Wenn es mit den Blutgefäßen zu eng wird oder sich gar eines zur Ruhe begibt, hat man ein echtes Problem. Für viele Zeitgenossen ist es gar das letzte Problem, denn ihnen bleibt keine Zeit, auf das folgende zu warten.
Rosige Aussichten sind etwas anderes. Selbstverständlich gilt das nicht nur für die Gefäße. Es gilt für alles, was einem das Leben nach 50 und mehr Arbeitsjahren „im Fleische“ übriglässt.
Wunderbarer Weise hat uns die Natur oder Gott oder unser Verstand die Lösung wohl mit in die Wiege gelegt. Nicht, dass wir in der Lage wären, uns selber zu heilen oder die Quelle in Lourdes das für uns erledigen zu lassen, sondern der Zustand wird uns erst lästig, dann deprimierend, dann umweltbelastend, weil wir Jan und alle Mann mit Bulletins überschütten und dann wird es uns schnuppe.
Das ist der Augenblick, in dem der Raucher wieder zur „Zichte“ greift und der Alkoholabusiker zum Cognac. Man hat halt Mitleid mit sich oder stellt sich vor, alles wäre sinnlos. Außer beim Rauchen und beim Saufen gibt uns dieser Trick ein Stück normales Leben wieder. Das Arrangement mit dem Unausweichlichen sozusagen.
Und dann kam das Fernsehen und dann kam Herr Mohl. Und mit den beiden kam das „Gesundheitsmagazin Praxis“.
Und dann war Schluss mit der Ruhe.
Dann wurden im neu für Farbkameras erfundenen Zo0m Operationen gezeigt, die wirklich nur eine kriegs- oder Hausschlachtungs-erprobte Generation anschauen konnte. Und Herr Mohl, der später für die Sendung einen Dr. h.c. bekam und jüngeren Gemeinden unter Dr. Mohl bekannt wurde, propagierte, wenn er sie nicht sogar erfunden hatte, die Trimm-Welle.
Und wer sich nicht trimmen wollte in dieser Welt der steten Bewegung, beging schon beinahe Verrat am Volke, zumindest jedoch an der Volksgesundheit. Der Direktor joggte, damals wurde auch dieser unsägliche Begriff eingeführt, mit seinem Chauffeur. Damals fiel noch keinem auf, dass immer die Chauffeure älter wurden als die Direktoren. Bis einer der bekannten Propaganda-Läufer in den USA mit 39 von uns ging. Obwohl er nie geraucht, nie getrunken und sich stets an der frischen Luft bewegte.
Zögerlich aber stetig kam der Begriff „Risikofaktor“ auf. Und dann begann seine Karriere. Weil mehrere Dinge zusammen kamen. Vor allem der PC in der Berufswelt. Zuerst traf es das graphische Gewerbe. Schriftsetzer wurden bis dahin Bleikrank oder bekamen dicke Waden vom stehen. Jetzt bekamen sie Herzinfarkte. Stand man früher 10 Stunden am Stück auf der selben Stelle, so hing man heute 16 Stunden in der Luft. Es war mörderisch.
Weil aber Infarkte zur Berentung führen konnten, konnten sie logischerweise nicht von der Arbeit herrühren. Dadurch bekam die Erfindung der Risikofaktoren plötzlich Sinn. BfA und LVA hätten es nicht besser treffen können. Absolut alles war giftig und gefährlich: Grillfleisch und obergäriges Bier, Rohkost und keine Rohkost, Spargel, Fisch und kein Fisch. Es war die Hölle. In München am Hauptbahnhof las ich damals ein Willkommensschild, das darauf hinwies, das die Atemluft in München fünf mal weniger Giftstoffe aufwies, als die in Gelsenkirchen. Das und wieso das Durchschnittsalter in Gelsenkirchen dennoch höher war, verrieten die Bayern nicht.
Die Konsequenz aus all dem: Man schaute diese Sendung nicht mehr, Dr. Mohl tauchte in Kabarettsendungen auf und der Schrecken verlor eine Heimstatt.
Bis letzten Dienstag. Mir war irgendwie nach fernsehen und ich musste die Zeit herumbekommen, bis ich meine 11 Freunde aus Rüttenscheid belauschen konnte. Mein Frau und ich schauten NDR Drei – die Visite. Es fing harmlos an. Es kribbelte ein wenig wegen der Erinnerungen, aber die Moderatorin war eine sehr gut aussehende Frau Typ Friesland und sie kannte wohl jede Krankheit mit dazugehörigem Professor. Und dann kam der Horror. Die Sendung, das war schnell zu bemerken, hatte nichts mehr von der Unbefangenheit Mohlscher Trimm-Propaganda, sindern führte einem das Unausweichliche in der Folge an sich harmloser Symptome vor Augen.
Die fachliche Nomenklatur ist natürlich nicht haftengeblieben, aber die Zusammenhänge. Etwa: „Kennen sie das: Sie sind, einen Krimi von Kehrer lesend vor dem Fernseher eingeschlafen. Nach vier Stunden werden sie wach. Ein eiskalter rechter Arm hat sie geweckt. Er ist eingeschlafen. Wenn sie jetzt denken, dass das Arme, wenn sie vier Stunden unbewegt hängen, schon mal gerne tun, könnten sie recht haben. Aber wenn sie 43 Jahre, 2 Monate und 5 Tage alt sind, sollten sie sich mit der Uniklink in Scharbeutz in Verbindung setzen. Mit Herrn Professor Uhlebuhle, guten Abend Herr Professor.
Guten Abend Frau Dingens, das sollten sie in der Tat, denn in diesem Alter gehören sie zur Risikogruppe der „Quergestreiften Amphobittelon Patienten“. Das ist eine Erbkrankheit, die Unbehandelt mit letalem Ende endet. Selbt bei günstigem Behandlungsverlauf ohne Amputation kann es geschehen, dass ihnen der Arm einschläft.“
Ich bekam ein Schlag in die Magengrube, denn unverkennbar war mir der Arm eingeschlafen.
Aber es ging in diesem Tenor weiter. Wie ich die Treppe in die Ruheetage gemeistert habe, wo meine Frau doch nur die Hälfte von meinem Gewicht wiegt, ist mir ein Rätsel. Wer mag mich getragen haben?
Dr. House?
Und vor allem: Wie muss es doch in Deutschland ohne den Gesundheitshorror auf der Mattscheibe schön gemütlich zugegangen sein?