Mit ihrer Entscheidung, die Tore für Flüchtlinge zu öffnen, hat Angela Merkel bis weit ins liberale, grün-alternative und linke Lager hinein die Herzen für sich erobert. Plötzlich war sie nicht mehr Kanzlerin einer CDU-geführten Großen Koalition, sondern die Mutter der Menschlichkeit, das freundliche Gesicht Deutschlands, die Mantelmadonna der Flüchtlinge.
Dass sie dabei im Stile eines absolutistischen Herrschers in einem Akt willkürlicher Entscheidung gehandelt hat (wie schon bei dem nach Fukushima verkündeten Ausstieg aus der Atomenergie) und sich über europäische Gesetze (Dublin) hinwegsetzte, schien niemanden zu stören, tat sie doch etwas Gutes. Statt einer politischen Debatte entwickelte sich eine Welle der Hilfsbereitschaft bis dahin ungekannten Ausmaßes.
Nur wenige Monate nach dem kollektiven Gesang des „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“ und der Willkommens-Euphorie ist allenthalben Katzenjammer eingekehrt. Aus dem „Wir schaffen das!“ ist ein „Das schafft uns!“ geworden.
Dabei ist der seit einiger Zeit vermehrt auftauchende Begriff Flüchtlingskrise im Grunde falsch – wir müssen vielmehr
- eine Krise der binnenstaatlichen Institutionen konstatieren,
- eine Krise der europäischen Gemeinschaft feststellen, die weitaus tiefer und existenzieller ist als die „Griechenland-Krise“,
- und eine Krise des vermeintlichen Fundaments unserer Werteordnung zur Kenntnis nehmen, nämlich den Zerfall einer deutlichen Verankerung in einer freiheitlichen, demokratischen, sozialen, vor allem aber humanitär-antinazistischen Grundhaltung.
Zu einigen Binnenaspekten
Es ist sicherlich ein Zufall, dass wir nahezu zeitgleich mit den Problemen der Aufnahme, Unterbringung, Versorgung und Integration der Flüchtlinge den VW-Skandal erleben mussten.
Aber:
Wie VW die Öffentlichkeit und vor allem seine Kunden durch das Aufspielen einer Schummel-Software getäuscht hat, so haben uns die staatlichen Institutionen ebenfalls eine Schummel-Software aufgespielt, die den wahren Zustand staatlicher Organisation verschleiert hat.
Dass eine Registrierung und Verteilung der Ankommenden wegen völlig uneinheitlicher Computerprogramme und Erfassungssysteme, nicht ausreichender Personalausstattung, schleppender Bearbeitungsvorgänge, Kompetenz- und Zuständigkeitswirrwarr nicht möglich ist, offenbart einen Teilaspekt dieser institutionellen Krise. Ohne die zehntausendfache Hilfsbereitschaft von Bürgerinnen und Bürgern hätten wir, das ist nicht schwer zu erkennen, wahrscheinlich bereits katastrophale Zustände in unserem Land.
Hätte mir jemand vor einem halben Jahr gesagt, dass es möglich ist, tausendfach nach Deutschland einzureisen, ohne registriert zu werden, hätte ich wahrscheinlich nur gelacht. Hätte mir jemand gesagt, dass in der Bundesrepublik tausende von Kindern und Jugendlichen umherirren können, ohne Schutz und Begleitung, und dass etliche von ihnen auf diesem Weg durch Deutschland „verschwinden“ können, hätte ich denjenigen wahrscheinlich als Spinner abgetan.
Hätte mir jemand vor einiger Zeit gesagt, dass unsere Behörden (Polizei, Ämter) und unser Rechtssystem nicht in der Lage sind, Frauen vor massenhafter sexueller Belästigung und Übergriffen zu schützen, Attacken auf Flüchtlinge und Unterkünfte zu unterbinden, das Entstehen rechtsfreier Räume zu verhindern, hätte ich mich wahrscheinlich kopfschüttelnd über Polizeistaatsphantasien ereifert.
Nun hat sich aber gezeigt, dass selbstverständliche Hoheitsaufgaben (Feststellung, wer sich überhaupt auf dem Staatsgebiet aufhält) ebenso wenig erfüllt werden wie die zeitlich angemessene Bearbeitung von Asylanträgen, die gesicherte finanzielle Ausstattung der Kommunen zur Bewältigung der durch die Aufnahme von Flüchtlingen entstehenden Aufgaben und eine innerstaatlich geordnete Verteilung von Flüchtlingen.
