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Wider die Smartphonemanie
Sie kennen doch sicher auch diese Sozialautisten, die mit gesenktem Kopf und auf dem Display ihres Smartphones tippenden Fingern auf öffentlichen Plätzen, Straßen, Geh- und Fahrradwegen herumgeistern und andere Menschen, egal ob Fußgänger oder Rad- und Autofahrer dazu zwingen, ihnen auszuweichen, sie zu umkurven oder ihre eigene Vowärtsbewegung zu unterbrechen, um einen Zusammenstoß zu vermeiden.

 

Nun kann man sich über diese Spezies ärgern – so wie man sich über die Alkoholiker oder die Heroinsubstituierten ärgern kann, die vorzugsweise an Ausgängen von Bahnhöfen ihre Versammlungen abhalten und denen man ebenso auszuweichen genötigt ist. Aber bei beiden Gruppen muss man auch berücksichtigen, dass sie Abhängige, also Kranke, sind.

Wie der Alkoholiker ständig zur Flasche greifen muss, um für Nachschub zu sorgen, so muss der Smartphone-Autist zu seinem Endgerät greifen – wie jüngste Datenerhebungen ergeben haben durchschnittlich alle 18 Minuten, bei etwa 10 % der Nutzer sogar alle zehn Minuten. Bis zu hundert Kurznachrichten setzen exzessive Nutzer täglich ab, von denen sich besonders viele in der Gruppe von Menschen unter 25 finden. Diese kommen durchschnittlich auf rund vier Stunden Nutzungsdauer ihres Smartphones am Tag – und da ist das Musikhören noch nicht mit eingerechnet.

Dass einem auf der Straße Menschen begegnen, die murmelnd oder auch lauter etwas von sich geben, was Kommunikation sein könnte, kannte man lange nur von solchen Mitbürgern, die ein Pappschild an einer Schnur um den Hals hatten, auf dem ihre Adresse stand, bei der man sie im Zweifelsfall abends abliefern konnte. Diese Metropolenmonologe sind mittlerweile dank Smartphoneflatrate zur tausendfach praktizierten Alltagshandlung geworden, die einen nicht unwesentlichen Anteil an der akustischen Umweltverschmutzung haben. Viele Mitmenschen meinen ja heutzutage nicht nur ihren unmittelbaren Kommunikationspartnern Wichtiges mitteilen zu müssen („bin gleich da“, „muss zum Klo“), sondern auch ihr Nahumfeld lautstark an ihren Botschaften teilhaben zu lassen.

Und zu diesen Gesellen kommen jetzt auch noch jene, die – dank Freifunk – tippend über die Straße laufen, um diese wichtigen Botschaften per „WhatsApp“ oder anderen Diensten mit der Welt zu teilen, so dass man zum innerstädtischen Slalomlauf gezwungen wird.

Ausgerechnet in einer Zeit, in der allenthalben darüber nachgedacht wird, den Handygebrauch zu untersagen bzw. einzuschränken, z.B. in öffentlichen Gebäuden wie Verwaltungen oder Schulen, in Restaurants und Verkehrsmitteln (soweit hier nicht schon ein Verbot besteht), glauben in Gelsenkirchen einige notorische Fortschrittsjünger der Menschheit einen Gefallen tun zu müssen, indem sie die Stadt flächendeckend mit Freifunk überziehen wollen, so dass die Nutzer sich überall kostenlos ins „Netz“ einklinken können.

Kein Quadratmeter mehr frei von Funk heißt dann kein Quadratmeter mehr frei von diesen Smartphonejunkies, diesen Sklaven von Google, Facebook, Apple und anderen Datenkraken, diesen Süchtigen, die ihren Sprach- und Kommunikationsmüll tippend in die Welt kotzen wie der Alkoholiker sein Erbrochenes auf die Straße kotzt.
Interessant ist, dass die Smartphonesucht an einen genetischen Marker gekoppelt ist, dem auch die Nikotinsucht zugeordnet ist – so jedenfalls eine Studie der Universität Bonn. Die Freifunker sind sozusagen diejenigen, die andere Menschen anfixen, indem sie kostenlos kommunikatives Rauschgift zur Verfügung stellen, so dass man überall seiner Sucht frönen kann.

Fortschrittlich wäre es, eine Straße – etwa die Hauptstraße – und ihre Geschäfte frei zu halten von diesem Gedaddel und Gedudel. Fortschrittlich wäre es, wenn die Gastwirte und Cafébetreiber der Hauptstraße Menschen, die auf die Nutzung dieser Geräte im Café verzichten, ein Freigetränk statt Freifunk spendierten, wenn es in allen Geschäften Leseecken gäbe und Zeitungen und Zeitschriften auslägen, wenn der Gebrauch von Brettspielen mit Einkaufsgutscheinen belohnt würde, wenn man für Stille einen Präsentkorb bekäme und für ein intensives (aber nicht durch Lautstärke andere störendes) Zwiegespräch zum Ehrenbürger der Hauptstraße ernannt würde.

Und toll wäre es gewesen, wenn die SPD den Bürgerantrag auf Freifunk mit solchen Argumenten abgelehnt hätte, anstatt sich hinter Haftungs- und Nutzungsquark und technischen Problemen zu verstecken und einfach nur ihre Mehrheit auszuspielen.

Da muss man ja schon fast wieder für die Freifunkinitiative sein!{jcomments on}

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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