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Über die ungewisse Zukunft eines Orchesters

Gelsenkirchen ist in mancherlei Hinsicht Spitze. Zum Beispiel hinsichtlich der Zahl der in dieser Stadt von Hartz4 Lebenden und der Zahl der Arbeitslosen. Es könnte sein, dass in nächster Zeit diese Gruppe durch Angehörige eine Berufsstandes ergänzt wird, der am Markt sicher nicht einfach zu vermitteln ist – Orchestermusiker nämlich.

Und zwar solche der Neuen Philharmonie Westfalen. Denn die Zukunft dieses Klangkörpers ist durchaus ungewiss.

Und das hat natürlich etwas mit Geld zu tun, aber auch mit der besonderen Trägerkonstruktion dieses Orchesters, das 1996 aus der Fusion des Westfälischen Sinfonieorchesters in Recklinghausen und des Philharmonischen Orchesters der Stadt Gelsenkirchen hervorgegangen ist.

kultursackGetragen wird das Orchester von einem Verein, dem die Städte Gelsenkirchen und Recklinghausen sowie der Kreis Unna angehören. Und diese drei Träger haben durchaus unterschiedliche Interessen. Gelsenkirchen, das von den Gesamtkosten rund vier Millionen trägt, bekommt dafür im Gegenzug den größten Teil der Leistungen des Orchesters, denn bei (nahezu) jeder Aufführung im Musiktheater sitzen Orchestermitglieder im Graben und spielen. Zudem gibt es als Leistung pro Spielzeit noch die 9 Sinfoniekonzerte im MiR und etliche Sonderveranstaltungen. Recklinghausen (dort hat das Orchester seinen Sitz!), der Kreis Unna, der Landschaftsverband Westfalen-Lippe und das Land NRW steuern rund 2,8 Millionen Euro bei. Sie profitieren von Konzerten der Philharmonie.

Das Land beteiligt sich an den Kosten, denn die Neue Philharmonie hat den Status eines Landesorchesters. Sie bereist als das größte der drei existierenden Landesorchester bestimmte Regionen Nordrhein-Westfalens, um dort Konzerte zu geben. Zu bewältigen sind diese verschiedenen Aufgaben nur, weil das Orchester recht groß ist (rund 130 Köpfe stark). Während ein Teil des Orchesters im Graben des MiR sitzt und eine Oper begleitet, kann ein anderer Teil gleichzeitig an einem anderen Ort konzertieren.

Anders als etwa beim MiR, das eine 100%ige Stadttochter ist, sind das Trägerkonstrukt und Finanzierungsmodalitäten bei der Neuen Philharmonie also recht kompliziert und die Interessen- und Ausgangslage der Träger ist durchaus unterschiedlich. Gelsenkirchen benötigt für das MiR auf jeden Fall ein Orchester, Unna und Recklinghausen könnten auch Orchesterleistungen anderer Klangkörper einkaufen – ohne Beteiligung an der Neuen Philharmonie.

Eine erste größere Diskussion um den Bestand der Neuen Philharmonie gab es im Jahre 2010, dem – nur zur Erinnerung! – Kulturhauptstadtjahr. Damals empfahl der Regierungspräsident des Bezirks Arnsberg, zu dem der Kreis Unna gehört, den Finanzbeitrag des Kreises für die Philharmonie ( 540000 Euro, festgeschrieben bis 2017) wegen der prekären Haushaltslage auf den Prüfstand zu stellen. In der damaligen Situation bekannten sich sowohl Michael Makiolla (SPD), der Landrat des Kreises Unna, und Wolfgang Pantförder, CDU-Bürgermeister von Recklinghausen (Finanzierungsanteil etwa 1 Million Euro), als auch Manfred Beck (Grüne), Kulturdezernent in Gelsenkirchen, zum Orchester. Makiolla, Pantförder und Baranowski, OB in Gelsenkirchen, bilden den Vorstand des Trägervereins der Neuen Philharmonie, wobei sich Baranowski bei den Verhandlungen häufig von Manfred Beck vertreten lässt.

Im Jahre 2014 sieht die Lage etwas anders aus. Zwar sind die agierenden Personen dieselben, aber die Ausgangslage hat sich verschoben.

Bis 2010 waren die Gehälter der Orchestermusiker an die Tarife im Öffentlichen Dienst angekoppelt – ausgehandelte Tarife des Öffentlichen Dienstes wurden auf die Orchester übertragen. Diese Verfahrensweise wurde 2010 ausgesetzt; nun sollten die Deutsche Orchestervereinigung (die „Gewerkschaft“ der Orchestermusiker) und der Deutsche Bühnenverein (die Vertretung der „Arbeitgeber“, also der Träger von Stadt- und Staatsorchestern) die Tarife aushandeln. Eine Klage der DOV gegen diese neue Verfahrensweise hatte vor dem Bundesarbeitsgericht keinen Erfolg.

