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"Probe" von Claudia Schmacke - Foto: Martin Gernhardt„Kunst bewegt Räume“ befasst sich allerdings mit der Situation im „nachindustriellen“ Raum. Die unterschiedlichen Arbeiten schlagen alle einen künstlerischen Bogen von der Vergangenheit in die Zukunft. Sie transformieren gewissermaßen den Industrialisierungsprozess mit der Erblast einer „negativen Nachhaltigkeit“ für Mensch und Natur in die Gegenwart und appellieren an unsere Sinne und unseren Verstand, mit dem Raum, auf dem wir leben, sei er groß oder klein, lokal oder global, sorgsam und verantwortlich umzugehen.

Anlass für die Arbeiten des Projekts „Kunst bewegt Räume“ ist die Emscher. Mit ihren zahlreichen vom Norden wie vom Süden zufließenden Bächen, die alle wiederum von vielen kleinen Zuflüssen gespeist werden, ist sie geographisch der zentrale Fluss des Ruhrgebiets ist. Das gesamte natürliche Emschersystem erfüllte damit eine der wichtigsten Funktionen im industrialisierten Raum, nämlich die Abwasserentsorgung. So wurde sie zur „Kloake“. Doch nun wird bis 2017 die Emschergenossenschaft 400 km Abwasserkanäle mit einem Kostenaufwand von 4,5 Mrd. Euro unter die Erde verlegt haben, um bis 2020 mit dem ökologischen Umbau den Renaturierungsprozes abzuschließen.

Die „schwatte“ Emscher und ihre schmutzigen Zuflüsse werden dann ihre Abwasserfunktion als Kloake unter Tage erfüllen. Über Tage wird die Emscher dann als mittels Technik rekonstruiertes Kulturprodukt weitgehend wieder in ihrem alten Bett die Landschaft durchfließen können, um hoffentlich dem nördlichen Ruhrgebiets ganz neue Perspektiven für Wohnen, Arbeiten und Leben zu eröffnen. Wasser dürfte wohl das wichtigste Element für das Leben auf unserem Planeten sein.

Die drei Teile von „Kunst bewegt Räume“ veranschaulichen das auf künstlerisch unterschiedliche Weise. Ob Helmut Bettenhausen mit seinen Kanaldeckel-Frottagen „aufdeckt“, was von der Flusslandschaft verdreckt, versteckt in unterirdischen Kanälen fließt, oder ob Billie Erlenkamp in der Innenstadt von Dorsten einen unbeachteten Bach, der allerdings in die Lippe fließt, durch das Aufstellen von Stühlen beschaulich „wahrnehmbar“ macht, so markiert auch Claudia Schmacke mit einer scheinbar schlichten Installation an 5 Stellen einen verschwundenen historischen Verlauf mehrerer Bäche in Gelsenkirchen-Erle.

III. Die Installation „Probe“ von Claudia Schmacke

Ulrich Daduna und der Kunstverein Gelsenkirchen haben diesen Verlauf der vier Bäche: Börnchenbach, Leither Mühlenbach, Knabenbach und Springbach von der Quelle bis zur Mündung in die Emscher rekonstruiert und die Künstlerin Claudia Schmacke gewinnen können, dazu ein „Landmarkenprojekt“ für fünf markanten Punkten zu gestalten. Auf einer aushängenden Karte sind sowohl die Bachverläufe als auch die Standorte für die 5 „Probe“-Objekte zu finden.

Claudia Schmacke ist ein echtes Ruhrgebietskind. Sie wurde 1963 in Witten geboren. Ab 1983 studierte sie Kunst. Zunächst in Kassel und Berlin und dann von 1986 bis 1988 in Amsterdam. Unmittelbar nach ihrem Aufenthalt in den Niederlanden, erhielt sie an der Gesamthochschule Kassel ihr Diplom. Ein Jahr später (1989) nahm sie ein Aufbaustudium an der Kunstakademie in Düsseldorf auf, das sie 1991 als Meisterschülerin von Professor Schwegler beendete. Seit 1990 arbeitet sie als freie Künstlerin. Sie gestaltet vor allem im In- und Ausland Installationsprojekte und nimmt an Wettbewerben teil. Sie gewinnt Preise und erhält Stipendien. Gleichzeitig arbeitet sie weiter wissenschaftlich und übt eine rege Lehrtätigkeit im In- und Ausland aus.

Claudia Schmackes Metier ist die Raumkunst. Mit ihren Installationen in geschlossenen Räumen oder im Außenraum und in der Natur gestaltet sie mit ihrem künstlerischen Eigensinn und perfektem technischen Können eigenartige, beweglich-bewegende Raumsituationen und schafft so Stimmungen für sinnliche Erlebnisse. Es sind sogenannte Environments, in denen das Kunst-Objekt in einem offenen oder begrenzten Raum zu seinem Umfeld in Beziehung gebracht wird.

„Meideräume“ werden wieder sinnlich wahrnehmbar. Wenn es „toten Raum“ geben sollte, dann erweckt Claudia Schmacke ihn mit ihren künstlerischen Mitteln zu neuem Leben; denn durch ihre Kunst entsteht zwischen Raum und Objekt eine eigenartige Beziehung, die beim Betrachten eine eigenartige dialektische Spannung auslöst. Auf diese Weise gibt jede subjektive Wahrnehmung der künstlerisch geschaffenen Raumsituation eine neue Bedeutung und verschafft dem Betrachter sein ganz persönliches Erlebnis.