Was uns stattdessen geboten wird sind Schaukämpfe in einem – oftmals durch anstehende Landtagswahlen bedingten – Überbietungswettbewerb immer neuer Vorschläge und Maßnahmen, von denen ein Teil von vornherein undurchführbar ist (weil gegen internationale Vereinbarungen verstoßend), ein anderer Teil die politische Wirklichkeit leugnet (Festsetzung sicherer Drittländer) oder indirekt das Recht auf Asyl aushebelt, hier besonders das Recht auf Einzelfallprüfung.
Während bei uns die politische Kaste gegenüber der Bevölkerung das Schlagzeilen produzierende Schwadronieren kultiviert, sind etliche unserer politischen Repräsentanten wahrscheinlich voller klammheimlicher Freude darüber, dass andere Staaten, wie etwa das nicht zur EU gehörende Mazedonien, längst die Drecksarbeit machen, nämlich ihre Grenzen zu verbarrikadieren, und so zumindest einen Teil des Drucks von Deutschland nehmen.
Hinzu kommt: Die Bundesregierung hat in den Jahren vor dem massenhaften Zustrom über das Mittelmeer und den Balkan tatenlos dabei zugesehen, wie Griechenland und Italien mit den auch in früheren Jahren bereits ankommenden Flüchtlingen fertig werden mussten. Das Flüchtlingsproblem ist ja nicht neu, sondern lediglich in seinen Ausmaßen von neuer Wucht und Dynamik. Italien und Griechenland haben in früheren Jahren nur wenig Unterstützung erfahren, sondern bestenfalls Kritik und Häme. Italien forderte mehrfach finanzielle Unterstützung für seine im Jahre 2013 begonnene Rettungsaktion „Mare Nostrum“. Da diese Unterstützung ausblieb, stellte Italien die Aktion, die zur Rettung von rund 150 000 Menschen, die über das Meer flüchteten, geführt hatte, im Oktober 2014 ein.
Zu einigen europäischen Aspekten
Wer bis jetzt noch geglaubt hatte, bei der EU handele es sich um eine Wertegemeinschaft, die den Idealen der Freiheit und der Menschenrechte, der Aufklärung und der Solidarität verpflichtet sei, wird tagtäglich eines Besseren belehrt. Nationale Einzel- und Gruppeninteressen sprechen den hehren Idealen Hohn und sind zugleich Ausdruck einer – zumeist reaktionären – Naivität, die glauben machen will, in einer globalisierten Welt seien nationalstaatliche Lösungen auf Dauer tragfähig. Es rächt sich jetzt, dass man bei der Aufnahme des einen oder anderen Landes, vor allem im Zuge der „Osterweiterung“ der EU, an erster Stelle den wachsenden Wirtschaftsraum und zweitens wohl auch geostrategische Aspekte im Auge hatte, nicht aber besonders gründlich bei den politischen Konstellationen hingeschaut hat.
Solange Waren frei gehandelt werden konnten, hat man gerne, auch hier in der Bundesrepublik, die eine oder andere Menschenrechtsverletzung und den einen oder anderen Verstoß gegen vermeintliche „essentials“ wie die Pressefreiheit oder unabhängige Gerichte in Kauf genommen. Die Tränen über den möglichen Zusammenbruch des Schengen-Raums sind letztlich Krokodilstränen, denn es geht hierbei doch nicht um die Reisefreiheit der Bürger und das lästige Warten an der Grenze (das man den Menschen auf der Flucht heute schon massenhaft zumutet), sondern um eine mögliche Behinderung des Warenverkehrs und eine Gefährdung von Gewinnen.