Seit 2010 gab es also für die Mitglieder der Neuen Philharmonie zunächst einmal keine Gehaltserhöhungen. Verhandlungen über einen „Haustarif“ scheiterten: das letzte Angebot der DOV (vom Mai 2014) als Vertretung der Neuen Philharmonie, das u.a. einen Teilverzicht auf Nachzahlungen sowie auch teilweise auf Erhöhungen für die Spielzeiten bis 2017 beinhaltete, aber die Forderung nach Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen und stattdessen die Wiederbesetzung freier Stellen einschloss, wurde von der Arbeitgeberseite (also den Trägern der Neuen Philharmonie) abgelehnt. Dies hatte zur Folge, dass der im Mai zwischen dem Deutschen Bühnenverein sowie der Deutschen Orchestervereinigung abgeschlossene allgemeine Tarifvertrag (es gibt einige Orchester, die von dieser Regelung ausgenommen sind) auch für die Neue Philharmonie greift. Statt eines Haustarifvertrages muss nun also der „Flächentarifvertrag“ angewendet werden. Dieser Tarifvertrag holt die seit 2010 ausgebliebenen Lohnerhöhungen nach und passt das Orchester an das Niveau des Öffentlichen Dienstes und anderer Orchester der Stufe B/F an (Orchester sind – der Kopfzahl nach – in Stufen eingeteilt, Musiker eines A-Orchester verdienen mehr als die eines B-Orchesters etc.). Rückwirkend ab dem 1.3.2014 sieht der Tarifvertrag eine Erhöhung der Gehälter zwischen 3 und 3,5% vor.

Dieses Tarifpaket führt zu rund 1,5 Millionen Euro Mehrkosten für den Trägerkreis insgesamt, von denen Gelsenkirchen rund 1 Million schultern müsste. Deshalb hat sich nun auch die Haltung des Trägerkreises verändert.

Hieß es im Jahre 2010 im Kontext der Forderungen des Arnsberger Regierungspräsidenten in Richtung Unna von Manfred Beck noch: „Nein, wir stellen den Zuschuss an ans Orchester nicht auf den Prüfstand. Hier wurde bereits ein rigoroser Sparkurs gefahren, da geht nichts mehr. (…)Ich wünsche mir, dass wir ein Orchester dieser Qualität erhalten können“ (WAZ v. 30.1.2010), so lautet die Position des Gelsenkirchener Kuratoriumsmitglieds mit Blick auf Überlegungen in Recklinghausen und Unna, sich aus dem Trägerverein zurückzuziehen, nun: „Wir können uns diese Mehrkosten nicht leisten. (…) Wenn die Situation so bleibt, dann ist das das Ende der Neuen Philharmonie.“ (WAZ v. 31.5.2014)

Sollte der Trägerkreis den Unterhalt des Orchesters tatsächlich nicht mehr stemmen können (etwa weil Unna aussteigt oder weil die Mehrkosten durch die Tariferhöhung in den Haushalten nicht aufgefangen werden können), müsste der Trägerverein eigentlich Insolvenz anmelden. Zumindest bis heute ist das aber nicht geschehen.

Vielmehr wabern diverse „Gerüchte“ durch den Gelsenkirchener Raum bzw. den Trägerkreis: so z.B. die Rückkehr zu einem Gelsenkirchener „Hausorchester“, das dann deutlich unter 100 Köpfe stark wäre. In der Kämmerei Gelsenkirchens soll es bereits eine erste Wirtschaftlichkeitsberechnung für ein Orchester mit 65 Musikern und Musikerinnen geben. Ein weiteres Gedankenspiel: eine Kooperation mit Essen oder Dortmund, der Einkauf von Orchesterleistungen „fremder Orchester“ in Recklinghausen usw. usf.

All diese Überlegungen sind natürlich (noch) nicht abschließend durchgerechnet und erst recht nicht in kulturpolitischer Hinsicht durchdacht, ihr haushalterischer Nutzen ist zumindest kurzfristig zweifelhaft, mit Sicherheit aber ohne kulturellen „Mehrwert“. Vielleicht sind diese „Gerüchte“ aber auch nur taktischer Natur, haben also den Zweck, die Angst vor dem Verlust von Arbeitsplätzen bei einer Auflösung der Neuen Philharmonie zu schüren und so die Orchestervertretung an den Verhandlungstisch zu treiben, um einen „Haustarif“ abschließen zu können, der den ökonomischen Interessen des Trägerkreises dadurch entspricht, dass die Musiker des Orchesters weiter Lohnverzicht üben.

Die Musiker und Musikerinnen des Orchesters – und natürlich auch ihr Publikum – haben ein Recht darauf zu erfahren, wie es nach Auffassung des Trägerkreises und seines Kuratoriums weiter gehen soll. Im Moment entsteht der Eindruck, hinter verschlossenen Türen seien bereits Entscheidungen vorbereitet, aber niemand aus dem Trägerkreis will den „bösen Buben“ geben und das Ende der Neuen Philharmonie auf seine Kappe nehmen.

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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