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Slum in Glasgow um 1871Im Gelsenkirchener Bahnhofscenter war nach langer Zeit „mal wieder was mit Kunst“. Zuletzt gab es dort in einem leerstehenden Geschäftslokal ein Kontrastprogramm zur Kulturhauptstadt RUHR.2010, als der Gelsenkirchener Künstler Jürgen Kramer mit einer dokumentarischen Ausstellung an Spuren erinnerte, die Joseph Beuys und Johannes Stüttgen in den 1970er/80er Jahren in Gelsenkirchen gelegt hatten.

Danach war der Raum wieder zur kommerziellen Brache geworden. Nun hat, zwei Jahre später, die Künstlerische Leiterin von URBANE KÜNSTE RUHR bei der Kultur Ruhr GmbH., Katja Assmann, diesen Raum für eine „Redenreihe“ des Projekts STADTLABORE wiederentdeckt und als SALON eingerichtet.

Der Ort ist gut gewählt. Er liegt mitten im Ruhrgebiet und ist mit Bus und Bahn gut zu erreichen. Wer mit dem Pkw anreist, muss die Parkhäuser am Hauptbahnhof bis spätestens 21:30 Uhr wieder verlassen haben, was nicht gerade für die Urbanität der Stadt Gelsenkirchen spricht. Dennoch waren am Abend des 13. Dezember etwa 70 bis 80 Kulturpolitiker, Kulturmanager, Kulturschaffende und Interessierte aus dem Ruhrgebiet gekommen, um sich zu informieren. Vor allem die Künstlerinnen und Künstler wollten Konkretes über ihre Beteiligungschancen an dem hochambitionierten und international angelegten Projekt erfahren, nämlich ob und wie sie selbst auch kreativ und produktiv dabei mitmachen können.

Es wurde schnell klar, dass nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Kunst vor allem als „Kreativwirtschaft“ auf dem globalen Trip ist. Das ist nichts Neues. Denn der Kunstmarkt war schon immer international aufgestellt und der durch Prestigekonsum erzeugte Marktwert von Kunstwerken bestimmt ihre Attraktivität. Was teuer ist, muss auch gut sein.

Aber was sind nun „urbane Künste“? Was wollen sie sein? Was können sie bewirken? Oder besser: Welchen Nutzen wollen und können sie zur Entwicklung städtischer – also „urbaner“ – Lebensräume stiften, um die Lebensqualität der Menschen zu erhalten und zu verbessern? Allein schon diese Fragestellungen lassen erkennen, dass es sich bei den „urbanen Künste“ um eine komplexe gesellschaftliche Problematik handelt, bei deren „künstlerisch gestaltete“ Darstellung höchst unterschiedliche fachliche Aspekte berücksichtigt und zusammengebracht werden müssen.

Diese heterogenen Kollektive müssen zur ergebnisorientierten Zusammenarbeit bereit sein, und zwar sowohl miteinander als mit der betroffenen Öffentlichkeit. Eigensinn ja – Eigennutz nein! Notwendig ist die Gruppe, in der nicht auf Vordermann und Vorderfrau, sondern auf Nebenmann und Nebenfrau gehöret wird, um miteinander und voneinander lernend, ein komplexes wie kompliziertes „Gemeinschaftswerk“ zu erstellen. „Urbane Künste“ können ein beispielhaftes zivilgesellschaftliches Modell für die Partizipation, die Teilhabe der Menschen bei der Neu- oder Umgestaltung eines Quartiers, eines Stadtteils oder gar einer ganzen Stadt werden.

Es geht nicht um „Kunst am Bau“, sondern um eine menschengerechte Wohnumfeldgestaltung, bei der gleichermaßen kulturelle, soziale und wirtschaftliche Auffassungen der Betroffenen zu berücksichtigen sind. Wenn es URBANE KÜNSTE RUHR gelänge, mit den betroffenen Menschen konkret an Ort und Stelle zusammenzuarbeiten, und zwar nicht per Abstimmung, sondern durch Mit-Reden und Mit-Anpacken-Dürfen, dann wäre es wahrlich ein offenes und öffentliches, ein demokratisches Projekt.

Eine Utopie? Warum nicht?

Gegängelt werden die Menschen im Revier schon lange genug. Immerhin ist mit dem STADTLABOR der Anfang gemacht worden. Die Präsentationen waren vielversprechend. Es sollte aber nicht verschwiegen werden, dass diese Art von „Raumkunst“ im Revier bereits 1969 mit der „Künstlergruppe B1“ begonnen hat. Die B1-Künstler erkannten damals schon die räumlichen Veränderungen in der „Industrielandschaft“ und machten künstlerisch sichtbar, was später „Strukturwandel“ genannt werden sollte. Mit den „Landmarken“ setzte die IBA dann diese Linie fort, ohne allerdings darauf zu verweisen oder gar B1-Künstler an der IBA-Kunst zu beteiligen. Die Künste sind wichtige Indikatoren für Raum und Zeit, und die Künstlerinnen und Künstler können ebenso wichtige „Sensoren in Raum und Zeit“ sein.

Nachdem der Strukturwandel zunächst die industriellen Räume in riesige Brachen verwandelt hat, macht er nun die urbanen Räume und ihre Infrastruktur ebenfalls zur Brache. Diese „urbanen Brachen“ bieten jedenfalls ein großes Betätigungsfeld für eine künstlerisch orientierte interdisziplinäre qualitative Feldforschung. Sie hätte gegenüber den Neid weckenden quantitativen Städterankings den großen Vorteil, „sachdienliche Hinweise“ für, statt Spekulationen über konkrete Veränderungen zu liefern.{jcomments on}

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Von Sven Spieß

geboren 1948 in Papenburg, lebt seit 30 Jahren Bockum, arbeitet als Versorgungsingenieur (Dipl. Ing. FH) im Ruhrgebiet und schreibt in seiner Freizeit für verschiedene Magazine Kolumnen, Rezensionen und Glossen.

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