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Über das Kunst-Objekt „Probe“ von Claudia Schmacke in der Kleingartenanlage Gelsenkirchen-Erle

I. Drei Vorbemerkungen

Mit dem dreiteiligen Kunst-Projekt „Kunst bewegt Räume“ und der Präsentation des Ob"Probe" von Claudia Schmacke - Foto: Martin Gernhardtjekts „Probe“ von Claudia Schmacke setzt der Kunstverein Gelsenkirchen seine zum Kulturhauptstadtjahr 2010 mit der Reihe „Gahlenscher Kohlenweg“ begonnene Zusammenarbeit mit dem Herner Förderverein Kunstschacht Unser Fritz und dem Dorstener Kunstverein Virtuell-Visuell sowie der Kulturinitiative Emscher-Lippe fort.

Das gesamte Projekt „Kunst bewegt Räume“, vor allem aber das Objekt „Probe“ verstehen sich als Versuch, mit künstlerischen Mitteln die besonderen historischen Veränderungsprozesse des Raumes Ruhrgebiet sinnlich wahrnehmbar und kritisch bewusst zu machen. Zum besseren Verständnis seien deshalb drei Vorbemerkungen zur Geschichte, zur Transformation und zur Nachhaltigkeit vorangestellt.

1. Geschichte:

Als im 19. Jahrhundert die Nationalökonomie oder Wirtschaftslehre Wasser und Luft im Gegensatz zu den bewirtschafteten Gütern, also Waren, noch als „freie Güter“ bezeichnete, galten sie als elementare Voraussetzungen für das Leben auf der Erde schlechthin. Von dieser romantisch, wenn nicht gar paradiesisch anmutenden Vorstellung ist jedoch nicht mehr viel übrig geblieben.

Denn fast zur gleichen Zeit begann die industriekapitalistische Revolution mit ihrer Ausbeutung von Mensch und Natur. Diese Revolution machte aus einem dünn besiedelten ländlich-bäuerlichen Raum im Westen Preußens, wo für das Land die Sonne unterging und drei fischreiche Flüsse – Ruhr, Emscher und Lippe – sich in Richtung Rhein schlängelten, den größten industriellen Ballungsraum Europas – das Ruhrgebiet.

Dieser Raum entwickelte sich wirtschaftlich in einem enormen Tempo, um schließlich eine geschundene Industrielandschaft mit ebenso geschundenen Menschen zu werden. Wie dynamisch der Industrialisierungsprozess ablief, veranschaulicht die Entwicklung der Bevölkerungszahlen: 1818 lebten im beschaulichen Raum des heutigen Ruhrgebiets 220 000 Menschen, im heutigen Stadtgebiet von Gelsenkirchen waren es nur bescheidene 6000.

Das änderte sich schlagartig schon am Ende der 1840er Jahre, so dass 1905 im Revier schon 2,6 Mio und in Gelsenkirchen 200 000 Menschen lebten. Danach ging es weiter aufwärts. 1950/60 wurde der absolute Höhepunkt erreicht: 5,6 Millionen im Ruhrgebiet, knapp 400 000 in Gelsenkirchen. Dieses rapide Bevölkerungswachstum führte zu höchsten Bevölkerungsdichten und zu einer bis heute noch spürbaren vom Wildwuchs geprägten Verstädterung.

Inzwischen ist das Revier von einst keine Industrielandschaft mehr. Fördertürme und Schlote wurden abgerissen. Geblieben sind nur noch einige bauliche Relikte, die unter „Industriekultur“ firmieren und eher der Eventkultur dienen als einer vergewissernden kritischen Erinnerung. Der Raum rechts der Ruhr und links der Lippe hat sich total verändert. Das Ergebnis dieses Prozesses , das zwar immer noch viele Wünsche offen lässt, aber dank der IBA vor allem im nördlichen Ruhrgebiet in einigermaßen geordneten Bahnen verlaufen ist, kann sich sehen lassen: Auf Industriebrachen und einer gestalteten Haldenkette, den „Alpen des Reviers“, hat sich die Natur zurückholt, was ihr gehört.

2. Zum Prozess der Transformation:

1961, als das Revier den Höhepunkt seiner Entwicklung erreicht hatte, gab Willy Brandt im Bundestagswahlkampf einen ersten Impuls für ein Umdenken durch, als er verkündete:„Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden!“. Er sagte damit der Verschmutzung von Luft und Wasser den Kampf an und erklärte den Umweltschutz zu einem vorrangigen politischen Ziel. Was damals von vielen bespöttelt wurde, ist längst Realität geworden. Die Region hat aus ihrer industriellen Vergangenheit gelernt: die lebensgefährliche Verschmutzung von Luft und Wasser ist beseitigt. Und seit den 1970er Jahren versucht die Politik, die überholten Strukturen in Wirtschaft und Gesellschaft zu reformieren. Ob jedoch alles, was heute anders ist, als es gestern noch war, als „gelungener Strukturwandel“ gefeiert wird, tatsächlich Strukturwandel ist, darf bezweifelt werden. Der Begriff „Wandel“ hat einen Beiklang von Beschaulichkeit, als handle es sich dabei um einen Stadtbummel oder den Spaziergang eines Flaneurs über einen Boulevard. Es wäre treffender von „Transformationen“, also von Umformungen zu sprechen, weil es sich tatsächlich um höchst komplexe und unterschiedliche natürliche, soziale und kulturelle – also Technik und Wirtschaft einschließende – Veränderungssprozesse in Raum und Gesellschaft handelt.