Claudia Schmackes Element ist das Wasser. Als Quell des Lebens ist es ein wesentlicher Bestandteil ihrer Kunst: direkt oder indirekt, ruhig oder bewegt, schnell oder langsam, still oder fließend, farbig oder neutral. Mit Hilfe einer manchmal außergewöhnlich komplizierter Techniken setzt sie Wasser und damit Räume in Bewegung, indem sie z.B. transparente Behälter oder transparente Schläuche linear oder kreisförmig in mehreren Bahnen mit gegenläufigen Fließrichtungen verlegt oder gar zu Knäueln verwickelt, die sich in einem bestimmten Prozess automatisch und rhythmisch füllen und leeren und sich an ihrem Platz durch technisch regulierten Wasserdruck bewegen.

Drei Beispiele dazu, welches Material sie verwendet:

– Zu einem Projekt in einem Leerraum unter der Köln-Deutzer Rheinbrücke von 280 m Länge verwendete sie 3000 m transparente Schläuche, Wasser, Luft, fluoreszierendes Pigment, drei Pumpen, Wasserkanister, Halogenstrahler.

– Eine Außenskulptur in Stavanger besteht aus einem Plexiglaszylinder, der sich mit Wasser durch einen spiralförmigen Strahl füllt und entleert. Das Material: Plexiglas, Rohre (nicht sichtbar), Edelstahl-Flansche, Ventil, Pumpe, Steuerung, LED-Spots, Druckmesser, Betonfundament, Wasser aus dem Fjord.

– Auch Videos, mit denen sie fließende und sich bewegende Naturerscheinungen aufzeichnet, gehören zu ihrem künstlerischen Repertoire. Sie sind eine eigenständige Kunst, die sie auch in ihre Environments einbezieht und auf die Wände projiziert.

Das Video „Dark Matters“ erfasst das Natur-Phänomen der Bewegung einer breiig schwarzen Teer-Masse in einem kleinen Tümpel. Es zeigt u.a..das durch Gase verursachte allmähliche Entstehen von Teer-Blasen bis zum Zerplatzen. Auf der Blasenoberfläche erscheint der umgebende Raum als Reflexion. Dabei bleibt zwar der schwarze Teer bildbeherrschend, es spiegelt sich auch das farbige Umfeld.

Das Objekt „Probe“ mag auf den ersten Blick nur ein Achselzucken auslösen. Man nimmt es in seiner Umgebung eher als einen Fremdkörper wahr. Denn eigentlich gehört es da ja gar nicht hin, wo es steht. Ein gerades Edelstahlrohr, nicht einmal lotrecht exakt in den Boden gerammt, sondern etwas nachlässig schräg, versehen mit einer transparenten Kugel aus Polystyrol, gefüllt mit einer grünen Flüssigkeit…?

Aber die Füllung ist nicht nur grün, sie ist auch noch gelb! Sollte sich da was zusammen brauen? Sieht irgendwie giftig aus. Also ein Warnzeichen: Vorsicht Giftgefahr! Vielleicht ist es ja auch nur ein Messinstrument… Mit den Fragen und der Ungewissheit wächst die Neugier. Man rückt der Sache näher und entdeckt, wie in der soeben beschriebenen Teerblase, die verzerrte Spiegelung des gesamten Raumes, vom Himmel bis zur umgebenden Erde.

Die Erde, der Kosmos auf einer gläsernen Kugel?. Der Phantasie des Betrachters sind keine Grenzen gesetzt und der Bedeutung durch den Betrachter auch nicht. Die Kugel wird sich verändern – mit der Zeit, den Jahreszeiten, mit dem Umfeld und vor allem mit dem Licht. Auch die Farbe der Flüssigkeit wird sich verändern und auch die Formen der Farbe in der Kugel werden sich verschieben. Ebenso wird das Objekt seinen umgebenden Raum verändern, wenn der Betrachter sich bewegt und das eigentlich statische „Ding“ aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit dem näheren oder auch ferneren Umfeld in Beziehung bringt und dabei durch den Perspektivenwechsel ganz neue „Einsichten“ gewinnt.

Vielleicht hat Clauda Schmacke es auch deshalb „Probe“ genannt, weil man etwas ausprobieren muss, um es für sich selbst zu erschließen und zu eigen zu machen?

Claudia Schmacke zu ihrem Selbstverständnis als Künstlerin:

„Kunst ist ein Weg, sich mit der Welt um uns herum und in uns zu beschäftigen. Kunst hat mit Wundern, Spekulation, Vision und Engagement zu tun. Für mich ist Festival-Kultur oder Spektakel-Kunst etwas, das den Markttrends folgt und vom Produkt angetrieben wird, aber kein Künstler, dessen Arbeit etwas zählt, macht das. Engagierter Kunst geht es um den Prozess und um Bewusstseinsbildung. Das ist schwieriger, aber es ist das einzige Mittel, das wir haben, um mit der Welt zu kommunizieren.“

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Von Peter Rose

H. Peter Rose, geboren 1935 in Hattingen (Ruhr). Volksschule und Handelsschule. Lehre und Berufstätigkeit als Industriekaufmann. Studium der Soziologie und Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg, Abschluss als Diplom-Sozialwirt. 1964 Kulturreferent beim SPD-Parteivorstand in Bonn. Ab 1971 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Beraterstab beim Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Heinz Kühn. Von 1975 bis 2000 Beigeordneter für Kultur und Bildung, Jugend und Soziales der Stadt Gelsenkirchen. Seit Oktober 2000 nicht mehr abhängig beschäftigt, aber weiterhin zivilgesellschaftlich beratend auf den Feldern Kunst und Kultur sowie politischer und kultureller Bildung aktiv.

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