Die Bertelsmann-Stiftung, die nicht nur im Bildungswesen mit ihren Untersuchungen gerne die Interessen der Wirtschaft akzentuiert, hat bereits flugs ausrechnen lassen, was ein Ende des Schengen-Freiraums bedeuten würde: Mit 235 Milliarden Euro Kosten für die Wirtschaft in zehn Jahren schlägt laut Bertelsmann eine Schließung der Grenzen zu Buche (z.B. durch Mehrkosten wegen des Wegfalls der Just-in-time-Lieferung), was natürlich die Produktionskosten erhöht, die dann der Endverbraucher über den Preis zu tragen hätte (Quelle: WAZ v. 26.2.16)
Krokodilstränen sind es auch deshalb, weil man einerseits das überforderte Griechenland mit all den täglichen Problemen durch die immer noch wachsende Zahl von Schutzsuchenden alleine lässt, gleichzeitig aber Herrn Erdogan Zucker und Geld in den Hintern bläst und mit der Option einer Aufnahme in die EU jongliert, damit er verhindert, dass von seinem Land aus Flüchtlinge über das Meer die EU erreichen. Dass Erdogan gleichzeitig die demokratische Ordnung (Justiz, Pressefreiheit) in seinem Land weiter einschränkt, statt der Stärkung des Laizismus eine Re-Islamisierung der Gesellschaft forciert und das Volk der Kurden bombardiert, wird vor diesem Hintergrund gerne ausgeblendet bzw. akzeptiert.
Auch den Engländern gesteht man nun Sonderrechte zu (Ablehnung der weiteren politischen Integration, Aussetzung der Zahlung von Sozialleistungen an Zuwanderer aus der EU), damit Mr. Cameron (vermeintliche) Erfolge vorweisen kann. Dass gleichzeitig aber die Frankfurter Börse und die London Stock Exchange bzw. die sie tragenden Gesellschaften über eine engere Kooperation bzw. Fusion nachdenken, zeigt, wohin der ökonomische Hase wirklich läuft. Deshalb wirbt Mr. Cameron nun auch so kräftig für den Verbleib seines Landes in der Gemeinschaft, auf der er für seinen vormaligen Wahlerfolg so lautsprecherisch herum getrampelt ist.
Die Entscheidung der Kanzlerin, die Tore Deutschlands uneingeschränkt zu öffnen, war aus humanitären Gründen richtig – gleichwohl aber ein Alleingang – ohne Rücksprache nach Innen (mit dem Parlament, schon gar nicht mit dem Staatsvolk). Ob Merkel jenseits der Öffentlichkeit eine Zustimmung der politischen und ökonomischen Eliten gesucht und gefunden hat, wie es die aktuelle Unterstützung durch die Wirtschaftsverbände nahe legen könnte, mag dahin gestellt sein. Mit den europäischen Partnern, vor allen den grenznahen Staaten in Osteuropa, war diese Entscheidung wohl nicht abgestimmt. Dass etliche von ihnen nun ausscheren und Sonderwege gehen, ist eine Reaktion auf diese Entscheidung, die das Auseinanderdriften der brüchigen EU vorantreibt.
Diesen Zustand beschrieb Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn unter Bezug auf die Flüchtlingsthematik mit den Worten: „Wir haben keine Linie mehr, wir steuern irgendwie in eine Anarchie hinein.“ (Quelle WAZ v. 26.2.16)
Den Bürgerinnen und Bürgern erscheint (nicht zu Unrecht) die Europäische Union sowieso größtenteils als ein bürokratisches Monstrum, das tausende und abertausende von mehr oder weniger sinnvollen Vorschriften, Regeln und Verordnungen erlässt, in zentralen politischen Fragen aber eine Vereinigung nationalstaatlicher Egoistengruppen ist – ohne die Fähigkeit und den Willen zu einer Außen- und Innenpolitik auf der Grundlage gemeinsamer Werte.
