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Nun mag man der Auffassung sein, der Prozess gegen den ehemaligen Bundespräsidenten streife die Grenze zum Lächerlichen, geht es doch nahezu um eine Bagatelle, wenn man auf die Beträge schaut, die Gegenstand der Verhandlung sind:

die Übernahme von Hotelkosten (510 Euro), ein Abendessen (209 Euro) und die Teilnahme an einem Festzeltbesuch – gemeinsam mit anderen Personen (3209 Euro), alles bezahlt durch den Filmproduzenten Groenewold.

kafka DenkmalAngemerkt werden muss dabei allerdings auch, dass bei dem Straftatbestand, der hier aufgerufen wird, nämlich der Vorteilsannahme, der Betrag (die Höhe der Beträge) zunächst gar keine Rolle spielt, sondern lediglich die Fragestellung, ob sich Wulff – damals noch niedersächsischer Ministerpräsident – im Gegenzug für diese „Gefälligkeiten“ (wenn sie denn überhaupt nachweislich erfolgt sind) als Amtsinhaber für seinen Freund Groenewold eingesetzt hat (Schreiben an die Firma Siemens mit Bitte um Unterstützung bei der Realisierung des Groenewoldschen Filmprojekts „John Rabe“).

Abgesehen davon, dass es einen zeitlichen Zusammenhang gibt, mag man auch der Auffassung sein, es sei geradezu die Pflicht eines Ministerpräsidenten – ganz unabhängig von Gefälligkeiten – sich für einen Filmschaffenden einzusetzen.

Jenseits der Frage nach der Strafwürdigkeit des Verhaltens von Wulff mag man auch der Überzeugung sein, es gehe hier eher um Stilfragen (wie streng muss ein Politiker im Amt die Grenzen zu „Freunden“ und deren „Gefälligkeiten“ ziehen?) und dass Wulff zur Genüge gezeigt hat, dass er sich immer wieder in dieser Grauzone bewegt und zu wenig „Distanz“ gezeigt hat.

Wulff selbst hat sich zu Beginn des Prozesses optimistisch dahin gehend geäußert, dass alle Vorwürfe ausgeräumt werden können und er – strafrechtlich gesehen – voll rehabilitiert wird. In diesem Zusammenhang hat er ausgeführt, er fühle sich, auf seinen Prozess und die staatsanwaltlichen Ermittlungen bezogen, an Kafka erinnert.

Das passt irgendwie: denn wie er sich immer wieder als „ahnungslos“ hingestellt hat, was das eine oder andere Finanzgebaren angeht, so ist er auch ahnungslos, was Kafka angeht. Wenn er im Zusammenhang mit seinem Prozess Kafka aufruft, so kommen drei Texte des Schriftstellers automatisch auf den Schirm.

Zunächst der Text „Der Schlag ans Hoftor“. Hier sitzt der Ich-Erzähler im Gefängnis, obwohl überhaupt nicht klar ist, ob die (übrigens seiner Schwester) vorgeworfene „Straftat“ (eben jener Schlag ans Hoftor) überhaupt begangen worden ist.

Als zweiter Text, auf den er abheben könnte, käme „Vor dem Gesetz“ in Frage. Diese Parabel gibt es einmal als eigenständig veröffentlichten Text und dann als Bestandteil des (unvollendeten) Romans „Der Prozess“. In „Vor dem Gesetz“ begehrt „ein Mann vom Lande“ Einlass in das Gesetz, was ihm ein Türhüter aber verwehrt. Jahrelang wartet der Mann vom Lande vergeblich vor dem Tor, immer in der Hoffnung, eingelassen zu werden – bis der Türhüter ihm schließlich mitteilt, das Tor sei jetzt geschlossen und er werde nicht eingelassen.

Im „Prozess“, dem dritten Text, weiß Josef K. bis zum Ende nicht, warum er überhaupt angeklagt wird (ihm wird u. a. die Parabel „Vor dem Gesetz“ erzählt). Was ist – rein summarisch betrachtet – den drei Texten gemeinsam: die Justiz ist ein anonymer Apparat, die Vorwürfe sind nicht konkret, teilweise auch nicht belegt, ja nicht einmal auch nur in Ansätzen greifbar.

Die jeweiligen Figuren sind diesem anonymen Apparat ausgeliefert- auch als einzelne Isolierte völlig hilflos. Zudem kommt hinzu, dass sie „ins Gesetz“ wollen, dass sie sich um Aufklärung eigenständig bemühen (Der Prozess), dass die Anklagen (Vorwürfe) noch nicht einmal mitgeteilt werden. Und all dies vor dem Hintergrund, dass es sich um parabolische Texte handelt, zum Teil auf alte Erzähltraditionen, etwas die jüdische Erzählkultur, abhebend, die in ganz gestimmten literarischen und gesellschaftlichen Kontexten stehen (einmal völlig abgesehen von den autobiographischen Aspekten im Gesamtwerk Kafkas).

Das Aufrufen des Werkes Kafkas ist also schon von daher völlig unangemessen.

Zudem: Herr Wulff steht keinem anonymen Gericht gegenüber, er muss auch nicht „vor dem Gesetz“ warten, die Anklage ist klar umrissen. Er steht auch nicht alleine da – er hat Rechtsbeistände und ihre Apparate an seiner Seite, teilweise wird die Justiz auch von der medialen Öffentlichkeit kritisiert, er selbst kann seine Auffassung verbreiten und sich vor dem Kameras, Mikrophonen und Notizblöcken der Presse verteidigen.

Er wird – bei 200 000 Euro „Ehrensold“- auch nicht verlausen und verwanzen, wie der Mann vom Lande, der jahrelang vor dem Tor sitzt. Und er selbst hat sich dazu entschieden, den Gang vors Gericht zu gehen, als er das Angebot abgelehnt hat, das Verfahren gegen die Zahlung einer Geldsumme einzustellen.

Nein, dieses Verfahren hat nichts mit der Prozesswelt bei Kafka zu tun. Der Prozess mag lächerlich sein, aber er ist nicht „kafkaesk“. Herr Wulff ist nicht das Opfer einer undurchschaubaren Justiz – er ist aber, zumindest was Kafka angeht, völlig ahnungslos.

Urteil: Setzen, Herr Wulff, „ungenügend“!{jcomments on}

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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