Dass dabei auch wirtschaftliche Einzelinteressen im Spiel sind, ist nicht von der Hand zu weisen. Wenn jedoch strukturpolitische Maßnahmen dem Ruhrgebiet eine Zukunftsperspektive eröffnen sollen, müssen sie dem Nutzen des Gemeinwesens dienlich und im Hinblick auf nachwachsende Generation „nachhaltig“ sein. Denn die Natur hat ihre eigenen originären Transformationen, zu denen die politisch gestalteten Transformationen der Gesellschaft in Balance gehalten werden müssen.

3. Zur Nachhaltigkeit:

In Sachen Umweltschutz sind wir im Revier, was Luft und Wasser angeht, mit gutem Beispiel vorausgegangen und auch ein gutes Stück vorangekommen. Aber das reicht nicht. Es gilt leider immer noch ein Szenespruch aus den 1960er Jahren: „Wir gehen mit der Erde um, als hätten wir eine zweite im Keller!“ Heute glauben manche aus der jüngeren Generation vielleicht auch, wir könnten uns beim Discounter eine neue kaufen.

Die Gefahr der Selbstzerstörung unseres „blauen Planeten“ durch uns Menschen ist keineswegs gebannt. Wir müssen wachsam bleiben und uns um die „Nachhaltigkeit“ menschlichen Tuns bemühen. Und was dazu die UNO-Umweltkonferenz in der letzten Woche in Rio de Janeiro in Brasilien zustande gebracht hat, ist alles andere als hoffnungsvoll für die Zukunft unserer Welt..

Was Nachhaltigkeit meint, ist fast 600 Jahre alt. Es stammt aus der kursächsischen Forstordnung von 1560, um den hohen Bedarf an Holz für die Bergwerksverbauungen so zu regulieren, dass sowohl die „Untertanen und Bergwerke ihre Aufgaben erfüllen, als auch die Gehölze, (gemeint sind die Wälder) den Abbau ertragen können“. Es solle „eine währende Hilfe“ sein, damit „auch unseren Ämtern eine vor und vor bleibende und beharrliche Nutzung bleiben möge.“ Also nachhaltiges Wirtschaften und verantwortlicher Umgang mit den knappen, nicht unbegrenzt nachwachsenden Ressourcen und nicht nach dem egoistischen Prinzip „Jedem das Seine, nur mir das Meiste“ oder „Nach mir die Sintflut“.

Wir sollten die Natur nicht unterschätzen. Das wusste schon Bertolt Brecht, lange vor Tschernobil und Fukushima als er chrieb: „Die Natur ist schlau. Sie setzt durch, was sie will. Und warum, weil sie gerissen ist!“

II. Das Projekt „Kunst bewegt Räume“

Wie die Literatur kann auch die bildende Kunst Erkenntnisse und Einsichten vermitteln. Vor dem Hintergrund von Geschichte, Transformation und Nachhaltigkeit ist das Projekt „Kunst bewegt Räume“ entstanden. Denn auch der „Raum Ruhrgebiet“ ist wie kein anderer ein Ergebnis menschlichen Willens und menschlicher Arbeit. Er ist selbst ein Kulturprodukt, entstanden durch den Stoffwechselprozess von Mensch und Natur, in dem Massenarbeit und Technik die entscheidenden Gestaltungsfaktoren waren und auch weiterhin sein werden.

„Kunst bewegt Räume“ setzt sich mit den Hinterlassenschaften der Industrialisierung auseinander. Sie hält eine Tradition lebendig, die schon 1969 von jungen Künstlern der Region, der „Gruppe B 1“, begründet worden ist. Diese Künstler, unter ihnen auch Helmut Bettenhausen, spürten und erkannten schon früh die Zeichen struktureller Veränderungen im Ruhrgebiet, die sie mit ihrer Kunst den Menschen sichtbar und bewusst machen wollten.

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Von Peter Rose

H. Peter Rose, geboren 1935 in Hattingen (Ruhr). Volksschule und Handelsschule. Lehre und Berufstätigkeit als Industriekaufmann. Studium der Soziologie und Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg, Abschluss als Diplom-Sozialwirt. 1964 Kulturreferent beim SPD-Parteivorstand in Bonn. Ab 1971 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Beraterstab beim Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Heinz Kühn. Von 1975 bis 2000 Beigeordneter für Kultur und Bildung, Jugend und Soziales der Stadt Gelsenkirchen. Seit Oktober 2000 nicht mehr abhängig beschäftigt, aber weiterhin zivilgesellschaftlich beratend auf den Feldern Kunst und Kultur sowie politischer und kultureller Bildung aktiv.

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