Zu einigen Aspekten des gesellschaftlichen Klimas
Wie die dpa (Deutsche Presseagentur) unter Bezug auf das Bundeskriminalamt in diesen Tagen gemeldet hat, hat es bis Mitte Februar dieses Jahres bereits 151 Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte gegeben, darunter
25 Brandstiftungen und eine Sprengstoffexplosion. Im Jahre 2015 sind insgesamt 1029 Straftaten gegen Asylunterkünfte registriert worden. Allein in diesen Zahlen drückt sich aus, dass ein Riss durch die Bevölkerung geht. Einer großen Zahl von Hilfsbereiten und Helfenden steht eine wachsende Zahl von Menschen gegenüber, die der Aufnahme von Flüchtlingen skeptisch bis ablehnend und latent bis offen aggressiv gegenüber stehen. Wobei die Flüchtlingsthematik die Funktion eines Ferments hat, das einen Prozess der nun öffentlich ausbrechenden allgemeinen Unzufriedenheit beschleunigend in Gang gesetzt hat. Skepsis gegenüber der Parteiendemokratie, Verärgerung über die Berichterstattung der Presse, eine tief sitzende Fremdenfurcht, sozialer Abstieg oder die Angst davor amalgamieren mit einem (wohl in jedem Staat) vorhandenen Bodensatz an rassistischer Ideologie und bilden eine explosive Mischung, die gegenüber auch in früheren Jahren schon vorhandenen fremdenfeindlichen Stimmungen und Angriffen auf Flüchtlinge (Rostock-Lichtenhagen, August 1992) zwei wesentliche Unterschiede aufweist:
Erstens: Anders als den Parteien, die sich offen am rechten Rand ansiedeln bzw. angesiedelt haben (etwa NPD oder DVU) und sich häufig in verschwiemelter Nazitümelei erschöpften, scheint es einer Gruppierung wie der AfD nun durchaus möglich zu sein, größere Teile des (Wahl-)Volks hinter sich zu versammeln. Das gelingt ihr über das Vehikel „Flüchtlinge“ offensichtlich besser als noch über das für viele abstrakte Euro-Thema zur Zeit der Lucke-AfD. Die Euro-Thematik (Griechenland-Krise) war für viele weit weg, nicht nur geographisch, sondern eben auch in den Sphären der – auf den ersten Blick – nicht unmittelbar den Alltag berührenden Finanz-Eurokratie. Der Flüchtling aber ist unmittelbar vor Ort: er begegnet uns auf der Straße und den Plätzen, sitzt in der Schule am Nebentisch oder in der Warteschlange auf dem Amt und beim Arzt. Dass der Flüchtling in seiner Mehrheit Moslem ist – das gegenwärtig sowieso beliebteste Feindbild – trägt zur Verschärfung bei.
Zudem wird deutlich, dass die herrschende Elite an dieser Thematik scheitert und nichts anderes tut, als täglich neue Phrasen-Säue durchs Dorf zu treiben. Da stoßen die schlichten Antworten der Petrys und Co auf offene Ohren.
Zweitens besteht ein Unterschied darin, dass die „rechten“ Parolen keine Randerscheinung bleiben, sondern in die Mitte der Gesellschaft vorstoßen – oder anders – in eine Gesellschaft vorstoßen, die ihre Mitte bereits verloren hat. Die Übergänge zwischen hard-core-Nazis (der besorgte Antifaschist stellt sich diese ja immer noch gerne mit Springer-Stiefeln und Glatze vor) und protestierenden (konservativen) Bürgern sind fließend geworden. Man umarmt sich nicht unbedingt zärtlich, hakt sich aber ideologisch-politisch durchaus unter und pflegt das gleiche Feindbild.
Wer sich die Zeit nimmt, Reaktionen auf online-Artikel im Kontext der Flüchtlingsthematik zu lesen, wird feststellen können, dass die offensiv-aggressiv Vorgehenden auf einer Welle des Verständnisses für ihre Straftaten schwimmen können, dass Volkes Stimme ihnen gedanklichen Begleitschutz gibt. Dass gleichzeitig die Redaktionen bzw. Moderatoren der Foren sich immer häufiger genötigt sehen, Kommentare zu sperren, weil sie die Grenzen des Anstandes und die Regeln einer Kommunikation weit hinter sich lassen oder von rassistisch-hetzerischem Grundton sind, spricht Bände.
Kann aus dem sich entwickelnden Schlechten Gutes entstehen?
Ich bin ein Teil von jener Kraft,
die stets das Böse will
und stets das Gute schafft.
