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Im Lichte der realen geschichtlichen Entwicklung ist natürlich das Juso-Bundesausschussmitglied Gerhard Schröder besonders zu nennen, wobei ich vorab zum besseren Verständnis kurz auf einige politische Hintergründe eingehen muss.

Zu diesem Zeitpunkt nämlich zerfiel die Juso-Organisation bereits in drei Fraktionen, die sich zunehmend unversöhnlicher gegenüber standen.

► Da waren zum einen die „Stamokaps“, also die, die die Theorie des „Staatsmonopolitischen Kapitalismus“ vertraten und in Teilen eine verdächtige Nähe zur DKP und ihren Vorfeldorganisationen wie z. B. dem Studentenbund MSB Spartakus aufwiesen.

Wortführer waren Kurt Wand, der mir besonders durch seine grünen Brillengläser in Erinnerung ist, der „Zocker“ Kurt Neumann aus Berlin und Detlef Albers, der später nicht nur Professor, sondern auch, nachdem er sich wohl die Hörner abgestoßen hatte, Landesvorsitzender der SPD Bremen wurde. Leider weilt er nicht mehr unter uns.

► Nummer Zwei im Bunde war die Mehrheitsfraktion der „Reformsozialisten“ (zu denen ich mich zählte), die sog. „Bundesvorstandslinie“, welche am Konzept der „systemüberwindenden Reformen“ festhielt. Intellektueller Kopf dieser Gruppe war Johano Strasser, der ebenfalls Professor wurde und heute zu den wichtigen Denkern der SPD gehört.

► Schließlich die „Spontis“ oder „Antirevis“ (Antirevisionisten) aus Hannover, die in ihrem Politikansatz verschwommen blieben, dafür aber eine Art Gegenkultur mit Wohngemeinschaften, Jesuslatschen und Öko-Outfit zelebrierten. Sie hatten regelrechte Gurus, denen sie an den Lippen hingen, und vertraten m. E. eine Art anarchosyndikalistische Richtung, bei der die SPD nur so etwas wie ein Durchlauferhitzer zu einer neuen „spontanen“ Volksbewegung sein sollte.

Alles in allem konnte ich mit dem Gros der Hannoveraner, so wie sie sich im Bundesausschuss gerierten, noch weniger anfangen als mit den „Stamokaps“ – nämlich rein gar nichts.

Am Rande sei erwähnt, dass sich in dieser Fraktionierung bereits der spätere Niedergang und Bedeutungsverlust der Jungsozialisten abzeichnete. Die Fraktionen zerfleischten sich gegenseitig. „Stamokaps“ und „Antirevis“ waren sich spinnefeind, trafen sich gleichwohl in ihrer gemeinsamen Abscheu gegen die „Reformsozialisten“ – ein Muster, das in der Linken viele historische Vorbilder und Epigonen hat. Gerhard Schröder war nun, man höre und staune, Chef des „Sponti“- Bezirks Hannover. Ich wunderte mich nicht zu knapp darüber, wie ein derart kumpeliger, doch gleichzeitig alerter und unideologischer Managertyp (er trug auch Anzüge) Vorsitzender einer Truppe sein konnte, die in allem das fleischgewordene Gegenteil zu Schröder war.

Auf alle Fälle war er zwischen seinen Exoten wiederum ein Exot, und es war schon damals ein Phänomen, dass er sich bei den niedersächsischen Paradiesvögeln als Vorsitzender halten konnte. Mehr noch! Fakt ist: Schröder hat sie alle überlebt, denn von den Spontis, soweit ich das überblicken kann, ist nichts übrig geblieben (außer Wolfgang Jüttner, dem das auch nicht viel brachte). Nur Gerhard Schröder war politisch erfolgreich, ja man kann sagen, extrem erfolgreich.

Er hat es über die Zwischenstation Ministerpräsident sogar zum Bundeskanzler gebracht – ein weiterer Beweis für seine politischen Qualitäten, lässt man einmal eher moralisierende Kategorien beiseite. Als diese Weihen noch in weiter Ferne lagen, wurde Schröder, dennoch ein weiterer Beleg dieser Fähigkeiten, einige Jahre später Bundesvorsitzender der Jusos (1978), obwohl ihn eigentlich keiner haben wollte.

