originäres Recht eines demokratischen Parlaments, teilt sich das EU-Parlament mit dem Ministerrat.

Das alles vor dem Hintergrund  eines Parlamentes, das im Moment 765 Abgeordnete (!) statt der im EU-Vertrag (Art. 14/2) vorgesehenen 751 Abgeordneten umfasst, 23 Ausschüsse aufweist, in 7 Fraktionen  und insgesamt 44 Delegationen aufgeteilt ist.

Die eingeschränkte Macht des Parlaments ist letztlich Ausdruck einer völlig ungelösten übergeordneten Frage, nämlich der nach der grundsätzlichen  Konstruktion der EU, also ihrer Verfasstheit als supra-nationales Gebilde und dem Verhältnis der EU-Rechte zu den Rechten der 27 Mitgliedsstaaten und der Frage, wer darüber bestimmt, welche nationalen Rechte zugunsten der EU aufgegeben werden sollen oder dürfen (siehe hierzu die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum Lissabon-Vertrag).

Festzustellen ist allerdings der sich mehr oder weniger schleichend vollziehende Prozess, in dem sich die EU und ihre Institutionen immer mehr Rechte anmaßen wollen (siehe etwa hierzu den Streit zwischen dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof, wobei schon im Namen wiederum eine Anmaßung besteht, so als spräche dieser Gerichtshof Recht für ganz Europa!)

Schlussbetrachtung

Am Anfang von Europa steht bekanntlich ein wunderbarer und wundersamer  (Gründungs-) Mythos, nämlich der der Entführung von Europa, der Tochter des phönizischen Königs Agenor, durch Zeus nach Kreta und somit eine doppelte Vereinigung: die einer Menschenfrau mit einem Göttermann und zugleich die Vorder-Asiens und Europas, denn Phönizien ist auf einem Streifen der Mittelmeerküste der heutigen Staaten Libanon, Israel und Syrien zu verorten. Zugleich sehen wir auf Europa und seine doppelte Geschichte: einmal als eine Geschichte schlimmster Verwüstungen und Kriege (vom 30jährigen Krieg als erster großen Erschütterung des gesamten Kontinents bis zum 1. und 2. Weltkrieg sowie dem Holocaust), sogleich aber auch als eine Geschichte des Geistes und der Kultur (Malerei, Musik, Bildhauerei, Baukunst, Literatur, Philosophie), die sich, europäische  Landesgrenzen überschreitend,  entwickelte. Diese doppelten Wurzeln Europas spielen in der EU kaum noch eine Rolle: die Rolle der EU, hier ist Frau von der Leyen ganz offenherzig, ist die der Sicherung eines möglichst effektiv funktionierenden Binnenmarktes. Die Europäische Union ist auf diesem Wege ein Konstrukt geworden, das den Bezug zu den Gründungsideen so gut wie verloren hat, nämlich ein Europa der Vaterländer zu sein (also einer Einheit in Vielfalt), oder, wie es Michel Debré 1959  in der Nationalversammlung Frankreichs formulierte, ein Europa der Vaterländer und der Freiheit ( „l’Europe des patries et de la liberté“).

Die „Partei“ des gegenwärtigen französischen Präsidenten Macron nennt sich „La République en Marche !“ Macron steht heute mit Merkel an der Spitze derjenigen in der EU, die einen Marsch, eine Bewegung anführen, die aus der Idee Europas den Weg in die „Schuldenunion EU“  gemacht haben!

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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MaRu

Und jetzt? Sollen wir die Bude auflösen?

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MaRu

Das bürokratische Monstrum das da im Hintergrund von selber enstanden ist ohne das es einen Demokratischen Legitimierung Prozess dazu gab… ok…. das sollte weg….. Aber durch was sollte es ersetzt werden?
Immer nur drauf rumhacken das deutsche Steuergelder in den Südeuropäischen Sümpfen versackt….. greift mir zu kurz
Wenn man Griechenland hätte seinerzeit fallen lassen, dann wäre es in kürzester Zeit zu einem Failing State gekommen. Das hätte weniger als eine Woche gedauert und der Griechische Reste Staat wäre im Nichts verschwunden,
Und jetzt stelle ich mir kurz vor, was für Auswirkungen das in der Ägäis gehabt hätte: Ein perfektes Piraten Meer direkt an der türkischen Grenze.
Die Folge Kosten wäre für uns mit Sicherheit extrem größer geworden, wie es dann gelaufen ist. Denn dann hätten wir Deutsches/Europäisches Militär dort postieren müssen um die Südflanke zu schützen.
Ohne dieses über 500 Millionen Einwohner Europa unter einem politischen und wirtschaftliche Dach, würden wir zwischen den USA und China aufgerieben werden. Kein einzelner europäischer Staat ist in der Lage sich diesen beiden Fronten alleine zu widersetzen.
Europa ist alternativlos, allerdings nicht in der jetzigen Form.
Es braucht einen Demokratischen Legitimierung Prozess an den die Menschen auch Glauben können. Und wenn das noch Jahrzehnte dauert, es muss sein. Die Länder müssen bei sich aufräumen und es muss zu weiteren gemeinsamen Standards kommen.
Mir gehen Texte wie eure leicht auf die Nerven. In denen aus einer kleinbürgerlichen Brille her raus auf’s Sparkonto geschaut wird. Wohlstand ist in Europ nur auf europäischer Ebene überhaupt noch gemeinsam haltbar.
60% des Deutschen Aussenhandels geht in’s umittelbare europäische Ausland. Auch die Tante Emma hat ihren Stammkunden gerne schon mal ein Kredit eingeräumt damit sie was zum verkaufen hat. Ohne Kundschaft, kein Business

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