(Mephisto in Goethes „Faust I“ , Szene Studierzimmer)
Vielleicht wäre es sinnvoll, wenn die politische Elite erst einmal einsehen würde, dass sie Teil des Problems ist, da sie verantwortlich ist für eine Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise, z.B. dadurch
- dass eine ausgeprägte Debattenkultur ersetzt worden ist durch ein permanentes Palaver in Talk-Shows
- dass in Zeiten von Großen Koalitionen ganz offensichtlich Teile der Bevölkerung glauben, ihre Interessen nicht mehr im Parlament und bei den etablierten Parteien wiederzufinden
- dass eine planvolle und an den Interessen der Mehrheit der Bevölkerung ausgerichtete Politik (etwa im Bereich der Bildungs- und Sozialpolitik) immer mehr ersetzt wird durch eine Klientelpolitik für die Reichen und die Industrie (Steuerpolitik) und eine kurzfristig an Wahlterminen orientierte Politik der gefälligen Phrasen
- dass es ein Glaubwürdigkeitsdefizit gibt, wenn Deutschland direkt (durch Militäreinsätze oder deren Unterstützung) bzw. indirekt (Waffenlieferungen) genau die Krisen mit produziert, die ein Teil der Ursachen für die gegenwärtigen Flüchtlingsströme sind, gleichzeitig aber davon spricht, Fluchtursachen beseitigen zu wollen. Deutschland hat sich in den letzten Jahren mehr oder weniger direkt durch die Unterstützung der USA und ihrer militärischen Operationen daran beteiligt, Nationen zu zerstören und Menschen die Lebensgrundlage zu entziehen (Luftwaffenbasis Ramstein Air Base, Bereitstellung von AWACS-Flugzeugen etc.).
Deutschland profitiert natürlich auch davon, dass die Lasten in der Welt ungleich verteilt sind, dass die Globalisierung die reichen Länder stärkt und große Teile der Weltbevölkerung immer weiter verarmen lässt. Diese ungerechte Weltordnung wird aber bestenfalls in Sonntagsreden thematisiert, an einer praktischen Veränderung besteht auf Seiten der politisch Herrschenden und ökonomisch Mächtigen kein Interesse.
Zur Glaubwürdigkeit trägt dies natürlich nicht bei.
Alle Einzelmaßnahmen im Zuge der Flüchtlingspolitik laufen jedoch ins Leere, wenn diese Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise nicht überwunden wird.
Damit das gelingt, muss ein gesellschaftlicher Konsens – nicht nur ein parlamentarischer Mehrheitsentscheid – gefunden werden, wie mit der Aufnahme von Flüchtlingen langfristig verfahren werden soll.
Schaut man auf das vergangene Jahr, so ist zunächst einmal festzuhalten, dass rund 1 Million Flüchtlinge bei uns Schutz gefunden haben – bei einer Bevölkerung (Ende 2015) von knapp 82 Millionen Bürgern in einem der reichsten Länder der Welt.
Zugleich sollte aber berücksichtigt werden, dass die Probleme nicht auf der Ebene abstrakter Zahlenrelationen liegen, sondern auf der Ebene täglich neu zu überwindender konkreter Aufgaben: von der Unterbringung über die Beschulung und die Bildung und Ausbildung bis hin zur Teilhabe an der Gesellschaft überhaupt sowie die Überwindung kultureller, religiöser und sprachlicher Schranken.
Berücksichtigt muss auch werden, dass – ganz unabhängig von der Flüchtlingsthematik – große soziale Unterschiede in unserem Land bestehen, die Regionen und Kommunen sich unterschiedlich entwickelt haben und sozial sowie ökonomisch unterschiedlich aufgestellt sind, dass große Teile der Bevölkerung (etwa im Ruhrgebiet) vom gesellschaftlichen Fortschritt abgekoppelt sind (Dauerarbeitslosigkeit, Altersarmut), dass also große Ungleichzeitigkeiten in unserem Land existieren.
Daraus lässt sich meiner Meinung nach dreierlei schlussfolgern:
- jenseits des Asylrechts, das vor dem Hintergrund des Holocaust zu sehen und auf die jetzige Situation von Armuts- und Kriegsflucht überhaupt nicht zugeschnitten ist, bedarf es eines Einwanderungsgesetzes, das klare, nachvollziehbare, vor allem aber durchsetzbare Regeln für Einwanderung enthält (z.B. verpflichtende Teilnahme an Sprachkursen, nach deren Abschluss zumindest die Alltagskommunikation gelingen sollte).
