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Eine polemische Replik auf Jürgen Kramers Artikel Zur „Nachhaltigkeit“ der Oberfläche: Eventkultur

„Das 21. Jahrhundert muss mit der Veränderung des Kulturbegriffs (»Eventkultur«) leben lernen, auch wenn damit ebenso kommerzielle wie inflationäre Tendenzen verbunden sind. Die Eventkultur ist viel enger mit dem Alltagsleben der Bevölkerung verbunden. Sie spricht ein breites, insbesondere jugendliches und teilweise völlig neues Publikum an. Hohe Kultur bekommt dann auch Züge einer Breitenkultur.“

Opaschowski, Jugend im Zeitalter der Eventkultur

Das Gejammer der (selbsternannten) Priester und Präzeptoren über den Verfall der Sitten und Moral, den Niedergang von Kultur und die Verflachung der Sprache ist nahezu so alt wie die Menschheit selbst – zumindest seit sie von den Bäumen geklettert ist und sich Formen des Gemeinwesens geschaffen hat.

Insofern gibt es eine Linie der Tradition von den „alten“ Griechen (Sokrates, Platon, Aristoteles) über Helmut Kohl und seinen Ruf nach „geistig-moralischer Erneuerung“ (die er sich anscheinend von der Einführung des Privatfernsehens versprochen hatte) bis zu Jürgen Kramer, der die Verhüllungskunst Christos, die Spektakel von Ruhr2010 und alles, was nicht seiner Schildermalerei nahe kommt, mit dem diskreditierend gemeinten Kampfbegriff „eventkultur“ und dem Vorwurf eines Mangels an „Tiefe“ und „Nachhaltigkeit“ belegt.

Dabei erweist er sich als Polier der Oberfläche. Dies beginnt schon damit, dass er zwar Opaschowski zitiert, den Kern seines Aufsatzes aber unterschlägt. Opaschowski bringt in seinem Aufsatz natürlich eine ganze Reihe von Kritikpunkten an der der eventkultur vor (Verflachung, Kommerzialisierung, Ich-Bezogenheit etc.), ist aber klug genug, als soziologisch-dialektisch denkender Wissenschaftler, auch eine zweite Seite zu sehen: die Erschließung neuer Publikumsschichten, also eine Demokratisierung der Kultur, und die Ausweitung der „Hohen Kultur“ in die Breite.

Opaschowski verdeutlicht dies u. a. am Beispiel der „Drei Tenöre“ : natürlich waren deren Konzerte ein kulturell-kommerzielles Spektakel; dieses zog aber Menschen zu Liederabenden mit Opernmusik, die in eine traditionelle Operninszenierung wohl kaum gegangen wären, ja vorher vielleicht nie mit Opernmusik konfrontiert worden sind. Man könnte als weiteres Beispiel auf die großen Kunstausstellungen verweisen, die in den letzten Jahren um sich gegriffen haben und in die Hundertausende geströmt sind und immer wieder strömen: auch diese Ausstellungen haben einen Spektakelcharakter – aber sie ziehen viele Menschen in Museen, die bis dahin Kunst vielleicht nur in Form von Sonnenuntergängen am Meer (für die Küche), der „Zigeunerin“ fürs Schlafzimmer, dem „trinkenden Mönch“ für die Sofaecke oder Katzen- und Schmetterlingsbildern(!!) aus den entsprechenden Posterabteilungen der Warenhäuser kannten oder Kunst in Form einer Kaffeetasse mit Mondrianmotiv (schön bunt und so schön grade gemalt) zu Hause stehen hatten. Das Problem sind nicht die events und die Menschen, die dort hingehen bzw. sogar eine lange Anreise in Kauf nehmen. Das Problem besteht doch eher darin, dass es immer noch eine Minderheit ist, die überhaupt Kultur wahrnimmt.

Opaschowski weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass rund 80% (die Zahlen stammen aus dem Jahr 2000) der Bevölkerung open-air-events nur vom Hörensagen kennen und dass das eigentliche Problem doch eher im Ausschluss von Kultur (in der – u. a. finanziellen -Unmöglichkeit, Teilhabe daran zu haben) besteht. Über die schrecklichen Folgen der „eventkultur“ frömmelt Jürgen Kramer:

„Zur Folge hat diese Entwicklung, dass künstlerisch reflektierte Tiefe des Werks und jedes auf Anspruch beharrende Kulturerzeugnis ins Abseits geraten und nur noch eine Nischenexistenz“

führen können. Abseits ist ja bekanntlich, wenn der Schiri pfeift. Und Jürgen Kramer pfeift hier – aber wie das Kind im dunklen Keller pfeift, um seine Angst zu überspielen. Der oben zitierte Satz unterstellt zweierlei. Erstens wird so getan, als sei „große Kunst“ (was immer das ist) früher Massenkunst – und nicht Nische- gewesen. Das ist, historisch gesehen, Unfug (vielleicht mal von den Theateraufführungen in der attischen Polis abgesehen).

Der gute Lessing musste sein (von Hamburger Kaufleuten(!!) finanziertes) Theater schließen, weil nicht genug „Bürger“ gekommen sind (in einer Zeit ohne Fernsehprogramme und eventkultur). Die Lyriker des Expressionismus, die Avantgarde ihrer Zeit, haben nicht besonders hohe Auflagen erzielt- führten also eher eine Nischenexistenz. Kafka hat geschrieben – aber eben auch einen Brotberuf ausgeübt.

Dürrenmatt hat seinen ersten Krimi (Der Richter und sein Henker) aus Geldnot geschrieben, weil er eine Familie zu ernähren hatte und seine Dramen (zu dieser Zeit) nicht genug einbrachten. Und von den Malern – von der Mehrheit – will ich hier nicht reden (das hieße Eulen zu Kramer zu tragen). Zweitens wird so getan, als sei die Potenz einer kulturellen Epoche nur an Spitzenleistungen (TIEFE!) festzumachen. Die berühmten „goldenen zwanziger Jahre“, in denen Berlin zur Weltmetropole der Kultur aufstieg, waren doch genau dadurch gekennzeichnet, dass kulturelle Spitzenleistungen (Deutsches Theater) und Tingel-Tangel-Revuen, Kino und Café-Haus-Musik, Operette und Tanzpalast ein dynamisches Amalgam bildeten.

Es ist natürlich Jürgen Kramers gutes Recht, auf Tiefe zu bestehen. Aber: wer einen Drang oder sogar Zwang zur Tiefe verspürt, der sollte einen Tauchkursus belegen!{jcomments on}

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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