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schwarze witweIch verdanke dir einige Stunden in meinem Leben, die ich niemals vergessen werde. Inmitten einer vieltausendköpfigen Menge jubelte ich einst in der Dortmunder Westfalenhalle Willy Brandt im Wahlkampf zu.

 

Er war für mich und viele andere aus meiner Generation ein charismatischer Hoffnungsträger, ja, fast eine Erlösungsgestalt, die angetreten war, uns aus der muffigen Enge der Adenauer-Ära zu führen und noch dazu unbelastet war von den Sünden der Vätergeneration.

Allein – die Euphorie hielt nicht lange. Von der Lichtgestalt fiel nur wenig Helligkeit auf die muffige Atmosphäre in meinem SPD-Ortsverein, die so wenig nach „Mehr Demokratie wagen“ schmeckte. Selbst die Aufführung eine schlichten (handwerklich völlig dilettantischen), selbstgedrehten Filmchens, das ein wenig Kritik an kommunalen Zuständen übte, wurde verboten.

Und dann kamen die großen Themen: Atomkraft, Frieden, Umweltschutz – und statt mehr Demokratie zu wagen kamen die Notstandsgesetze, Polizeiwillkür, Überwachung, Terroristenhysterie.

Und ich wandte mich enttäuscht von dir ab, durchlief radikalisiert das politische Sektenwesen und fand in den ausgehenden 80er Jahren meine Heimat bei den GRÜNEN.

Da traf ich dich als frischer Stadtverordneter wieder. Und am Pult des Oberbürgermeisters saß keine Lichtgestalt, sondern ein Zuchtmeister in Gestalt von Kuhlmann. Und die SPD war verstockt, geistig unbeweglich, autoritär – eine Ansammlung von Betonköpfen, ein Zerrbild der Sozialdemokratie, in die ich einst mit Begeisterung eingetreten war.

Doch die ganze Zeit über warst du mir nah, habe ich mich nicht vollends von dir gelöst – vielleicht eine Folge davon, dass meine Familie – die Generation der Väter und Onkel, die auf dem Pütt oder als kleine Angestellte gearbeitet haben – schon immer mehrheitlich sozialdemokratisch eingestellt war und gewählt hatte.

Und immerhin gab es im Laufe der Jahre auch Annäherungen zwischen Sozialdemokraten und GRÜNEN – sowohl bundespolitisch als auch kommunalpolitisch. Und zu deiner Ehrenrettung muss ich sagen, dass ich in dieser kommunalpolitischen Zeit, die immerhin 25 Jahre währte, doch einige aufrechte Sozialdemokraten mit klugem Kopf getroffen habe, mit denen – im positiven Sinne – zu streiten und zu debattieren und zu Entscheidungen zu kommen lohnenswert und lehrreich war.

Aber nun scheinst du mir abermals an einen Tiefpunkt gekommen zu sein. Du streifst deine Programmatik, jedenfalls wichtige Punkte davon, ab, um dich zu Mutti ins Lotterbett zu legen, du spülst dich selbst weich, um anschmiegsam zu werden, du riskierst einen erneuten Aderlass an Mitgliedern und Sympathisanten und nimmst den völligen Bedeutungsverlust in Kauf, nur um dich der schwarzen Witwe in die Arme zu werfen.

Warum tust du das?

Ich will es mir nicht einfach machen und sagen: Weil einige deiner jämmerlichen Führungsgestalten (Gabriel, Nahles) scharf auf Posten in der Regierung sind. Dafür habe ich sogar menschliches Verständnis.

Nein, es ist eher so, glaube ich, dass diese jämmerlichen Führungsgestalten personeller Ausdruck deines jämmerlichen Zustandes der Orientierungslosigkeit sind. Sie sind wie Flipperkugeln, die hin- und her geschossen werden und dabei auch noch glauben, nicht in den Schacht zu fallen, in den alle Flipperkugeln am Ende einer Spielrunde schließlich rollen.

Es ist schon schlimm – vielleicht aber auch nicht zufällig – dass ein Weggefährte Willy Brandts, der 91jährige Egon Bahr, sich heute hinstellt (hinstellen muss), um vor deinem Identitätsverlust zu warnen und dir die Empfehlung gibt, auf eine Minderheitsregierung zu setzen (entweder eine der CDU oder eine der SPD und der Grünen mit Annäherung an die Linke), eine Option, die auch ich befürworte.

Aber vielleicht braucht es dafür eine andere SPD (und andere Grüne) und eine Vision von einem anderen Deutschland.

Aber seit des Kettenraucher-Ex-Kanzlers Diktum „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“ ist für Visionen in deinem Kopf und deinem Herzen offensichtlich kein Platz mehr vorhanden.

Das tut mir – ehrlich gesagt – immer noch ein wenig weh (auch wenn es das eigentlich nicht sollte, denn der Zustand meiner Partei ist auch jämmerlich genug!).

Aber schade ist es allemal!

Denn nach den Jahren des Merkel-Mehltaus könnte dieses Deutschland Visionen durchaus gebrauchen! Aber vielleicht bist du schon zu alt dafür, liebe Tante SPD, und wirst eingehen in die Gegenwart der Bundesrepublik als Pflegefall.

Es grüßt dich herzlich Bernd Matzkowski {jcomments on}

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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