- damit sollte gleichzeitig aber klar sein, dass auch das reiche Deutschland auf Dauer nicht in der Lage sein wird, einen unbegrenzten und unregulierten Zuzug von Flüchtlingen zu verkraften. Insofern ist eine tatsächliche Bekämpfung der Ursachen von Flucht (Krieg, Hunger) unumgänglich. Und unumgänglich wird es auch sein, Zuwanderung unter bestimmten Voraussetzungen nicht zu gestatten.
- die von unserer Gesellschaft zu leistende Kraftanstrengung, auch und gerade in finanzieller Hinsicht, sollte allen zu Gute kommen, unabhängig ob bereits ansässig oder erst zugewandert. Anders formuliert: Investitionen in Bildung, Wohnungsbau, Infrastruktur, gesellschaftlicher Teilhabemöglichkeiten sollten so zugeschnitten sein, dass sie für alle ein Gewinn sind. Vielleicht an einem Beispiel: der Verband Bildung und Erziehung hat vorgeschlagen, die Höchstzahl der Kinder in Grundschulklassen auf 24 festzusetzen, wobei Flüchtlingskinder doppelt gezählt werden sollen. Setzte man eine solche Maßnahme um, was natürlich mehr Lehrpersonal, mehr Klassenräume – letztlich einfach mehr Geld kostete, würden alle davon profitieren, alle könnten sich als gemeinsame Gewinner fühlen, denn für alle würde die Unterrichts- und Betreuungssituation optimiert.
Diese Zeit der Krise, der auseinander treibenden Kräfte, der großen Hilfsbereitschaft auf der einen Seite und der dumpfen Aggressivität und des Hasses auf der anderen Seite, der politischen Spaltung Deutschlands und der partiellen Orientierungslosigkeit birgt auch eine Chance in sich: Wir können den Mehltau, der sich in der Merkel-Ära in unseren Kleidern festgesetzt hat, herausschütteln, wir können die Fenster öffnen und uns der Zugluft aussetzen, wir können uns neu erfinden, wie wir es schon einmal gemacht haben, als ein ganz Großer der jüngeren deutschen Geschichte uns zugerufen hat:
Wir wollen mehr Demokratie wagen!
Lassen sich die Zustände und Tendenzen noch kritisch affirmativ sehen?
Besteht beim etablierten Bürgertum die Bereitschaft mehr mit dem
wachsenden Prekariat zu teilen als Finanzierungsprobleme?
Meine Meinung: Eher weniger.
Minimalster Ansatz an einem der kommenden Sonntage:
Ekel überwinden, Wählen gehen, auch wenn man es zum Kotzen findet.
Verbesserungsvorschlag für mehr Demokratie:
Zusätzliches Kreuzchenfeld für die Entscheidung Minderheitskoalition ja oder nein.
zu deinem stichwort “minderheitskoalition”
unabhängig von der jetzigen situation und dem eierkurs der sozen und der grünen: ich hatte nach der letzten bundestagswahl gehofft, dass spd und grüne eine minderheitsregierung bilden. das hätte (vielleicht!) auch den schönen effekt gehabt, dass um jede einzelne mehrheit hätte gerungen werden müssen, also die im kern richtige these von dem gewissen, dem die abgeordneten ausschließlich verpflichtet sind, überprüfen zu können. damals wurde von interessierten kreisen das schreckgespenst der unregierbarkeit an die wand gemalt- grober unfug also.
ob wir bei einer spd-grüne-minderheitsregierung heute besser dastünden, etwa im bereich von sozialpolitik, gesundheit und bildung -waffenexporte und kriegsnarretei nicht zu vergessen- sei mal dahin gestellt.
Kleiner Erfahrungsausschnitt bei mir – Basis sind “Entfreundungen” bei Facebook und wenige bis keine “likes” für Beiträge zur Flüchtlingsthematik – die gut verdienenden mit Wohnungseigentum phantasierten von Enteignungen durch Merkel oder prahlten damit, dass sie / er z.B. als ehemaliger WAZ Chefredakteur keinen einzigen Cent seiner sauer und ehrlich verdienten guten Rente abgeben würden.Und damit war ein grundsätzliches NEIN gemeint.
Diese Gesellschaft zementiert ihre Spaltung, die vielen ehrenamtlichen verdeutlichen dass der Staat sich immer weiter zurück zieht.
Vermögensverteilung – kein Verteilungskapmf nötig