Und das kam so: Die Jusos hatten trotz der Warnungen des Parteivorstands den Berliner Klaus-Uwe Benneter als neuen Vorsitzenden aufs Schild gehoben, der als gefährlicher, verkappter Kommunist galt. (Heute ist Klaus-Uwe Benneter wieder ein angesehenes SPD-Mitglied mit wichtigen Ämtern. Auch das ist die SPD!)

Nach einem unglücklichen Interview wurde er kurzerhand aus der SPD ausgeschlossen, und der Vorsitz war wieder vakant.

In diese Lücke stieß Gerhard Schröder, wobei für ihn sogar die Juso-Richtlinien neu interpretiert werden mussten. Schröder war nämlich zu diesem Zeitpunkt bereits 35 Jahre alt, also eigentlich schon dem Juso-Alter entwachsen. Flugs erklärte man, dass das Juso-Alter erst mit dem Beginn des 36. Lebensjahrs endete, während man vorher allgemein davon ausgegangen war, dass der Beginn des 35. Jahres die Grenze wäre.

Wie auch immer, auch diese formale Hürde nahm Schröder mit Bravour. Nach diesem Ablauf wurde mir auch die für mich zuerst unerklärliche Tatsache verständlich, warum ausgerechnet der Niedersachse so vehement die Wahl Benneters, also eines Stamokaps, zum Vorsitzenden unterstützt hatte, obwohl sich doch die Spontis und die Stamokaps so gerne mochten wie die Schalker und die Dortmunder. Natürlich – dem gewieften Fuchs war schon vorher klar gewesen, dass es mit Benneter nicht lange gut gehen würde. In der dann existierenden Notsituation konnte er sich als Retter anbieten. Auf diese Weise kam er doch noch zu Vorsitzendenehren, die er auf normalem Weg höchstwahrscheinlich nie erreicht hätte.

Zwei Jahre lang (bis 1980) war er dann – Altersgrenze hin oder her – Bundesvorsitzender der Jungsozialisten.

Na bitte!

Viele Jahre später, als Gerd Schröder 1997 einen Besuch in Gelsenkirchen machte, erzählte er mir, wie er nach der Wahl mit den Stamokaps verfahren war.

Sie hatten ihn ja entsprechend des Schröder-Kalküls nach dem Benneter-Debakel mit gekürt, natürlich in der Erwartung ihres Lohnes, sprich eines deutlich gestiegenen Einflusses für ihre Richtung. Für Gerd war das allerdings kein Thema mehr. Gerd erzählte: Nach dem Bundeskongress lud ich die führenden Stamokaps zu mir nach Hause zum Essen ein. Als sie dann mit dem unanständigen Ansinnen herauskamen, als eine Art „Neben- oder Hintergrundregierung“ fungieren zu wollen, habe ich ihnen gesagt: Ihr habt meinen guten Wein getrunken, und ihr habt mein hervorragendes Essen gegessen. Mehr könnt ihr wirklich nicht erwarten.

Und jetzt raus!

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Von Hans Frey

Hans Frey (geb. 24.12.1949 in Gelsenkirchen, verw., drei Kinder) studierte Germanistik und Sozialwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum und arbeitete dann als Studienrat an einem Gelsenkirchener Gymnasium. 1980 wurde er in den Landtag von Nordrhein-Westfalen gewählt, dem er bis 2005 angehörte. Seit dieser Zeit lebt er (formal) im Ruhestand. Neben der Politik war und ist Hans Frey publizistisch und künstlerisch engagiert. U. a. kreierte er 1996 als Drehbuchautor und Regisseur die Stadtrevue „Ja, das alles und mehr…“, gab sieben Jahre lang das Stadtmagazin DIE NEUE heraus und gehörte 2004 zu den Mitinitiatoren der Kunstausstellung RUHRTOPIA in Oberhausen. Im September 2007 war er Mitbegründer von gelsenART e. V., Verein zur Förderung von Kunst und Kultur im Ruhrgebiet. Unter seinen Buchveröffentlichungen finden sich u. a. - der fantastische Roman „Die Straße der Orakel“, der in einer Antike spielt, die man so aus den Geschichtsbüchern nicht kennt (2000), - das Sachbuch „Welten voller Wunder und Schrecken – Vom Werden, Wesen und Wirken der Science Fiction“ (2003), ein umfangreiches Werk, das alle Facetten der Science Fiction beleuchtet, - und sein aktuell letztes Buch (September 2009), der erste Band seiner politischen Autobiografie „Ja, das alles und mehr! – Geschichte und Geschichten aus 35 Jahren Politik“ mit dem Titel: „Wilder Honig“.

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